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Zehn Stunden lang die Freiheit geniessen

Gabriela Jacober gehört zu den besten Gleitschirmfliegerinnen über lange Strecken der Welt. In dieser Saison stellte sie zwei Rekorde auf.

Paul
Hösli
19.10.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Gabriela Jacober geniesst hoch über dem Alltag ihre ganz persönliche Freiheit.
Gabriela Jacober geniesst hoch über dem Alltag ihre ganz persönliche Freiheit.
PRESSEBILD

Wer kennt das Lied von Reinhard May nicht: «Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein», heisst es in diesem. «Genau das Gefühl der Freiheit ist es, was die Faszination des Gleitschirmfliegens für mich ausmacht. Es ist einfach genial, wenn man etwa über den Schilt segeln kann», sagt Gabriela Jacober. Seit 30 Jahren gleitet die 50-Jährige durch die Lüfte und vergisst dabei ihre Ängste und Sorgen.

Speziell die langen Streckenflüge haben es dem Mitglied des Gleitschirmklubs Glarnerland angetan. In dieser Kategorie wurde sie Mitte Oktober zum fünften Mal in Serie Schweizer Meisterin, weltweit landete sie unter 1009 Pilotinnen auf dem dritten Rang. «In den Flügen, als es darauf ankam, ging alles auf. Es war meine bisher beste Saison, auch wenn ich weniger Flüge absolvieren konnte als im vergangenen Jahr», sagt Jacober.

Über zehn Stunden in der Luft

Der Höhepunkt dieser Thermiksaison, die von März bis Ende September dauert, war für Gabriela Jacober am 2. Juni. Sie startete in Fanas im Prättigau, flog hinauf bis zum Silvrettagletscher, wo sie den ersten Wendepunkt setzte. Über das Schanfigg und die Surselva flog sie zum zweiten Wendepunkt nach Disentis. Weiter ging es Richtung Heimat über den Bifertenstock ins Glarnerland. «Am Schilt konnte ich den Heimatkanton in vollen Zügen geniessen, habe ein paar zusätzliche Kreise gedreht und dabei sogar meinen Wohnort Kaltbrunn erblickt», erzählt die gebürtige Thurgauerin, die mit einem Glarner verheiratet ist.

Als dritten Wendepunkt setzte sie den Chäserrugg, und über den Alvier gleitete sie zurück ins Prättigau. Nach über zehn Stunden landete Jacober müde, aber glücklich mit persönlicher Bestleitung in Schiers.

Über zehn Stunden dauerte dieser Rekordflug – eine grosse Herausforderung für die Pilotin. «Am nächsten Tag war ich völlig kaputt», erinnert sich Gabriela Jacober. Um nicht auf die Toilette zu müssen, trank sie mittels eines Schlauchs lediglich einen halben Liter Wasser. «Essen kann ich auf einem solchen Flug jeweils nichts. Ich habe auch schlicht keine Zeit dafür.» Das Glücksgefühl nach der Landung war dafür umso grösser. «Das Adrenalin strömte nur so durch den Körper.»

In der Nacht vor einem langen Streckenflug und in jener danach könne sie jeweils nicht schlafen, erzählt Jacober weiter. «Nach dem Flug dreht sich alles im Kopf. Ich verarbeite dann das Erlebte. Während des Flugs ist es jeweils nicht möglich.»

Auf der Suche nach der Thermik

Die grösste Herausforderung eines von langer Hand geplanten Langstreckenflugs ist, nebst der Beurteilung des Wetters oder den richtigen Startpunkt zu eruieren, die Konzentration aufrechtzuerhalten. «Langweilig wird es mir jedenfalls nie. Die Zeit vergeht sprichwörtlich wie im Flug. Man muss permanent fokussiert sein und und die beste Thermik finden. Zudem muss etwa auf Seile oder Helikopter geachtet werden», erklärt Jacober. Für einen Rekordflug wie dieses Jahr müsse alles zusammenpassen. «Auch die Tagesform muss stimmen. Es gibt Tage, da merke ich bereits kurz nach dem Start, dass es nicht geht. Wenn es mir etwa schwindlig wird oder ich mich allgemein unwohl fühle in der Luft.»

Trotz dieser Herausforderungen und Rückschlägen sei der Spass immer da, so Jacober. «Wenn man am Abend beim Eindunkeln sein Ziel erreicht, ist das grossartig. Letztes Jahr zum Beispiel flog ich am Schilt mit der letzten Thermik nach Linthal. Das war ein unglaubliches Erlebnis, wenn die Sonne untergeht. Einfach nur genial», schwärmt die Büroangestellte.

Die erste Frau in der Schweiz

Auch wenn diese Saison bezüglich der Bedingungen nicht die beste gewesen sei, ist Gabriela Jacober sehr zufrieden. Denn sie knackte mit ihren vier weitesten Flügen in der Schweiz mit 1063,7 Punkten in der Gesamtwertung der langen Streckenflüge als erste Frau die 1000-Punkte-Marke. Und der Rekorde nicht genug: Mit dem Flug am 2. Juni stellte sie eine weitere Bestmarke auf. Zum ersten Mal flog eine Frau in der Schweiz ein gleichschenkliges Dreieck über 200 Kilometer. Das sei die Krönung für einen Gleitschirmpiloten oder eine -pilotin. «1000 Mal probiert, beim 1001. Mal hat es geklappt. Ich bin sprachlos und megaglücklich», kommentierte Jacober ihren Rekordflug.

Weltweit lagen in der Wertung lediglich zwei Deutsche vor ihr. «Ich fliege nur in der Schweiz. Die beiden deutschen Frauen haben ihren Flug in Österreich absolviert. Die Schweiz ist im Vergleich ziemlich begrenzt. Hier ist es schwieriger, ganz lange Flüge zu absolvieren», erläutert Gabriela Jacober.

Keine Pause

Für die Frau, die in ihrem Leben bereits über 3000 Flüge absolviert hat, ist trotz Thermiksaisonende nicht Schluss. «Wir fliegen im Winter ebenfalls. Auch wenn es nur kurze Flüge sind. Wenn es geht, fliegen wir eigentlich immer», sagt Gabriela Jacober. Sie sei vielleicht ein wenig vom Gleitschirmfliegen angefressen, ergänzt sie scherzhaft.

«Und jetzt kommt die schöne Zeit im Jahr, wenn wir mit dem Klub tolle Sachen machen. Das Gesellige darf schliesslich auch nicht zu kurz kommen.» Um etwas zurückzugeben, absolvieren die Mitglieder des Gleitschirmklubs Glarnerland am kommenden Samstag bei einem Bauern einen Frondiensteinsatz. «Wir räumen den Platz, von welchem wir jeweils starten.» Damit Gabriela Jacober auch in der kommenden Saison die Freiheit hoch über den Wolken in vollen Zügen geniessen kann.

Paul Hösli ist Redaktor bei den «Glarner Nachrichten» in Ennenda. Wenn er keine Artikel über das regionale Geschehen verfasst, produziert er die Zeitung. Zudem ist er der Stellvertreter von Ruedi Gubser für das Ressort Sport. Er ist seit 1997 bei der «Südostschweiz», im Jahr 2013 wechselte er intern von der Druckvorstufe in die Redaktion. Zuerst in einem 40-Prozent-Pensum und seit 2016 zu 100 Prozent. Mehr Infos

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