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Besuch bei der Notrufzentrale: «Emotionaler und sensibler»

Kantonspolizist Martin Hartmann und 20 weitere Personen der Einsatzzentrale nehmen unsere Notrufe entgegen.

Bündner Woche
02.12.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Einsatzzentrale der Kantonspolizei Graubünden: auch über die Feiertage 24 Stunden im Einsatz.
Einsatzzentrale der Kantonspolizei Graubünden: auch über die Feiertage 24 Stunden im Einsatz.
Karin Hobi

Von Karin Hobi

Martin Hartmann ist seit genau 35 Jahren bei der Kantonspolizei. Seit rund 16 Jahren ist er in der Einsatzzentrale tätig und inzwischen einer der zwei stellvertretenden Leiter. Er gehört zu den Personen, die an Feiertagen wie Weihnachten arbeiten und für die Bevölkerung im Einsatz stehen.

Herr Hartmann, die Advents- und Weihnachtszeit steht vor der Tür. Bringt das einen intensiveren Arbeitsalltag mit für Sie auf der Einsatzzentrale?

Intensiver nicht unbedingt. Aber die Hauptthematik liegt woanders. Viele Menschen sind emotionaler, sensibler und angespannter. Und so manche Familie verbringt auf einmal viel Zeit miteinander. Was leider schöner klingt, als es in der Realität manchmal ist, denn es kann auch für mehr Konfliktpotenzial sorgen. Streitigkeiten werden während der Weihnachtszeit zu einem grossen Thema und viele verzweifelte Personen rufen uns deswegen an.

Wie gehen Sie bei einem solchen Anruf vor?

Wie bei fast jedem Anruf ist die Frage «Wo sind Sie?» eine der wichtigsten, die ganz zu Beginn gestellt werden muss. Denn diese Information geht in einer emotionalen Situation bei der Person, die uns anruft, sonst vergessen. Und wenn wir hören, wie im Hintergrund beispielsweise jemand wütet und vielleicht alles zusammenschlägt, und die Anruferin oder der Anrufer auf einmal das Telefongespräch unterbricht, müssen wir den Standort kennen. Natürlich können wir diesen ungefähr ermit­teln, dabei kann aber wichtige Zeit verloren gehen. Wir fragen die Personen jeweils auch nach allen Anwesenden, ob jemand verletzt ist und ob sie sich bei Gefahr irgendwo einschliessen oder den Ort verlassen können.

Bereiten Sie sich auf die Weihnachtszeit im Speziellen vor für Ihre Einsätze?

Nein. Diese Themen sind in den regelmässigen Schulungen enthalten. Wir üben zudem an eigenen aufgezeichneten Fallbeispielen, um uns weiterzubilden. Natürlich sind wir auch nur Menschen und in manchen Situationen macht sich schon etwas Adrenalin bemerkbar. Aber der Gedanke, als Polizist zu helfen, steht an erster Stelle.

Gibt es weitere Themen, die während der Weihnachtszeit verstärkt zunehmen?

Die Einsamkeit. Menschen, die alleine sind und in dieser Zeit besonders fest darun­ter leiden. Sie brauchen in dem
Moment vor allem jemanden, der ihnen zuhört. Dass viele Menschen mit solch emotionalen Themen bei uns anrufen, liegt wohl daran, dass unsere Notrufnummer eingeprägt ist. Wer weiss schon die Nummer der «Dargebotenen Hand» auswendig? Ausserdem gibt es während Feier­tagen, nicht nur an Weihnachten, vermehrt Raufereien oder Schlägereien. Oder Betrun­kene, die irgendwo in einem Hauseingang übernachten. Wir arbeiten auch eng mit der Stadtpolizei zusammen, die an Anlässen wie beispielsweise dem Weihnachtsmarkt regelmässig vor Ort ist. Das federt bereits viel ab. Die gesamten Notrufe kommen aber bei uns rein und wir machen die Triage. Eine unserer Aufgaben beinhaltet, Hilfesuchende an die entsprechenden Stellen wie beispielsweise die Kesb, Opferhilfestelle oder eben die «Dargebotene Hand», weiterzuleiten, falls dies gewünscht wird.

