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«Ich habe noch Höhenangst, kann aber damit umgehen»

Im August findet im Tierfehd ein Wanderkurs gegen Höhenangst statt. Simone Bigge nimmt zusammen mit ihrem Mann regelmässig an solchen Kursen teil. Sie erzählt, wie sie lernt, mit ihrer Angst umzugehen.

Südostschweiz
22.05.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Schöne Aussicht auf den Brienzersee: Auf der Höhenwanderung zum Augstmatthorn über den Hardergrad stellt sich Simone Bigge ihrer Höhenangst.
Schöne Aussicht auf den Brienzersee: Auf der Höhenwanderung zum Augstmatthorn über den Hardergrad stellt sich Simone Bigge ihrer Höhenangst.
PRESSEBILD

von Helena Golling

Höhenangst ist weder Einbildung noch eine Veranlagung. Sie kann jeden Menschen treffen und kann für wanderfreudige Menschen nicht nur lästig, sondern auch gefährlich sein. Der Wanderleiter Martin Heini und die Coachfrau Barbara Hunziker beschäftigen sich seit Längerem mit diesem Thema und haben in den vergangenen Jahren mit ihren Kursen vielen Wanderern und Berggängern wieder zu mehr Sicherheit und Freude verholfen. So auch Simone Bigge aus Brugg.

Frau Bigge, Sie leiden unter Höhenangst. Das war aber nicht immer so. Was ist passiert?

Ich habe früher Klettersteige und alle Arten von Wanderungen gemacht. Ich hatte auch damals Angst, aber ich konnte sie gut überwinden. Die Angst wurde nach einem Vorfall beim Skifahren im Jahr 2015 sehr viel stärker. Meine Höhenangst wurde danach so schlimm, dass ich mich auf einen Schlag eingeschränkt fühlte – beim Wandern, bei meinen Hobbys. Ich musste etwas dagegen tun.

Ihnen fiel es plötzlich schwerer, die Angst zu überwinden?

Nein, mir fiel es nicht schwerer, sie zu überwinden. Ich konnte sie gar nicht überwinden.

Dann haben Sie einen Höhenangstkurs besucht zusammen mit Ihrem Mann. Hat er auch Höhenangst?

Ich habe Angst in der Natur, besonders wenn es steil hinuntergeht auf der Seite. Mein Mann hat keine Angst in der Natur, er hat Angst auf Bauwerken; ein Aussichtsturm oder eine Hängebrücke schaffen eine schwierige Situation für ihn.

Sie sind also nicht alleine mit Ihrer Höhenangst.

Ich glaube, jeder Mensch hat Höhenangst. Ich habe einmal ein Interview gesehen mit Reinhold Messner – Reinhold Messner hat Höhenangst . Die Frage ist einfach: Wie überwältige ich die Angst, und wo ist die Grenze? Wenn die Grenze an einem hohen Ort ist und man sie bewältigen kann, ist das gut. Doch wenn die Grenze sehr tief ist – plötzlich – dann ist das schlecht. Bei mir ist die Grenze nach unten gerutscht. Was mir sonst gar nichts ausgemacht hatte, machte mir plötzlich sehr viel aus.

Was haben Sie in dem Kurs alles gemacht?

Wir haben darüber gesprochen, was bei Angst passiert. Dass es das sogenannte Reptilienhirn ist, das einen eigentlich zu Recht warnt. Es war wichtig zu verstehen, was die Angst bedeutet. Wir haben viel mit dem Körper gearbeitet, Balanceübungen gemacht. Ausgetestet, wie viel es braucht, bis der Körper aus der Balance kommt. Wir haben körperliche Sachen angesprochen, die einem helfen können: Gleichgewicht, Pausen, Essen, Trinken, Atmen, darauf zu achten, wo man hinschaut, wie man am besten geht. Es ging auch um die optimale Vorbereitung. Darum, wie man mental mit so einer Situation umgeht und was es für Möglichkeiten gibt – sich innere Bilder vor Augen führen oder sich selber gut zureden. Nachdem wir das theoretisch abgehakt hatten, sind wir nach draussen gegangen. Das war schön, denn es geht allen gleich, die da sind. Aber trotzdem geht es jedem anders. Jeder hat an einem anderen Ort Angst.

Hat Ihnen der Kurs geholfen, Ihre Angst zu bewältigen?

Ich habe immer noch starke Angst. Aber ich habe Methoden gefunden, damit umzugehen.

Was für Methoden?

Wir haben eine Angstskala von eins bis zehn. Bei acht, neun und zehn darf man nicht mehr gehen. Da sollte man warten, bis die Angst wieder herunterkommt. Denn dann ist man nicht mehr kontrolliert, sondern kurz vor der Panik. Man sollte sich die Zeit nehmen, sich selber zu beruhigen, sodass man nachher weitergehen kann. Ich habe auch gelernt, was meinem Mann hilft. Ich glaube, es ist wichtig, dass ich weiss, was ihm hilft, und umgekehrt. So können wir uns gegenseitig durch die Situationen bringen.

Gehen Sie seither wieder öfter wandern?

Nein, aber wir gehen wieder überall hin. Wir lassen uns nicht mehr stoppen. Und wir suchen es zum Teil auch bewusst. Wir haben gerade letzte Woche eine Hängebrücke überwunden, die für ihn sehr schlimm war. Das ist jedes Mal ein kleiner Erfolg, wenn wir etwas zusammen geschafft haben.

Ihnen macht eine Hängebrücke nichts aus?

Für mich ist völlig klar, dass das Bauwerk hält und dass nichts passieren kann. Da ist einfach mein Verstand zu stark. Egal, ob ich jetzt umfalle oder nicht – ich werde hier nicht sterben, das ist nicht möglich. Auf einem Berg oben, wenn es rechts steil abfällt, dann muss ich sagen: Wenn ich jetzt stolpere, dann bin ich tot. «Und das schläckt eifach niemer weg.»

Vieles ist also Kopfsache?

Die Angst vor der Angst ist sowieso die grösste Angst. Das war eine wichtige Erkenntnis: zu merken, dass sich vieles selber aufbaut im Kopf. Und dass es in Tat und Wahrheit nicht so schlimm ist. Um das zu realisieren, muss man aber zuerst körperlich ruhig werden.

Würden Sie den Kurs wieder besuchen?

Ich kann diese Kurse jedem empfehlen. Wenn immer möglich, gehen wir an die Repetitionskurse. Es tut einem gut, denn man hat Leute an der Seite, die einem wirklich helfen können. Mit denen macht man auch Sachen, die man alleine nicht machen würde. Nachher gibt es einem ein gutes Gefühl, denn man hat wieder eine kleine Etappe geschafft. Das ist ein Erfolg.

Nächster Kurs: 9. bis 11. August im Tierfehd in Linthal. Anmeldung unter www.barbarahunziker.ch

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