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Scharfe Messer seit über hundert Jahren

Wenn es richtig gut schneiden muss, dann ist der Messerschmied gefragt. Ferraris haben das Messerschleifen im Blut.

Südostschweiz
23.04.20 - 17:21 Uhr
Leben & Freizeit

Von Gabi Heussi

Das Val Rendena im nördlichen Italien ist im 19. Jahrhundert als eigentliches Tal der Schleifer bekannt. Unzählige Messerschleifer sind von dort aus in die Welt gereist und haben Küchen-, Metzger- oder Rasiermessern wieder den perfekten Schliff verpasst.

So zieht auch Antonio Ferrari um 1885 vom Val Rendena aus über Österreich in die Schweiz, um Arbeit zu suchen. Er weiss, dass der Kanton Glarus ein Industriekanton ist, der immer gute Arbeiter braucht. In Schwanden lässt er sich nieder, richtet seinen Schleifstein ein und holt in den Fabriken und Haushaltungen alles ab, was geschliffen werden muss. Wünscht die Kundschaft ein neues Messer, so nimmt er seine Esse in Betrieb und schmiedet das Eisen im wahrsten Sinne des Wortes, so lange es heiss ist.

Zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls aus Norditalien stammt, hat Antonio drei Söhne: Angelo, Fortunato und Virginio. Der Familie gefällt es in Schwanden, sie sehen einer positiven Zukunft entgegen und so beschliessen sie, dass sie im Glarnerland bleiben und den Hausteil an der Bahnhofstrasse 56 käuflich erwerben. Die Buben wachsen heran und lernen den Beruf ihres Vaters. Aber nicht für alle drei hat es genügend Arbeit im elterlichen Betrieb. So zieht Fortunato nach Glarus und Virginio nach Luzern, wo jeder sein eigenes Messerschleif-Geschäft gründet und erfolgreich betreibt.

Angelo, der in Schwanden bleibt, arbeitet im Familienbetrieb mit. Als die Familie einmal in ihre alte Heimat fährt, lernt Angelo Emma Lorenzi kennen. Emma lebt mit ihrer Familie in Wien, wo sie ein angesehenes Geschäft führen. Ebenfalls eine Messerschleiferei, die dann aber im Zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht wird.

Zwischen Angelo und Emma entwickelt sich eine Liebe und so heiraten die beiden Ende der 20er-Jahre.

Handarbeit ist gefragt

Gemeinsam führen sie das Geschäft in Schwanden, wo Angelos Eltern den Grundstein für eine lange Zukunft legten. Emma arbeitet im Laden und auch in der Werkstatt mit. Neben den Messern stellen Ferraris auch Schirme her und reparieren diese, wenn ein Sturm zu stark war.

In den Regalen in der Werkstatt im hinteren Gebäudeteil warten Griffe und Holzgestelle auf das Zusammensetzen und Bespannen. Schwere schwarze Stoffballen lagern daneben. Daraus schneidet Emma die dreieckigen Stoffteile und näht sie fein säuberlich zusammen. Dafür hat Angelo zwei Schnellnäher – spezielle Nähmaschinen mit Fussantrieb – angeschafft.

Noch sind fast alle Schirme schwarz, was für die Augen der Näherin eine wahre Herausforderung ist.

Aus dem Paar ist in der Zwischenzeit eine Familie geworden. 1930 kommt Anton auf die Welt, 1933 Rico.

Das Haus, in dem die Familie lebt und arbeitet, ist etwas in die Jahre gekommen. Ein Haus, das bereits bedeutende Gäste bei sich aufnahm. So soll 1799 General Suworow hier gegessen haben, als es noch ein Wirtshaus war.

Angelo entscheidet sich 1935 für eine erste Renovation. Die Fassade erhält einen neuen Anstrich, die Fenster werden ausgewechselt und die Schaufenster den neuesten Trends angepasst.

Im darauffolgenden Jahr erhalten die beiden kleinen Buben noch ein Schwesterchen. Adele macht das Familienglück perfekt.

Die beiden Buben treten in die Stapfen des Vaters und lernen den Beruf des Messerschmieds. Adele macht die Verkäuferinnenlehre, heiratet und zieht aus Schwanden weg.

Wie bereits seine beiden Onkel Fortunato und Virginio, schaut sich auch Anton anderweitig nach einer Stelle um. So eröffnet er am 1. April 1955 am Stauffacherplatz in Zürich sein eigenes Geschäft: A. Ferrari, Messerschmied, ist über dem beleuchteten Schaufenster zu lesen.

