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Gäng Freitag sammelt und dokumentiert Elmer Hof- und Familiengeschichten

Wolfgang Freitag trägt seit seiner Pensionierung die Geschichte von Elmer Bauernfamilien zusammen. Mit Kamera, Notizbuch, Computer, Geduld und Engagement.

Südostschweiz
15.04.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Berglandwirtschaft: Wolfgang Freitag kennt und dokumentiert Orte, Ställe, Familien und ihre Bauernbetriebe in Elm.
Berglandwirtschaft: Wolfgang Freitag kennt und dokumentiert Orte, Ställe, Familien und ihre Bauernbetriebe in Elm.
Bild Sasi Subramaniam

Als junger Lediger hat er zwei Bauern geholfen, mit ihrem Vieh ins Dorf Elm herunter zu ziehen. So erinnert sich Wolfgang oder «Gäng» Freitag, wie er an einem Tag in den 1950er-Jahren «Thumes Peter» und «ds Stöffä Chäpp» half, am Halfter ein paar Kühe und Rinder den schmalen Fussweg von Bränden, einem kleinen Berggut in Elm, in ihre Heimatgüter Schmalen und Sulzbach hinunterzuführen. 

«Sieben Bauern haben damals im Gebiet Bränden Boden und Ställe besessen.» Irgendwann in den ersten Jahren nach der Pensionierung habe er das Gebiet von der gegenüberliegenden Sulzrunse aus angeschaut. «Ich habe selber studieren müssen, wem welches Gädeli gehört und wie die Liegenschaften geheissen haben», sagt Freitag. «Die Jungen von heute wissen kaum mehr davon.» 

So hat Gäng Freitag 2009 als Pensionierter angefangen, Namen und Daten von Bauernfamilien, Eigentümern und Fluren zu sammeln, Fotos im Format von 13 mal 18 Zentimetern vergrössern zu lassen, Notizen zu machen und Ordner anzulegen. Denn: «Ich habe auch immer fotografiert, einen Stall und ein Haus nach dem anderen.» So hat er heute fast alle bestehenden und ehemaligen Höfe und Bauerngüetli von Elm auf seinem Computer gespeichert. 

Auch die eigene Geschichte

2013 hat Freitag seine erste «Dokumentation Landwirtschaft und Familien Elm» zusammengestellt und als Fotobuch drucken lassen. Er hatte sein Leben lang als Bauer, bei den Sportbahnen und bei der Forstgruppe der Gemeinde draussen gearbeitet und musste bis zu diesem Werk viel über die Bedienung des Computers lernen, den er zur Pension von seinem Chef, Förster Heinz Brühwiler, und den Arbeitskollegen geschenkt bekommen hatte. Ein Kollege habe ihn dabei unterstützt. 

Inzwischen arbeitet Wolfgang Freitag am zehnten Buch, zwölf oder 13 könnten es werden, bis er sämtliche Bauernfamilien und Fluren von ganz Elm dokumentiert hat. Und die Bücher reflektieren auch die Geschichte seiner eigenen Familie. Auf einem Schwarzweissfoto von etwa 1910 steht im Vordergrund, im Untertal, ein stattlicher Stall mit vier Ständen für das Vieh, den sein Urgrossvater gebaut habe. «Zuerst hat er ihn als Geräteschuppen für die Rekultivierung nach dem Bergsturz von 1881 genutzt, mitten in der Steinwüste.» Und dann das Land wieder ausgeebnet und kaum zwei Zoll dick mit Erde bedeckt. 

Von 113 auf noch 34 Bauernfamilien

Die ersten Seiten im ersten Buch von 2013 gehören Heinrich und Susann Elmer-Rhyner vom oberen Laibach, zuhinterst im Elmer Hinterland. Gezeigt werden Fotos von drei Generationen Elmer und Schnyder, Haus und Ställen, Maschinen und Geräten. Und nicht fehlen darf das Ziegenzeichen: «Linkes Ohr geschnörzt, dazu Jochmal.» Schnörzen bedeutet dabei den Rand schräg anschneiden. Denn jede Familie habe auch Geissen gehalten, die in verschiedenen Herden jeden Tag in ihre Weidegebiete getrieben wurden.

Viele Male musste Freitag auch das Jahr dokumentieren, in dem die betreffende Familie die Landwirtschaft aufgab. 1962 gab es laut dem Viehkalender eines Elmer Bauern in Elm noch 113 Bauern, 2021 hatten gerade noch 31 Bauernfamilien Kühe, fünf Bauern hatten nur Ziegen oder Schafe. 

Manchmal bleibt nur ein Bild

Wolfgang Freitag hat die Familien besucht, manche drei oder vier Mal, hat nach Fotos und Informationen gefragt, hat «Stubeti ghaa» und manchen Tag gewartet, bis sie Bilder hervorgesucht hatten. Nicht immer mit vollem Erfolg, wie er erklärt. «Aber manchmal tauchen plötzlich weitere Informationen und Bilder auf.» 

