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«Ohne Pralinen reise ich nie zurück»

Ein Geist in ihrem neuen Buch – «Musste das wirklich sein?», fragt sich Milena Moser selbstironisch. Die Schweizer Autorin, die in den USA ihr Glück gefunden hat, ist am Montag zu Besuch in Schänis.

18.05.19 - 10:07 Uhr
Leben & Freizeit
Lebt seit vier Jahren in Santa Fe, New Mexico: die Schriftstellerin Milena Moser. Aktuell ist sie auf Lesereise in der Schweiz.
Lebt seit vier Jahren in Santa Fe, New Mexico: die Schriftstellerin Milena Moser. Aktuell ist sie auf Lesereise in der Schweiz.
Pressebild / Victor-Mario Zaballa

Nur zweimal klingelt das Telefon, dann ist Milena Moser bereits am Apparat. Die Verbindung sei etwas «knisterig», sie stehe eben gerade am Waldrand, sagt sie entschuldigend. Die «Linth-Zeitung» erreicht die Autorin im Zuhause einer Freundin in der Zürichsee-Region, wo sich Moser auf ihre nächste Lesung vorbereitet. Einen Monat lang bereist sie mit ihrem neusten Roman «Land der Söhne» im Gepäck verschiedene Orte in der Schweiz – am kommenden Montag ist sie zu Gast in Schänis. Im Gespräch verrät die Schriftstellerin, was ihr vom Linthgebiet als Erstes ins Auge gesprungen ist, wie sie manchmal die Kontrolle über die Figuren in ihren Romanen verliert und warum einer ihrer Söhne beim Anblick des Buchumschlags erbleicht ist.

Milena Moser, wie fühlt es sich an, wieder in Ihrer alten Heimat zu sein?

MILENA MOSER: Ich komme ja jeweils zweimal im Jahr in die Schweiz – von daher ist es nicht so, dass ich jetzt überrumpelt davon wäre, wie sich hier alles verändert hat. Mein Leben in Amerika ist zwar sehr anders als früher in der Schweiz, aber es ist auch erst vier Jahre her, seitdem ich zum zweiten Mal meine Koffer gepackt habe und in die USA gezogen bin. Die Schweiz ist mir also noch nicht fremd geworden.

Zumindest vom Wetter dürften Sie aber enttäuscht worden sein?

Das Wetter hier ist eine Katastrophe! (lacht) Ich war schon bei der Ankunft beleidigt. Meine erste Lesung bei diesem Schweiz-Besuch war in Walenstadt, also ganz in der Nähe von Schänis. Jemand zeigte aus dem Fenster und sagte mir: ‘Dort drüben, da wo jetzt Schnee liegt, das ist Schänis. Man sieht es zwar gerade nicht, weil alles weiss ist, aber dort hast du Ende Monat eine Lesung.’ Ich habe einen Koffer voller Blusen dabei, jedoch nur einen einzigen warmen Pullover. Diesen trage ich nun stoisch, tagein, tagaus.

Ich vermute, der wolkenverhangene Himmel hier kommt kaum gegen jenen blauen Himmel Ihrer Wahlheimat New Mexico an, von dem Sie immer so schwärmen?

Es ist ja nicht nur die Farbe, die es ausmacht. Mich dünkt, der Himmel hängt in der Schweiz durch die Hochnebel-Wolkendecke viel tiefer. Der Himmel in Santa Fe hingegen ist so unglaublich hoch und weit, das gibt einem das Gefühl: Hier ist alles möglich.

Apropos Landschaft: Wer Ihren neusten Roman liest, merkt schnell, wie fasziniert Sie von der kargen Umgebung im Südwesten der USA sind, in der die Handlung spielt. Gibt es Gegenden, die Sie spezifisch für den Roman aufgesucht haben?

