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Haben wir uns doch alle ein bisschen lieber

Ich bin kein Fan von ihr. Im Gegenteil: Ich würde meine Einstellung ihr gegenüber maximal als neutral bezeichnen. Es geht um Greta Thunberg. Alle, die jetzt schon abschalten, die Augen verdrehen und diesen Namen am liebsten mit einem fetten schwarzen Edding energisch durchstreichen würden: Ich verstehe euch. Irgendwie.

Südostschweiz
06.10.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Greta Thunberg geht mit ihrer Omnipräsenz allen irgendwie auf den Wecker. Wie reagieren? Mit Hasskommentaren? Eher nein.
Greta Thunberg geht mit ihrer Omnipräsenz allen irgendwie auf den Wecker. Wie reagieren? Mit Hasskommentaren? Eher nein.
AP / ESTEBAN FELIX

Sie ist schliesslich omnipräsent und will der grossen weiten Welt vorschreiben, was alle zu tun und zu lassen haben. Das finde ich nicht okay, schliesslich sollte das niemand tun, weder Greta noch Trump noch sonst irgendein Heini, der Grössenwahn hat. Dieses Mädchen jetzt mit Hasskommentaren im Netz zu überschütten, finde ich trotzdem nicht fair. Bloss weil jemand eine andere Meinung als man selbst hat, fällt einem kein Zacken aus der Krone, mit dieser Person normal zu sprechen und ihr zuzuhören. Wenn man wie ich gar keine Krone hat, erst recht nicht.

Die bösen, bösen sozialen Medien machen das aber nicht gerade einfacher. Wer eben Herzli verteilt und Jöö-Kommentare unter Katzenvideos setzt, schreibt genauso schnell und unüberlegt halt auch, was er gerade alles Scheisse findet. Und der Ärger über den mühsamen Chef, den misslungenen Start in den Montagmorgen und den Fleck auf der weissen Bluse lassen wir dann an Greta raus, weil sie uns sowieso schon immer genervt hat und wir das Gefühl haben, dass wir diese Personen ja gar nicht direkt damit treffen.

Aber nicht nur im Alltag, auch in der Politik wird der Umgangston immer rauer. Die beiden englischsprachigen Blondschöpfe an vorderster Front. Die Debatten im britischen Parlament waren ja schon immer eine gute Alternative zu einem Comedyprogramm, aber ein aggressiver Ton verbreitete sich in letzter Zeit wie eine grassierende Grippe. Norovirus oder so. Da krieg ich Brechreiz.

Weil ich ja ein Bünzli bin, und Bünzlis immer gerne betonen, wie lässig die Schweiz sei und das unglaubliche Talent besitzen, jede Kritik am Schweizer System einfach komplett auszublenden, komme ich jetzt mit einer Geschichte, die fast so schön wie ein Märli ist. Trudi Gerster hätte es sicher gefreut.

Die Geschichte, die vor einigen Wochen in der «NZZ» erschien, gibt einem nämlich Hoffnung, dass die Menschen, die für uns in Bern sitzen und dort fleissig Kafi trinken, auf Kosten von Lobbyisten Znacht essen und ein bisschen Gesetze machen, am Schluss doch so etwas wie eine soziale Ader besitzen.

Die Story ging so, dass Ständerat Graber (CVP) Ständerat Levrat (SP) «überschnurren» musste, dass Levrat anstelle zu einer (un)nötigen Sitzung der Wirtschaftskommission doch an die Maturafeier seiner Tochter gehen müsse. Levrat selbst fand aber «Politik first». Graber schlug also Folgendes vor: Er selbst stimme gegen seine Partei und für Levrat, damit dieser an die Feier könne. Levrat schlug ein, der Deal war gemacht. Dann fand Levrat seinen Autoschlüssel nicht, und auf Anweisung von Ueli Maurer (SVP) persönlich fuhr Maurers Chauffeur den SP-Häuptling Levrat zur Feier. Schliesslich fand man den Autoschlüssel im Auto und die Story endete damit, dass Bundesrat Maurer sich in Levrats Auto setzte und dieses eigenhändig nach Bern fuhr. Das nenne ich Teamwork.

Die Protagonisten haben diese Geschichte übrigens so bestätigt. Der einzige Punkt, über den es Unstimmigkeiten gab, war die (Un)ordnung in Christian Levrats Auto. Aber sonst lebten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

Lexi ist das Pseudonym einer 20-jährigen Molliserin, die einen Internet-Blog in Jugendsprache führt: http://lexilike.blogspot.ch.

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