Freitag selber ist heute 78-jährig. Er ist im Müsli als Bauernsohn aufgewachsen, mit sechs Geschwistern, von denen noch zwei leben. Den Hof hatte sein verstorbener Bruder Walter übernommen. «Wir hatten zwei Hürlimann-Traktoren, einer war ein D100 mit 40 PS», erzählt Wolfgang Freitag. Damit habe die Familie in den 1950er-Jahren auch Lohn-Transporte gemacht, für die Baufirma Marti in Matt, für Holzereiunternehmer oder – mit dem Güllenfass – für andere Bauern. Doch schon ein Grossvater, der auch Gäng hiess, habe schon 1930 oder 1931 einen der damals gerade erst aufkommenden Hürlimann-Traktoren gekauft – «nachdem ihm der Knecht davongelaufen war».

Im Sommer arbeitete Freitag auf dem Bauernbetrieb, im Winter im Holz. Als die Sportbahnen eröffnet wurden, machte er den Kurs für Pistenpatrouilleure und arbeitete sechs Jahre lang als solcher, dann weitere zwei Jahre als Pistenfahrzeugfahrer. Und von 1980 bis zu seiner Pensionierung 2007 war er bei der Gemeinde tätig, vorwiegend im Wald, aber auch für Arbeiten im Strassenunterhalt, für Zäune und Schneeräumung. 

Mit und in der Natur gearbeitet

Zum Wald hat Wolfgang Freitag eine spezielle Beziehung. Er erinnert sich, wie er als junger Mann mit seinem Vater eine wohl 200-jährige Rottanne fällte. Mit der zweihändigen Hobelzahn-Handsäge hätten sie anderthalb Stunden gebraucht allein für den Fällschnitt und ohne die Fallkerbe, die man vorher in der Fällrichtung schneidet. «Jeder arbeitete auf einer Seite des Baumes. Weil er so dick war, haben wir uns nicht mehr gesehen und wir hatten vom Sägeblatt nur noch wenig frei für jeden Zug.» Der Durchmesser am Stock habe wohl 1,30 Meter betragen. Anschliessend haben sie den ganzen Baum mit der Axt entästet und mit dem Zappi an die Strasse gereistet, die damals bis zum Stäfeli reichte.

Beim Fällen blieb es nicht, seit seinem Wechsel zur Gemeinde 1980 hat er oft im Wald gearbeitet, hat Bäume gefällt, um anderen mehr Platz zu geben oder den jungen Bäumchen das Aufwachsen zu ermöglichen. Die grossen und schweizweit einzigartigen Bergahorn-Wälder von Elm haben ihn fasziniert. Als Lieblingswald bezeichnet er dennoch den vielschichtigen Naturwald von Gamperdun-Ramin östlich von Elm, wo die Weisstanne bis auf über 1500 Meter hinauf wächst. «Ich habe mich immer für die Natur interessiert und gesehen, was sie zum Wachsen braucht.» Und er hat Lehrlingen und Bergwaldprojekt-Freiwilligen den Zugang erleichtert. «Ich habe auch mit den Jungen gut arbeiten und ihnen viel erklären und beibringen können», sagt er.

«Sense, Gabel, Rechen, Heuseil»

Gäng Freitag erinnert mit seinen Fotobüchern auch daran, dass manche Elmer Bauern früh Traktoren und Einachser kauften. Trotzdem haben in den 1950er-Jahren manche ihr Heu noch mit einfachsten Mitteln eingebracht: «Sense, Dengelzeug, Wetzstein, Gabel, Holzrechen, Heuseil, Tuch, Amen.» Auf den Heualpen wie Bischof und Tschinglen kamen noch die Rollen dazu, mit denen man die Bündel am Heuseil ins Tal sausen liess. Auch wenn Freitag bereits mit Traktoren aufgewachsen ist, habe er immer gern von Hand gemäht. Und seit jenen Zeiten habe sich auch die Landwirtschaft enorm entwickelt. 

Von der Familie mit dem Übernamen «Schuhmachers» in der oberen Chappele wüsste keiner mehr die tatsächlichen Namen, hätte nicht Ernst Müller einen Nachbarn danach gefragt. Wolfgang Freitag hatte zwar bereits Fotos, auf denen Familienmitglieder mit piekfeinen Kleidern für den Fotografen posierten. Erst dann konnte Wolfgang Freitag aber die Namen von Barbara und Oswald Rhyner-Rhyner und ihrer grossen Familie ergänzen.

«Bald kann man auch keinen von unserer Generation mehr fragen», das hat ihm kürzlich jemand in einem Gespräch im Elmer Hinterland gesagt. Doch in Gäng Freitags Dokumentationen über «Landwirtschaft und Familien Elm» können nicht nur sein Sohn und seine Tochter oder seine vier Enkel nachschlagen, sondern wer immer sich für Elm und seine Bauernfamilien interessiert. «Viele sind interessant, aber ich möchte niemanden herausheben aus den vielen Familien.»

Hinweis 

Die Fotobücher sind in der Landesbibliothek Glarus ausleihbar oder können bei Wolfgang Freitag gekauft werden.

Wolfgang Freitag hat bis zur Pensionierung 2007 als Bauer, Chauffeur und Pistenpatrouilleur, Forst- und Gemeindeangestellter gearbeitet. Er ist 78-jährig, verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder. Als Hobbys nennt er Schiessen und Fotografieren, einen Jass klopfen und mit seiner Frau Anna E-Bike-Ausflüge unternehmen. Bis vor Kurzem war er auch Sänger und Fähnrich im Männerchor Elm.

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