Auch in Schwanden heisst das Geschäft A. Ferrari, Messerschmied. Angelo nimmt seinen Sohn Rico mit ins Unternehmen und eröffnet 1956 eine Filiale in Näfels. Rico ist für Näfels zuständig, wo er als Unterstützung eine Angestellte im Laden beschäftigt. Die Geschäfte florieren. Vater und Sohn beliefern ihre Kunden über die Kantonsgrenzen hinaus, bis nach Amden. Sie holen jede Art von Messern und Scheren bei ihren Kunden ab, schleifen sie in der Werkstatt und liefern sie wieder aus.

Die dritte Generation übernimmt unverhofft

Neben der Arbeit gehören auch Freizeit und etwas Vergnügen zum Leben von Rico. Er ist ein begnadeter Skifahrer und gewinnt manch ein Skirennen souverän.

Wie das Skifahren gehört auch das gesellschaftliche Leben zu seiner Freizeit. So amüsiert er sich eines Tages bei einer der legendären Tanzveranstaltungen im «Hotel Mariasee» in Weesen. Während die Musik lüpfige Takte spielt, der See ein südliches Ambiente zaubert, lernt er die junge Andrée Häny aus Niederurnen kennen. Der Funke springt über und die beiden heiraten 1962 in Schwanden. Rico und Andrée ziehen in das geschichtsträchtige «Grubenmann-Haus» am Kreuzplatz in Schwanden, wo sich im Erdgeschoss das Familienunternehmen befindet.

Wie bereits Jahre zuvor, leben auch jetzt mehrere Generationen im gleichen Haus. Und bald kommt die vierte Generation hinzu. Renato, Angelo und Corina wirbeln über die Treppen, den Laden und die Werkstatt. Es geht turbulent zu und her.

Im Geburtsjahr von Angelo, 1964, stirbt aber Grossvater Angelo im Alter von 60 Jahren unverhofft bei seiner Rückkehr von einer Italienreise.

Fast von einem Tag auf den anderen übernehmen Rico und Andrée das Geschäft. Grossmutter Emma arbeitet mit und hilft, wo sie nur kann. Im Laden, in der Werkstatt, in der Familie. So ist sie für die Grosskinder da und lebt weiterhin im gleichen Haus. Sie wird bis zu ihrem 85. Lebensjahr im Familienbetrieb mithelfen.

Andrée lernt von ihrer Schwiegermutter, wie man Schirme näht und repariert, steht im Laden, führt als gelernte Kauffrau das Büro und ist nebenher noch eine gute, geduldige Mutter von drei kleinen Kindern.

Vom Messerschmied zum Haushaltwarengeschäft

In der Zwischenzeit ist der kleine Colonialwarenladen, der dem Geschäft angegliedert war, aufgelöst und die Fläche gehört zum Messerschmied. 1974 kauft Rico Ferrari das gesamte Haus und vermietet die Räume im Erdgeschoss, wo einst die Papeterie Feldmann «Bibel Heiz» war.

Rico Ferrari liebt seinen Beruf als Messerschmied. So ist es für ihn wichtig, dass dieser Berufsstand weiterbesteht. Während seiner Zeit als Unternehmer bildet er insgesamt drei Messerschmiede aus.

Damit das Unternehmen im gesamten Kanton bekannt bleibt, sind Ferraris auch an der ersten Weihnachtsausstellung in Näfels im November 1975 vertreten. Dort zeigen sie ihr breites Sortiment, verkaufen und nehmen Aufträge entgegen. Auch die Kinder sind jeweils mit von der Partie und geniessen das bunte Treiben im damaligen SGU in Näfels.

Als kleiner Bub sieht sich Angelo aber noch nicht im elterlichen Geschäft. Er will Ingenieur werden. Dann packt ihn die Liebe zum Beruf des Messerschmiedes trotzdem und er absolviert von 1979 bis 1983 in St.Gallen die Lehre. Nach Anstellungen ausserhalb des Kantons kommt er zurück in den Familienbetrieb und übernimmt im Jahr 2000 die beiden Geschäfte in Schwanden und Näfels. Der Laden in Näfels ist in der Zwischenzeit von der Beuge in die Gerbi gezogen und wird weiterhin erfolgreich als Filiale von Schwanden aus betrieben.

Bereits seine Eltern sahen, dass eine Zukunft mit Messern und Schirmen alleine nicht möglich ist. Sie erweiterten das Sortiment mit Haushaltwaren, Gartenmöbeln und einer Geschenkboutique.

So heisst es heute Messer – Haushalt – Geschenke – A. Ferrari. In Schwanden sowie in Näfels. Für Angelo Ferrari gehört das Schleifen von Scheren und Messern aber nach wie vor zum Alltag. Aber den Geschäftszweig Herstellung und Reparatur von Schirmen hat er aufgegeben.

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Vermute schwer, das Rico und Andree zur Musik von Tom Blumer tanzten.Das meint ein ehemaliger Maria See Musiker aus Niederurnen.Gruss nach Schwanden.

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