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Vom Heizöfeli bis zur Hightech-Anlage

Wo heute alles rund um die Unterhaltungselektronik angeboten wird, begann 1929 in Oberurnen mit einem einfachen Elektriker-Geschäft. Aber der Name ist immer noch der gleiche: Radio Noser.

Südostschweiz
01.05.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Gabi Heussi

Der junge Meinrad Noser wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in Oberurnen auf. In seine Jugendzeit fällt der Einzug der Elektrik. Die Bahn ins Glarnerland dampft zwar noch mächtig, aber die Strassenbeleuchtungen in den Dörfern werden Stück für Stück elektrifiziert, und auch in den Haushalten hält der Strom langsam Einzug. Elektrische Heizgeräte wärmen Stuben auf und in der Küche kann die Hausfrau einfach den Schalter umdrehen, und schon wird die Herdplatte warm. Das aufwendige Einfeuern fällt weg.

Meinrad findet Freude an diesem neuen Element. 1929 eröffnet er an der Landstrasse in Oberurnen sein eigenes Geschäft. Dort repariert er Elektrogeräte und nimmt Aufträge für die Elektrifizierung von Häusern und Fabriken entgegen.

Zu dieser Zeit arbeitet Marie Geu in der Seidenweberei Spitz in der Gant in Oberurnen. Zusammen mit anderen jungen Frauen ist sie aus dem Wägital gekommen, um in der Fabrik ennet dem Bergzug und dem Obersee Geld zu verdienen. Meinrad und Marie begegnen sich. Eine Liebe entsteht und bald wird geheiratet. Nun führen sie das Geschäft gemeinsam. Im Dorf trägt Meinrad den Übernamen Ampère. Und zu seinem Geschäftsmotto macht Meinrad den Satz «Meinradio – Deinradio», denn in seinem Schaufenster stehen die ersten Radios, die es zu dieser Zeit gibt.

Bald beleben Kinder das Haus. Rosmarie, Armin, Lilly und Erwin heissen die vier jüngsten Nosers. Die zwei Buben und zwei Mädchen machen das Familienglück perfekt. Sie besuchen die Schule im Dorf, Armin dann die Klosterschule in Näfels.

Als eine von Armins Schwestern eines Tages mit einem gelben Rock zur Schule geht, erhält sie den Übernamen «Nullleiter». «Der Nullleiter ist jeweils gelb – und davon ist der Übername abgeleitet», erklärt Armin Noser mit 91 Jahren gerne.

Amerika als Ziel

Vater Meinrad plant, sein Elektro-Geschäft in späteren Jahren an seine beiden Söhne zu übergeben. Während sich der jüngere, Erwin, schnell als Handwerker entwickelt, ist Armin nicht glücklich über diesen Wunsch. Er hätte sich lieber als Pfarrer oder Lehrer gesehen. Aber Vater Meinrad hat kein Einsehen. Armin muss Elektro-Installateur werden. Schweren Herzens absolviert er die Lehre im elterlichen Betrieb. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitet er noch ein Jahr im elterlichen Geschäft, entschliesst sich dann aber zu einer zweiten Ausbildung. In Zürich wird er Radiotechniker und findet nun Gefallen an seinem neuen Beruf. In dieser neuen, zukunftsträchtigen Welt, rund um die Radiotechnik, sieht er seine Zukunft.

Armin bildet sich auch in die kaufmännische Richtung weiter und findet 1949 einen Job bei einer Zweigniederlassung der amerikanischen Unternehmung General Electric in Zürich. Sein grosser Ehrgeiz und seine Zuverlässigkeit bringen es mit sich, dass er ein Stellenangebot in dieser Firma in Amerika erhält. Der junge Glarner freut sich auf diese grosse Reise, kündigt den Arbeitsvertrag in Zürich und bereitet sich intensiv auf den neuen Lebensabschnitt vor. Ein grosses Abenteuer steht ihm bevor.

Aber es kommt anders. Der Kontaktmann von General Electric in Amerika wird auf einer Farm von einem angreifenden Stier tödlich verletzt. Das ganze Vorhaben wird abgesagt. Armin Noser bleibt in der Schweiz.

