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Schnäppchen-Berserker sollten in die Badewanne

19.11.19 - 13:05 Uhr
Leben & Freizeit
Kommentar
In dubio pro Vollbad.
In dubio pro Vollbad.
SYMBOLBILD/PIXABAY

Halloween und Singles Day sind durch. Black Friday und Cyber Monday stehen vor der Tür, und nach Weihnachten ist dann auch noch Boxing Day (der vermutlich mehr mit Geschenk-Boxen als mit dem Boxsport zu tun hat). Man haut uns (also doch Boxsport?) rund um den Jahreswechsel die Rabatte mit der groben Kelle um die Ohren. Die einen sind ekstatisch entzückt, wenn sie davon hören, die anderen hingegen einfach nur gestresst. Beim Shopping-Marathon – manche verfallen in Kriegsrhetorik und sprechen von Preiskampf und Rabattschlachten – gehen dann gerne auch Freundlichkeit und Kinderstube verloren. Krieg halt.

Obwohl ich mich – (sehr) zurückhaltend formuliert – als shopping-affin bezeichnen würde, gehen die meisten Aktionen an mir vorbei. Zu gross scheint mir die alljährliche Flut an Schnäppchen-Versprechen. Ich verliere den Überblick und wenn wir ehrlich sind, findet gefühlt eh immer irgendwo ein Ausverkauf statt. Schnäppchen haben das ganze Jahr Saison. Ausserdem weiss ich, dass grosse Menschenmassen das Potenzial haben, mich relativ rasch zur Weissglut zu bringen. Ich habe also gleich zwei Gründe, mich zwischen November und Januar nicht in die hiesigen Fussgängerzonen, Einkaufsmeilen und Shoppingzentren zu begeben.

Bis 1995 mussten Ausverkäufe in der Schweiz bewilligt werden. Der Staat schrieb vor, dass Ausverkäufe nach Weihnachten und im Sommer stattzufinden hatten. Danach wurden die Gesetze liberalisiert und seither herrscht Schnäppchen-Schlacht-Anarchie. Die Händler können Rabatte raushauen, wann und wie es ihnen beliebt – und sie tun das auch. Inspiration und Rechtfertigung finden sie weltweit in konsumbefeuernden Events wie den oben erwähnten. Wir Konsumenten nehmen das dankend an, rennen in die einschlägigen Konsumtempel und schwingen unsere Kreditkarte wie einen Zweihänder. Am Schnäppchen-Wühltisch ist sich jeder selbst der Nächste.

Man kann geteilter Meinung sein, was Rabattaktionen betrifft. Man kann den Konsumwahn verteufeln, ihn boykottieren oder sich dem Ganzen völlig hingeben, in dem man von Schnäppchen zu Aktion zu Wühltisch hetzt. Man darf sich auch durchaus darüber aufregen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Detailhandel während dieser Zeit massiv Überstunden anhäufen und auch an Wochenenden arbeiten (müssen). Die Nachfrage bestimmt nun mal das Angebot. Wollen wir das ändern, sollten wir bei den Abstimmungen zur Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten entsprechend abstimmen und es danach der Politik überlassen, wie die Umsetzung des Abstimmungsresultates aussehen soll.

Was aber jeder von uns machen kann – und damit zum kurzen Sinn der langen Rede: Lasst Euch in den kommenden Wochen nicht allzu sehr ins Bockshorn jagen. Geht mit der nötigen Gelassenheit auf Schnäppchensuche und vergesst nicht, neben Portemonnaie, Winterjacke und Schal auch Euren Anstand und Eure Herzlichkeit von zu Hause mit ins Getümmel zu nehmen. Wenn ihr aber dazu tendiert, bei der aktuell anstehenden Rabattschlacht im Angesicht von Sonderangeboten zum Berserker zu werden, bleibt daheim, macht Euch einen Tee, legt Euch in die Badewanne und schaut Katzenvideos auf Youtube. Es gibt keinen Grund, Euch oder Eurem direkten Umfeld den Tag zu versauen. Der nächste Ausverkauf kommt bestimmt - und vielleicht seid Ihr dann auch besser drauf.

David Eichler arbeitet als redaktioneller Mitarbeiter bei der gemeinsamen Redaktion von Online/Zeitung. Er ist in Laax aufgewachsen, hat in Winterthur Journalismus und Organisationskommunikation studiert, und lebt in Haldenstein. Seit 2019 schreibt er für «suedostschweiz.ch.» Mehr Infos

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David Eichler, aus welchem Jahrhundert schreiben Sie uns Ihre unbezahlbare Bedienungsanleitung?
Ausverkauf? Der Heimat? Der Mutter (Erde)?
Das aktuelle Rezept, Antidot der Planetretter lautet: Konsumstreik.
Ihr Tipp, In die Badewanne (zuerst müsste man mal eine haben in den überteuren Mietwohnungen heutzutage) zurückziehen statt Konsumrausch, Jubel-Trubel-Heiserkeit (meiden Sie Menschenansammlungen in der Grippezeit) ist richtig, allerdings sollte der für alle gelten und unabhängig davon, "wie man drauf ist".
Siehe meinen Kommentar:
https://www.suedostschweiz.ch/aus-dem-leben/2019-03-10/ihr-duscht-nicht…
Konsumstreik, das würde auch für die Werbung gelten, denn während ich das hier schreibe, hüpft rechts im Bild ein gelenkiger Uhu als Warenanpreiser herum (konsum-boostende Jöö-Eule-Stickers), repetitiv, unermüdlich, unendlich – noch mehr Energie als mit Duracell?
https://www.youtube.com/watch?v=aC5yccD52oY
Gesundheit is all we need.

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