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Das digitale Dorfbänkli lädt zum Zuhören ein

Der Filmer, Fotograf und Musiker Casper Nicca aus Casti hat mit «Beverin Interviews» ein multimediales Projekt lanciert. Er lässt Menschen aus dem Parkgebiet von ihrem Leben erzählen.

Jano Felice
Pajarola
03.01.22 - 16:18 Uhr
Leben & Freizeit

Sie hacken Holz. Sie schippen Schnee. Die Menschen auf Casper Niccas Fotografien tun das, was man in einem Bündner Bergdorf eben tut, wenn die Umstände es verlangen. Manchmal reden sie auch. Nicht auf den Fotos, aber vielleicht auf dem Dorfbänkli, zum Beispiel in Casti am Schamserberg, Niccas Wohnort. Dumeni könnte da sitzen, der Älteste im Weiler, einer, der noch viel von früher weiss. Und doch kommt es vor, dass er etwas vergisst. «Dann ärgert er sich darüber, dass er nichts aufgeschrieben hat», sagt Nicca. «So geht viel Wissen verloren.» Und genau dagegen will der Filmer, Fotograf und Musiker etwas tun: mit seinem eben lancierten multimedialen Projekt «Beverin Interviews».

«Jedes Leben ist erzählenswert»

Oral History nennt man das, was Nicca beabsichtigt und teilweise auch schon umgesetzt hat. Er lässt Menschen aus dem Naturpark frei aus ihrem Leben erzählen und filmt sie dabei. Und er lichtet sie ab, auf «langsame» Art und Weise, also analog, mit Mittel- oder Grossformatkameras, technisch wie aus der Zeit gefallen. Weil das, was sie zu berichten haben, «nicht nur in den Erzählungen, den Videos, lebt, sondern auch in den Gesichtern.» Für Nicca ist klar: «Jeder Mensch lebt sein Leben, und jedes dieser Leben ist interessant und erzählenswert.» Und weil das Dorfbänkli heute kaum mehr der Ort dafür ist, weil die Menschen nicht mehr wie früher nach getaner Arbeit dort zusammenhocken, weil das Bänkli zusehends verwaist, wo es noch existiert, ist es nun Zeit für dessen digitale Version, findet der Autor. So wird das von Grafiker Silvan Nicca gestaltete beverininterviews.ch zum virtuellen Treffpunkt, an dem man Frauen und Männern einfach zuhören kann. Ihren Geschichten, unserer Geschichte. Denn, fragt Nicca, «was ist unsere Geschichte anderes als die Essenz der Lebensgeschichte der Menschen, die hier wohnen?»

Worum es im Projekt auch geht: um Sprache, oder – genauer – um «verblassende Sprachen», wie Nicca es formuliert. Im Naturpark werde Walserdeutsch, Bündnerdeutsch und Sutsilvan gesprochen, doch diese Dialekte würden immer mehr verwässert, «immer weniger Menschen sprechen sie überhaupt noch». Also soll man die Sprachmelodien wenigstens noch anhören können. Zum Beispiel das kernige Walserdeutsch von Julius Gilli aus Sufers. Er ist – neben Marlena Zinsli-Bandli aus Andeer, Johann Egger aus Hinterrhein und Gieri Christ Michael aus Farden – eine der vier ersten Personen, die auf beverininterviews.ch präsent sind. Der pensionierte Landwirt erzählt davon, wie das Tal vor dem Bau des Stausees aussah, von den Weiden, dem Moorgebiet, dem wilden Rhein. Doch dann kam die Abstimmung – und eine Mehrheit war für das Staumauerprojekt. Noch heute sei er nicht sicher, was er vom See halten solle. Vielen gefalle er, aber die wüssten nicht, wie es vorher dort ausgesehen habe, findet Gilli.

Auf fünf Jahre ausgelegt

Nicca steht am Anfang seines Projekts, es ist auf eine Dauer von fünf Jahren ausgelegt. In regelmässigen Abständen sollen neue Porträts erscheinen. Zu erzählen gibt es noch viel. Und das digitale Dorfbänkli hat durchaus seine Vorteile: Es hat Platz für mehr als nur zwei, drei Lauschende. Und zuhören kann man immer, wenn man grad Lust und Zeit hat.

Jano Felice Pajarola berichtet seit 1998 für die «Südostschweiz» aus den Regionen Surselva und Mittelbünden. Er hat Journalismus an der Schule für Angewandte Linguistik in Chur und Zürich studiert und lebt mit seiner Familie in Cazis, wo er auch aufgewachsen ist. Mehr Infos

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