Trotz dieses Rückschlags schaut er nach vorne und ist zuversichtlich. Er lebt weiterhin in Zürich und beginnt mit dem Verkauf der neuesten Dampfbügeleisen, Ventilatoren und Heizlüfter. Das Geschäft floriert und Armin wird ein tüchtiger Geschäftsmann. So nimmt er langsam auch das Glarnerland als Verkaufsgebiet ins Auge. Bald verkauft er diese neumodischen Elektrogeräte auch im Kanton Glarus, auf eigene Rechnung.

Das eigene Geschäft

1952 übernimmt Armin den Geschäftszweig «Radio» im elterlichen Geschäft in Oberurnen, das inzwischen an die Adlerstrasse disloziert ist. Dort erweitert er die Ausstellungsfläche und wird begehrter Fachmann, wenn es um die neuesten Radiogeräte geht. So stehen die Marken Telefunken, Grundig und Saba im Schaufenster, und manch ein Glarner drückt sich beim Betrachten die Nase an der Scheibe platt.

Ein Jahr später eröffnet Armin an der Ziegelbrückstrasse in Niederurnen, im Haus von Hemden Pfister, einen Filialbetrieb. Damit er immer auf dem neuesten Wissensstand ist, bildet er sich fortlaufend weiter und erhält 1957 die Fernseh-Installations-Konzession der PTT. Ein Zusatz, der sich für die Zukunft als sehr wichtig erweist.

Vor lauter Radio und Elektrik findet Armin kaum Zeit, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch mit 25 Jahren zeigt er Tanzveranstaltungen und Frauengeplänkel eher die kalte Schulter. Bis er eines Tages in einem Haushalt in Mollis der jungen Lina ein Grundig-Radiomöbel vorführen muss. Ahnungslos fährt er nach Mollis und trifft neben Lina auch deren Freundin Margrith Marti an. Margrith ist bei den Grosseltern in Schwanden aufgewachsen, Damenschneiderin und besitzt bereits ein eigenes Haute-Couture-Geschäft in Mollis. Die charmante junge Glarnerin verdreht dem Radiotechniker die Augen und schon ist es passiert.

Bald sind sich die beiden sicher: «Wir wollen die Zukunft gemeinsam verbringen.» Am 15. August 1958 läuten in Oberurnen die Hochzeitsglocken.

Nun leben die beiden abwechslungsweise bei den Eltern in Oberurnen und in Mollis, denn Armin plant sein eigenes Geschäft an der Bahnhofstrasse in Niederurnen. Am 5. September 1959, genau am 30. Geburtstag von Margrith, öffnen die Türen von Radio Noser an der Bahnhofstrasse 7.

Der Wunsch vom eigenen Geschäft ist perfekt geglückt. Das junge Paar begrüsst die Kunden strahlend.

Damenkleider, Radios und ein Töchterchen

Trotz des eigenen Unternehmens bleibt Margrith ihrem Beruf vorerst treu. Im eigenen Atelier, nun ebenfalls in Niederurnen, näht sie seidenzarte Damenkleider aus Stoffen, die Frauenherzen höherschlagen lassen.

Mit den Elektrogeräten kann sie sich nicht wirklich anfreunden, steht ihrem Mann aber immer gerne zur Seite.

Drei Jahre nach der Hochzeit kommt Töchterchen Ursi auf die Welt. Margrith hat nun einen weiteren Spagat zu bewältigen. Mutter, Schneiderin, Ehefrau und Elektrogeschäft – das alles fordert sie enorm. Aber die Liebe zum Beruf und ihre grosse Flexibilität bringen es mit sich, dass sie alles bestens bewältigt.

Ursi wächst in einer behüteten Welt auf und findet immer mehr Gefallen an den vielen elektrischen Apparaturen, die im elterlichen Betrieb verkauft werden. Sie ist gerne in der Werkstatt und schaut Vaters Angestellten über die Schulter. Auch das Geschäft, das in ihrem Geburtsjahr in Glarus eröffnet wurde, fasziniert sie. Dieses wird zum eigentlichen Vorzeige-Laden im Bezug auf Unterhaltungsgeräte.

Die Faszination des Fernsehens hat nun auch die hintersten Teile des Glarnerlandes erreicht. Die unzähligen Antennen, welche die Hausdächer schmücken, repräsentieren den Einzug des Fernseh-Zeitalters. So gibt es unzählige Winterabende, an denen die Angestellten von Radio Noser auf Balkone und Dächer klettern, den Schnee von den Antennen schütteln oder provisorische Antennen montieren, weil das Fernsehgerät als Weihnachtsgeschenk angeschafft wurde. Im Frühling und Sommer werden dann diese modernen «Christbäume» definitiv montiert und angeschlossen.

