×

Einblick in die Arbeit der Spurensicherung

Besuch beim Kriminaltechnischen Dienst bei der Spurensicherung der Kantonspolizei Graubünden.

Bündner Woche
23.02.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Konzentriert: Martin Hepberger vergleicht auf dem Bildschirm den Fingerabdruck einer gesicherten Tatortspur mit dem einer Person.
Konzentriert: Martin Hepberger vergleicht auf dem Bildschirm den Fingerabdruck einer gesicherten Tatortspur mit dem einer Person.
Riccarda Hartmann

von Susanne Turra

Die Fensterscheibe ist eingeschlagen. Eine Schublade leicht geöffnet. Auf dem Tisch steht eine leere Flasche Wein. Bei diesem Anblick wird die Hausherrin erst einmal wütend. Und der Mitbewohner sofort verdächtigt. Bestimmt hat er die Schublade nicht geschlossen. Die Flasche Wein ausgetrunken. Und die Fensterscheibe? Unsicherheit steigt auf. War vielleicht doch eine fremde Person im Haus? Die Polizei wird gerufen. Und kurze Zeit später ist ein Kriminaltechniker oder eine Kriminaltechnikerin vor Ort. Sie nehmen die Spurensicherung auf. Mit Handschuhen, selbstverständlich. Denn ab sofort heisst es: «Bitte nichts anfassen.» Ein durchaus mögliches Szenario.

Die Spur ist eine stumme Zeugin

«Bitte nichts anfassen.» Darum bittet auch Martin Hepberger, an jenem Dienstagmorgen auf dem Polizeikommando Chur. Als Chef der Fachgruppe Technik des Kriminaltechnischen Dienstes bei der Kantonspolizei Graubünden, ist er für die Spurensicherung zuständig. Er führt ins Labor. Verkehrsunfälle. Einbrüche. Sachbeschädigungen. Personenschaden. «Wir sichern in allen Bereichen», erklärt der Fachmann. «Wir versuchen, Spuren zu finden, um die Ermittlung zu unterstützen.» Aber Achtung. Die Spur ist eine stumme Zeugin. Unbeeinflusst. Unbeeindruckt. Sie ist einfach da. Schlussendlich muss sie interpretiert werden. Ist sie täterisch? Oder nicht? «Das ist unser Job», so Martin Hepberger. Ganz wichtig dabei: «Wir sind neutral. Wir müssen nicht nur überführen können. Wir müssen auch ausscheiden können. Sagen, der oder die kommt als Täter oder Täterin nicht infrage.» Und so lässt die Spurensicherung am Tatort erst einmal alles auf sich wirken. Unabhängig allfälliger Schilderungen von aussen. «Wir machen uns das eigene Bild», so der Fachmann. Und: «Wir versuchen, uns in die Situation von Täterschaft und Opfer hineinzuversetzen. Versuchen, den Ablauf der Geschichte zu verstehen.»

Gut erkennbar: Mit der Spurenlampe werden die Fingerabdrücke auf einer Scherbe der Fensterscheibe sichtbar. Bild Riccarda Hartmann
Gut erkennbar: Mit der Spurenlampe werden die Fingerabdrücke auf einer Scherbe der Fensterscheibe sichtbar. Bild Riccarda Hartmann
Übergross: Die Fingerabdrücke werden nach dem Grundmuster verglichen. Bild Riccarda Hartmann
Übergross: Die Fingerabdrücke werden nach dem Grundmuster verglichen. Bild Riccarda Hartmann

Und dann wird gesucht. Dabei stellen sich viele Fragen. Wie ist die Täterschaft hereingekommen? Wo musste sie etwas anfassen? Wo musste sie mit den Füssen hintreten? Im Fall der eingeschlagenen Fensterscheibe, wie im eingangs erwähnten Szenario geschildert, muss die Täterschaft über das Fenstersims ins Haus eingedrungen sein. «Dort, wo der Mensch im Normalfall nicht hintritt, verläuft eine täterische Spur», erklärt Martin Hepberger. «Deshalb ist bei einem Einbruch der Einstiegsort sehr wichtig.» Der Fachmann leuchtet mit der Spurenlampe dorthin, wo er solche Spuren vermutet. Tatsächlich. Die Spur einer Schuhsohle ist schwach zu erkennen. Um sie sichtbarer zu machen, drückt er kurz eine schwarze Gelatinefolie auf den Schuhabdruck. Jetzt ist er gut zu erkennen. Der Abdruck wird später beim Kriminaltechnischen Dienst digitalisiert. Allein der Schuhabdruck identifiziert zwar noch keine Person. Aber er ist ein erster Hinweis. Möglicherweise auch auf ein Serienverbrechen. Wenn beispielsweise mehrere Einbrüche in derselben Nacht und der gleichen Gegend verübt werden, und die Spurensicherung findet immer denselben Schuhabdruck, dann deutet das schon auf die gleiche Täterschaft hin.

