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Ein erster Besuch im Zweithand-Laden

«Glarner Nachrichten»-Fotograf Sasi Subramaniam trifft zwei Schwestern in ihrem Kleidergeschäft und Nähatelier. 

Sasi
Subramaniam
10.01.21 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Ich fühle mich jedes Mal schuldig, wenn ich Annette Streuli sehe. Der Grund dafür ist ein Bild, das in der Zeitung veröffentlicht wurde, von einem Konzert in Glarus, an dem sie sang. Ich habe dieses Foto mit einem neu gekauften Fischauge-Objektiv aufgenommen. Annette Streuli meint, dass sie auf diesem Bild nicht gut aussehe. Das sagt sie jedes Mal, wenn wir uns auf der Strasse oder irgendwo treffen.

Ich fühle mich jedes Mal verloren, wenn ich Eva Gallati sehe. Das liegt daran, dass ich immer noch nach einem Bild suche, das ich von ihr gemacht habe. Vor ungefähr sechs Jahren zeigte sie einer Flüchtlingsfamilie, wie man Schweizer Essen kocht. Für eine Fotoreportage habe ich das fotografiert. Das Wohnzimmer des Hauses, in dem die Familie lebte, war durch einen Vorhang zweigeteilt. Als ich die Stimme eines Kindes gehört habe, merkte ich, dass die Hälfte des Wohnzimmers als ein Zimmer verwendet wird. Also wartete ich, bis jemand rauskommt. Plötzlich teilte ein Kind den Vorhang. Das war mein Bild. Doch leider habe ich die Bilder dieses Tages verloren und bis heute nicht mehr wiedergefunden.

Ich fand später heraus, dass meine beiden Protagonistinnen der heutigen Begegnung Geschwister sind. Sie führen seit Mai 2020 an der Hauptstrasse in Glarus ein Secondhand-Geschäft für Damen. Dort verkaufen sie neuwertige Kleider und Accessoires wie Schals, Hüte, Taschen oder Gurte. Es ist gute Qualität – keine Billigware. Alle Kleidungsstile sind vertreten. «Wir verkaufen abwechslungsreiche Mode zum günstigen Preis, regional eingekauft», erzählt Annette Streuli über ihre Idee: «Weiter verwenden statt wegwerfen und etwas Taschengeld damit verdienen.»

«Wir lieben beide die Mode und trauen uns, dies zu leben. Das heisst, unsere Persönlichkeit und Stimmung über unsere Kleidung auszudrücken», sagt Annette Streuli. Die beiden Schwestern nehmen die Kleider in Kommission und bestimmen die Verkaufspreise selber. 40 Prozent des Verkaufspreises der Ware gehen an die «Lieferantin». Was sie nicht verkaufen können, kann nach Wunsch entweder dem Solishop in Schwanden gespendet oder wieder abgeholt werden.

«Gerne beraten wir Kundinnen, die einen neuen Kleidungsstil ausprobieren möchten», sagt Eva Gallati über ihre Stilberatung. Sie macht Änderungen und Neuanfertigungen von Kleidern und flickt auch, wenn etwas kaputt gegangen ist. Abgeben kann man die Kleider im Laden, ihr Atelier befindet sich an ihrer Wohnadresse in Ennenda.

Als Co-Autor des Bestseller-Brockenhaus-Buchs besuchte ich zahlreiche der schönsten Brockis der Schweiz. Ich kann sagen, dass die beiden Schwestern mit ihrem Secondhand-Laden mithalten können.

Sasi Subramaniam ist Fotograf bei den «Glarner Nachrichten». In seiner Fotokolumne erzählt er von seinen Begegnungen, die er in Bildern festhält.

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