×

Ganz oben bei den Wolken

Vom höchsten Punkt bis ins Tal: Die «Glarner Nachrichten» zeigen in einer Serie spezielle Glarner Orte. Heute die Muttseehütte.

Südostschweiz
28.07.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Die Wolken malen dampfend verschiedene Bilder gegen den Himmel. Kommt der Regen, kommt er nicht? Schweisstreibend ist der Aufstieg zur Muttseehütte, ab Linthal/Obbort über den «Tritt» zur Baumgartenalp und immer weiter, übers Nüschentäli und Muttenwändli hinauf zur Muttenalp. Ein Gespräch zweier Hüttenwartinnen.

Maya Rhyner: Unter Hüttenwarten – dein erster Gedanke zu diesem Bild?

Anita Gubler: Zauberhaft! Da geht mir das Herz auf. Sehr vertraut auch. Mein Daheim im Sommer. Wie ergeht es dir als «Aussenstehende» bei diesem Anblick?

Immer, wenn ich eine Schutzhütte oder eine SAC-Hütte sehe, denke ich: «Ah, luäg ez da – äs Dach überem Chopf i dener Bergwelt.» Bei Wetterstimmungen wie dieser oder gar noch bei Wind und Sturm – dann eine Hüttentür aufschlagen zu können, ist immer ein einmalig-wohliges Gefühl. Und wenn dann in höheren Lagen noch fast der Sommerschnee durch kleine Ritzen pfeift, macht es das Erlebnis perfekt. Warum fühlst du dich verbunden mit diesem Platz?

Ich war neun Jahre beim Projekt «Linthal 2015» in verschiedenen Funktionen tätig und oft hier oben auf der Muttenalp. Bei jedem Wetter und in jeder Jahreszeit. Hier oben zu sein, war für mich immer ein Highlight. Und als dann die Hüttenwartsstelle ausgeschrieben war, wusste ich: diese Hütte oder keine.

Auch wenn das Hüttenwarten und -wirten ja nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Die Muttseehütte mit ihren 76 Schlafplätzen gibt sicher einiges zu tun.

Das stimmt. Mit Hüttenromantik hat das Hüttenwarten sehr, sehr wenig zu tun. Gerade jetzt in der Hochsaison ist das ganze Hüttenteam von früh bis spät auf den Beinen. Und das heisst ab circa 4 Uhr bis Mitternacht. Da ist ein gut eingespieltes Team extrem wichtig. Und es muss auch zwischenmenschlich funktionieren – wir leben schliesslich fast fünf Monate lang auf engem Raum und ohne jegliche Privatsphäre zusammen. Da lernt man einander gegenseitig sehr schnell und sehr gut kennen. Mit Mario, Andrea und Christoph habe ich aber auch dieses Jahr wieder ein Topteam beisammen.

Das ist viel Wert im Hüttenbetrieb. Was reizte dich an diesem Job?

Für mich ist es vor allem die Vielseitigkeit, die ich als Hüttenwartin mitbringen muss. Ich bin Gastgeberin, Unternehmerin, Touristikerin, Köchin, Handwerkerin, Abwascherin und noch vieles mehr. Und wenn ich am Morgen als erste auf bin und die Steinböcke nahe der Hütte schon da sind und wir ein kurzes Zwiegespräch führen, ist die Welt für mich in Ordnung.

Nicht «Alice im Wunderland», sondern fast ein bisschen «Anita im Wunderland», die mit den Steinböcken spricht.

(lacht) Ja, es ist ein Wunderland! Unser ganzes Glarnerland ist ein Wunderland – mit so vielen schönen Plätzen und Wegen. Wenn ich ab und zu mal ins Tal gehe, laufe ich ganz bewusst zu Fuss hinab und wieder herauf. Dann geniesse ich es, mich zu bewegen, nehme die Felsen, die Moose und Versteinerungen darauf, die Blumen und die Umgebung ganz intensiv wahr.