Die dritte Generation tritt an

Armin Noser bildet fast vom ersten Tag an unzählige Lehrlinge aus. Die Offiziersschule, die er 1951 in Bülach durchlaufen hat, bietet eine optimale Grundlage für die Führung eines grösseren Unternehmens mit Lehrlingen. So steht auch Rolf Giger an der Werkbank, schraubt und tüftelt an neuesten Geräten herum, repariert und installiert.

Im Alter von 18 Jahren spürt Ursi, «das ist mein Mann». Aber noch ist die Liebe einseitig. So trennen sich ihre Wege. Ursi wird Kauffrau, arbeitet anschliessend im Marketing bei Estée Lauder und bei einem Lautsprecherhersteller in der Westschweiz.

Bei einem grossen Gala-Abend einer Einkaufsgesellschaft, der Radio Noser angeschlossen ist, tanzen Rolf und sie die halbe Nacht. Sie hofft schon. Aber es bleibt bei einer guten, einfachen Freundschaft.

1988 kommt die junge Glarnerin ins elterliche Geschäft zurück, wird Mitaktionärin und arbeitet während vier Jahren mit Rolf zusammen, bis eine Geschäftsreise nach Florida alles verändert. Als Geschäftspartner reisen sie ab, als Paar kommen sie zurück.

Beide hatten sie etwas Herzklopfen, ihre Liebe Armin Noser zu gestehen. Rolf weiss, wenn diese Liebe scheitert, ist er seinen Job in diesem Unternehmen los. Aber die Freude der Eltern ist gross. Sie schliessen den Schwiegersohn ins Herz und sehen in ihm einen optimalen Nachfolger.

Neuorientierung

In der Zwischenzeit ist die Belegschaft auf rund 30 Personen angestiegen. Zehn Service-Fahrzeuge mit dem Schriftzug Radio Noser AG sind unterwegs und leisten den gewünschten Kundendienst.

Mit dem Einzug der CDs in die Unterhaltungselektronik hat sich auch das Musikverhalten in den Restaurants verändert. Die Musikautomaten spielen nur noch selten. So verkauft Armin Noser den gesamten Automatenpark. Auch die Vinyl-Langspielplatten verschwinden aus dem Sortiment.

Als die Landsgemeinde im Mai 1993 den Umbau des Hauses «Hug», in dem Radio Noser in Glarus untergebracht ist, beschliesst, ziehen sie für ein Jahr in ein Provisorium. Ende Oktober 1994 feiern sie die Wiedereröffnung.

Im gleichen Jahr übernehmen Ursi und Rolf Giger-Noser das Geschäft des Vaters. Die beiden ergänzen sich bestens und bringen frischen Wind ins Geschäft. Vater Nosers oberstes Ziel war es immer, Unterhaltungselektronik auf höchstem Niveau anzubieten. Dieser Linie bleibt auch die nächste Generation treu. Sie legen grossen Wert auf Schweizer und europäische Technologien mit Marken wie JMC, Piega, B&O oder Metz.

Während Armin Noser in die Nachbarschaft umgezogen ist, wohnt nun die dritte Generation im oberen Stock des Geschäftshauses. Die beiden Töchter Carla und Neva bringen noch mehr Leben in den Alltag.

Der Druck, den Grossverteiler und Online-Anbieter auf Detaillisten ausüben, spürt auch Radio Noser. Und so will es der Zufall, dass Rolf Kohler, Inhaber von Elektro Bernegger in Glarus, eine Wendung in die Geschichte bringt. Sein Jugendtraum war es schon immer, aktiv in die Unterhaltungs-Elektronik einzusteigen. Unter der Bedingung, dass Kohler die gesamte Belegschaft von Radio Noser übernimmt, ist der Handel bald abgeschlossen. Ende 2016 heisst der neue Inhaber Rolf Kohler. Rolf Giger-Noser bleibt dem Unternehmen als Projektleiter erhalten und bringt seine Ideen gerne mit ein.

Armin Noser wähnt sich glücklich über diese Lösung. Während er im ersten Moment befürchtete, sein Lebenswerk gehe jetzt zu Ende, sieht er, dass sein erfolgreiches Unternehmen gut gerüstet in die Zukunft geht.

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