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Der Mann der leisen Töne und der kräftigen Taten

Zum Tod von alt Nationalrat Martin Bundi

Andrea
Masüger
04.01.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Martin Bundi 1932-2020.
Martin Bundi 1932-2020.
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Im Oktober 1975 eroberten die Bündner Sozialdemokraten den zwölf Jahre zuvor verlorenen Nationalratssitz wieder zurück. Für die Genossen zog der Seminarlehrer Martin Bundi in die grosse Kammer ein. Dieser Erfolg beflügelte die Bündner Sozialdemokratie. Im heutigen Medienbetrieb wäre dieser Vorgang die grosse Sensation in der Wahlberichterstattung, auch national. Doch damals nahm man es gelassener.

Mit dieser Wahl begann in Bern eine ganz besondere politische Karriere. Der zu diesem Zeitpunkt 43-Jährige entfaltete schnell eine breite Tätigkeit: Er war überaus fundiert in einem breiten Themenspektrum zu Hause, das natürlicherweise um soziale Gerechtigkeit und Naturschutz – heute würde man sagen Schutz der natürlichen Ressourcen – kreiste. Dieses Anliegen wurde auf sein Betreiben sogar in den Zweckartikel der neuen Bundesverfassung von 1999 aufgenommen.

Verkehr, Bildung, Kultur und Friedenspolitik waren weitere Schwerpunkte seines Interesses, und dann natürlich die Berggebietspolitik und die Berglandwirtschaft. Akribisch befasste er sich mit seinen Themen, reichte dazu unzählige Vorstösse ein, die viel bewirkten. Er präsidierte wichtige Kommissionen wie jene für Wissenschaft und Forschung oder die aussenpolitische Kommission.

Dabei entwickelte er einen eigenen Politstil: hart und unnachgiebig, oft beinahe stur in der Sache, aber überaus pragmatisch, höflich und konsensorientiert im Vorgehen. Er verleugnete nie sein politisches Herz, hatte aber stets Verständnis für die Anliegen anderer Parteien und Gruppen. Dies machte ihn zum idealen Mehrheitsbeschaffer. Der heutige oft heftige Schlagabtausch der Parteien und einzelner Exponenten, meist bloss «pour la galerie», muss ihn abgestossen haben. Nie hatte er eine Fehde mit anderen. Diese Eigenschaft sicherte ihm aber auch den Respekt anderer Akteure und anderer Parteien, die damals mit «linker» Politik eher auf Kriegsfuss standen. So wurde er sogar Präsident der nationalrätlichen Militärkommission, und dies in Zeiten, als die SP regelmässig das Budget des Militärdepartements angriff und als unsichere Kantonistin in Sachen Landesverteidigung galt. Welch ein Vertrauensbeweis seiner bürgerlichen Kollegen!

Wer ihn als praktischen Politiker kannte, war verblüfft und fasziniert von seiner unbedingten Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit. Er kämpfte zäh und oft fast verbissen für Dinge, die ihm wichtig waren. Was scheiterte, brachte er später wieder aufs Tapet. Für einige Ideen war es zu früh, manche wurden erst später umgesetzt, und die Lorbeeren dafür haben andere kassiert. Dabei suchte er nie das Rampenlicht, war keineswegs der Medienstar, den man in die damals aufkommenden TV-Politshows wie die spätere «Arena» einlud. Seine Voten waren knochentrocken und faktenbasiert ohne jede rhetorische Floskel. Diese bescheidene, aber hoch effiziente Art trug ihm schliesslich sogar das Amt des Nationalratspräsidenten ein – die zweite Sensation für die Bündner Sozialdemokraten. Noch nie hatte es ein «Alpensozi» (Helmut Hubacher) so weit gebracht!

Martin Bundi hatte zwei professionelle Steckenpferde: die Geschichte und die romanische Sprache. Er war ein hartnäckiger Rechercheur und verfasste Schriften, Artikel und Beiträge zu historischen Themen, die sich um Graubünden, die Alpen und deren Bewohner drehten. Noch im hohen Alter sah man ihn in Bibliotheken und Buchhandlungen stöbern. Das Romanische war ihm ein Herzensanliegen, für das er sich enorm engagierte. Nicht nur in der Vereinsarbeit, auch politisch: So setzte er sich während seiner ganzen Karriere für die Aufwertung der vierten Landessprache und für das (damals umstrittene, heute verfassungsmässige) Territorialitätsprinzip ein. Seine Bemühungen gipfelten schliesslich im neuen Sprachenartikel für die Bundesverfassung.

Martin Bundis politische Karriere würde ihn heute wohl zu einem Bundesratskandidaten prädestinieren. Doch mit der Exekutive hatte er seine liebe Mühe: Mehrfach versuchte er den Sprung in die Bündner Regierung, doch das Volk wollte ihn stets lieber in Bern haben. Und hier wirkte er zwei ganze Jahrzehnte lang.

Martin Bundi ist am ersten Tag des neuen Jahres nach kurzer Krankheit im Alter von 87 Jahren in Chur verstorben.

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