Martin Hartmann: seit rund 35 Jahren im Einsatz bei der Kantonspolizei.
Martin Hartmann: seit rund 35 Jahren im Einsatz bei der Kantonspolizei.

Wie sieht es mit Verkehrsunfällen aus?

Die sind während dieser Zeit nicht unbedingt zunehmened.

Dafür aber die Einbrüche?

Ja, die Dämmerungseinbrüche nehmen zu. Leider rufen uns die Leute noch viel zu selten an, wenn sie etwas beob­achten. Eine fremde Person zum Beispiel, die um das Haus schleicht. In diesem Fall wären wir froh um mehr Beobachtungsmeldungen der Bevölkerung. Erst nach einem Einbruch kommen dann Rückmeldungen, dass schon vorgängig etwas bemerkt wurde. Der Mut für den Anruf fehlt wohl
jeweils leider. Vielleicht, weil es sich um einen Fehlalarm handeln könnte.

Sind bei der Einsatzzentrale während der Adventszeit mehr Polizisten im Einsatz?

Nur an Weihnachten und Neujahr. Ansonsten führen wir denselben Schichtbetrieb mit Verstärkung im Hintergrund und sind wie immer rund um die Uhr da. Es ist jeweils schwer einschätzbar, was der jeweilige Tag oder die Nacht bringt. Zu manchen Zeiten gibt es nur ganz wenige Anrufe und dann gibt es auch die Zehnstundenschichten, wo einem danach der Kopf brummt. Das ist unberechenbar. In der ersten Zeit im Dezember kann es noch sehr ruhig sein. Und dann tauchen die emotionalen Geschichten und familiären Problemen immer mehr auf.

Gab es während der vielen Jahre, in der Sie bei der Einsatzzentrale arbeiten, Veränderungen, was die eingehenden Anrufe betrifft?

Auf jeden Fall. Ich habe so manche Veränderung miterlebt. Was mir besonders auffällt ist, dass viel mehr Menschen anrufen, wenn sie jemanden am Boden liegen sehen. Meistens hat sich der Anrufer oder die Anruferin bereits von dieser Person entfernt und teilt uns nur den Standort mit, damit wir uns darum kümmern. Die wenigsten gehen hin und schauen, ob es etwas zu helfen gibt. Deshalb können sie uns auch nicht genauer informieren, ob der oder die Betroffene verletzt oder gar in Not ist.

Wie gehen Sie in so einem Moment vor?

Im Zweifelsfall schicken wir natürlich eine Patrouille. Es gibt auch Situationen, da bitte ich die Anrufenden, nochmals zu dieser Person zurückzukehren. Um
genauer hinzusehen, was da los ist. Ob die Person vielleicht blutet. Ob sie ansprechbar ist. Wir bleiben währenddessen selbstverständlich am Telefon, stehen unterstützend zur Seite und wägen dann ab, ob es unsere Hilfe braucht.

Treffen Sie wichtige Entscheidungen im Team?

Wir arbeiten als eingespieltes Team richtig gut zusammen. Wenn aber viel läuft, steht nicht immer sofort eine Gesprächsperson zur Verfügung. Somit trägt man die alleinige Verantwortung für das Vorgehen. Das braucht ein gutes Feingefühl und die richtige Kommunikation, denn manchmal handelt es sich um Sekundenentscheide. Aber wie gesagt: Im Zweifel handeln wir immer für den Menschen, der in Not ist. Das ist unsere allererste Priorität. Dafür sind wir da, um bestmögliche Hilfe zu bieten. Das ist manchmal match­entscheidend.

Was bedeutet die Advents- und Weihnachtszeit für Sie persönlich?

Für mich hat diese Zeit keine grosse Bedeutung mehr. Ich habe zwar schöne Erinnerungen an die Weihnachtstage meiner Kindheit. Aber inzwischen bin ich wohl geprägt von all den Schattenseiten, die ich hier mitbekomme.

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