Und dann ist da noch die DNA

Und die Flasche Wein? Die Spurensicherung weiss vom Opfer, dass die Flasche vor dem Einbruch halb voll war. Und jetzt ist sie leer. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Täterschaft sie ausgetrunken hat, ist gross. Schwarzes Magnetpulver lässt in diesem Fall die Fingerabdrücke erkennen. Und diese sind in jedem Fall personenidentifizierend. Vorausgesetzt, die Person ist in der Schweizerischen Datenbank registriert. Und dann ist da noch die DNA. Eine Spur, die nicht einfach so zu sehen ist. Vielmehr müssen allfällige Kontaktstellen gesucht werden, die für eine entsprechende Analyse geeignet sind.

Wir wechseln den Raum. Und widmen uns den Auswertungen. Der Bildschirm zeigt zwei übergrosse Fingerabdrücke. Hier soll eine gesicherte Tatortspur mit dem Fingerabdruck einer Person verglichen werden. Zuerst gilt es, sogenannte Minutien, also feine Merkmale auf dem Fingerabdruck zu suchen. Als Grundsatz gibt es dazu vier verschiedene Muster: A-Muster, Wirbel, Schlinge und T-Muster. Das A-Muster zeigt eine leichte Welle im Finger. Der Wirbel dreht sich als Linie um den Finger. Die Schlinge links und rechts dreht sich um einen Punkt und verläuft nach aussen. Und beim T-Muster verläuft eine ansteigende Linie nach oben. Nach diesem Muster kann eine erste Grundbeurteilung des Fingerabdrucks vorgenommen werden. «Wenn das Grundmuster nicht übereinstimmt, müssen wir nicht weiter vergleichen», gibt Martin Hepberger zu verstehen. Jeder Fingerabdruck ist anders. Selbst eineiige Zwillinge haben nicht dieselbe Prägung. Der Fingerabdruck entsteht im Entwicklungsstadium des Fötus. Hier gibt es Dinge, die den Abdruck beeinflussen können.

Video Riccarda Hartmann

So oder so. «Eine Tat zu begehen, ohne Spuren zu hinterlassen, ist praktisch unmöglich», versichert Martin Hepberger. «Schwierig ist es einfach immer, die Spur zu finden.» Und wenn der Tatort draussen in der Natur ist, wird es ganz schwierig. Die Witterung oder andere Umstände können die Spuren bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Im Einbruchbereich indessen sind neben Finger- und Schuhabdrücken auch Werkzeugspuren relevant. Einen Schliesszylinder entfernen. Eine Türe entriegeln. Ein Fenster aufbrechen. Die Klassiker. Solche Delikte hinterlassen Scharten- oder Kratzspuren und Prägespuren. Auch diese Spuren werden bei der Kripo digitalisiert. Dabei zeigt ein Algorithmus auf, ob ein ähnlicher Vorgang schon gespeichert ist. Vier Fachleute arbeiten auf diesem Gebiet. Und überhaupt. «Wir arbeiten immer nach dem Vieraugenprinzip», betont Martin Hepberger. «Vier Augen sehen besser als zwei.»

Übrigens widmet sich die Spurensicherung auch den gefälschten Ausweisen. Diese kommen zur Überprüfung zum Kriminaltechnischen Dienst. Das Bild wechseln. Und eine falsche Identität annehmen. Solche Delikte sind mit der neuen Identitätskarte und dem neuen Schweizerpass kaum mehr möglich. Mittlerweile sind die Ausweise mit vielen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet. Das gilt sowohl für das Papier als auch für das Druckverfahren. Vieles können wir auf den ersten Blick gar nicht sehen. Nur das UV-Licht bringt einige Überraschungen an den Tag. Beispielsweise ziehen sich beim Foto Linien über das Gesicht. Gewusst? Wer also beim Fälschen nur das Bild auswechselt, tappt mit Sicherheit in die Falle. Also gar nicht erst versuchen.

Die Nase vorn haben

Wie auch immer. Die Kriminalpolizei möchte Opfern helfen und Täterinnen und Täter überführen. Aber das ist gar nicht immer so einfach. Denn, die Täterschaft lernt dauernd dazu. Versucht laufend, ihre eigenen Spuren zu verwischen. «Wichtig ist, dass wir da immer die Nase vorn haben», bringt es Martin Hepberger auf den Punkt. «Und dass wir eine Spur besser sind.»

Inhalt von buew logo
Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Leben & Freizeit MEHR