Das ist das Schöne am Hüttenleben. Die kurzen Abstecher in die Umgebung. Welches Hüttenerlebnis ist dir sonst in besonderer Erinnerung geblieben in deiner Muttseehütten-Zeit? Oder generell ein Hüttenerlebnis?

Das war ganz klar im letzten Sommer, als die KLL uns abends bei voller Hütte den Strom abgestellt hat, um Notstromtests durchzuführen. 70 Leute, die nicht mehr aufs WC durften, ihre Zähne nicht ordentlich putzen konnten und in der Küche Berge von Geschirr, die nicht abgewaschen werden konnten, weil die Pumpen fürs Wasser ausser Betrieb waren. Chaos pur! Aber im Nachhinein doch irgendwie lustig. Nachhaltig geprägt haben mich meine zwei Saisons als Hüttenhilfe auf der Planurahütte in den Jahren 1991 und 1992. Dort lernte ich arbeiten und das Hüttenleben lieben. Sehr schön finde ich auch die Selbstversorgerhütten auf der Via Alta della Verzasca. Aber am liebsten gehe ich, wenn immer es geht, auf einen Kaffee zu meinem Nachbarn Maurice in die Kistenpasshütte, von wo ich einen wunderbaren Blick hinunter auf «meine» Muttenalp habe.

Letztes Jahr war ein Rekordsommer, die Muttseehütte stand mit 2554 Übernachtungen zu Buche. Ist dieser Sommer auf dem gleichen Weg?

Das Jahr 2018 war tatsächlich ein Rekordsommer – in allen Belangen. Wir rannten vier bis fünf Wochen lang pausenlos. Unglaublich, was wir an Gerichten und Getränken serviert, an Kuchen und Wähen gebacken und an Bettdecken gefaltet haben. Es ist aber nicht mein Ziel, den letztjährigen Sommer zu toppen. Wichtig ist, dass die Leute, die uns besuchen, eine gute Zeit hier und auch wir noch unseren Spass haben. Das Wetter können wir eh nicht beeinflussen, und es wäre utopisch, jedes Jahr solche Zahlen zu erwarten. Diese Schwankungen muss man einkalkulieren, und meine Mitarbeiter müssen in Bezug auf Arbeitszeit und Ruhetage sehr flexibel sein.

Noch kurz ein Blick aus dem Fenster: Wie hat die neue Staumauer am Muttsee deinen vertrauten Platz Muttenalp verändert? Sie ist die längste der Schweiz und höchstgelegene in Europa. Man könnte auch sagen, ein Fremdkörper in dieser Naturwelt.

Für mich ist sie ein wirklich schöner Anblick. Ich bin natürlich durch die Arbeit bei der Axpo auch verbunden mit ihr. Aber ich finde es schön, dass die Baustellen nun weg sind und alles renaturiert ist. Es ist wieder ruhig und naturnah hier. Dass aber der Wanderweg nun offiziell über die Staumauer führt, ist ein neues Highlight und lockt auch viele Kraftwerksinteressierte an. Es lebt sich wunderbar, auch mit der Mauer, ich bin immer noch gerne hier.

Und was fehlt, aus dem Tal?

Gar nichts! Abgesehen von meinen beiden Jungs natürlich – aber sie kommen zum Glück ab und zu und gerne hier herauf.

Zur Serie
Ein kleiner Kanton, ganz viele Naturperlen: Die «Glarner Nachrichten» zeigen in einer Serie das Glarner Wunderland anhand von Bildern aus dem gleichnamigen Buch von Claudia Kock Marti (Text) und Maya Rhyner (Bild). Die Fotografin bespricht ausgewählte Orte mit Personen, die eine besondere Beziehung dazu haben. Halt heute: In der Muttseehütte über der höchsten Staumauer Europas, die von der ehemaligen Axpo-Mitarbeiterin Anita Gubler geführt wird. (red)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Leben & Freizeit MEHR