Der Ort Española, ein zentraler Schauplatz im Buch, liegt etwa 45 Minuten von meinem Wohnort Santa Fe entfernt. Es ist ein Ort, der mich immer sehr fasziniert hat. Es ist eine der ärmsten Gemeinden mit der höchsten Rate an Drogentoten im ganzen Land, also nicht nur in New Mexico. Gleichzeitig ist es eine sehr spirituelle Gegend mit vier umliegenden Indianer-Pueblos und dem Sitz des Kundalini-Yoga-Instituts – das einzige Zentrum, in dem Westliche dem Sikh-Glauben beitreten können. Es ist ein spannender und sehr widersprüchlicher Ort. Dort habe ich etwas mehr Zeit verbracht. Grundsätzlich ist es aber so, dass mich die Landschaft, die neue Umgebung, dazu inspiriert hat, das Buch zu schreiben, nicht umgekehrt. Ich habe die Schauplätze also nicht aufgesucht, weil ich darüber schreiben wollte.

Sie sagen von sich selber, Sie planen Ihre Bücher nicht. Gab es trotzdem etwas, das den Anstoss zur Geschichte lieferte?

Angefangen hat es mit der im Roman vorkommenden «Outdoor-Schule» der 1940er-Jahre: Die Schule hat es wirklich gegeben – allerdings in Los Alamos, nicht in Española, und bereits um das Jahr 1927. Auf diese «Ranch School» bin ich per Zufall gestossen. Dann hatte ich das Bild eines Jungen im Kopf, der von seiner Mutter auf der Reise zu dieser Schule begleitet wird. Aus dieser Szene hat sich dann der ganze Roman entwickelt. Ich wusste zu Beginn nicht, was aus dem Jungen wird. Oft ist da einfach so etwas wie ein Funke und ich sehe zu, wo er mich hinführt. Über meine Figuren habe ich oft keine Kontrolle.

Welche Wendung kam für Sie unerwartet?

Dass sich der Bub Luigi, mit dem alles begonnen hat, als Erwachsener an seinem eigenen Jungen vergeht, hat mich schwer getroffen. Er war für mich fast so etwas wie ein Kind: Die Figuren in meinen Erzählungen sind für mich wie Menschen, die Teil meines Lebens sind. Ich hatte «Luigi» als Bub kennengelernt. Zu sehen, in welche Richtung er sich entwickelt, war grauenhaft. Trotzdem musste es für die weitere Geschichte so kommen. Überraschend war für mich auch ein Mädchen, das allen drei Protagonisten immer wieder erscheint – sie ist wahrscheinlich ein Geist, so ganz genau kann man das nicht sagen. Da meinte ich irgendwann zu ihr: «Nei, jetzt ‘bis so guet’, musst du wirklich ein Geist sein?» Ich habe zweimal versucht, sie herauszustreichen, aber es hat nicht funktioniert.

Sie schreiben in «Land der Söhne» auch über die indianische Kultur. Welche Rolle hat Ihr Partner dabei gespielt?

Mein Partner Victor ist mexikanischer Ureinwohner, kennt aber aus seiner Kultur Sagen und Mythen, die ähnlich funktionieren wie die indianischen Geschichten aus meinem Roman. Als Nordeuropäer haben wir eine romantische Verklärung des Indianers, ich habe dies bei mir selbst beobachtet: Man hat ein Bedürfnis, dass die indianischen Geschichten einem eine Erkenntnis liefern. Sie funktionieren aber oft ganz anders als die Geschichten aus unserer Kultur, ohne Pointe, ohne Moral, ohne Spannungsbogen. Das hat mich irritiert. Gleichzeitig fand ich aber, die Geschichten mussten unbedingt einen Platz bekommen im Buch. Als Nordeuropäerin hatte ich allerdings Angst, diese einfach so nachzuerzählen. Das war etwas, worüber ich oft mit Victor gesprochen habe.

Welchen Rat hat er Ihnen gegeben?

Er befand, es sei wichtig, die Sagen und Geschichten aus den indianischen Pueblos am Leben zu erhalten. Er riet mir aber, diese aus der Sicht eines Weissen zu erzählen. Darum ist es im Roman immer eine weisse Figur, die eine indianische Geschichte hört und darauf reagiert.

Erzählen Sie uns ein wenig von Ihrem Alltag in Santa Fe – schreiben Sie dort täglich?

Ja, ich schreibe jeden Tag, egal wo ich gerade bin. Das mache ich seit meiner Kindheit und empfinde es nicht als etwas, wozu ich mich überwinden müsste. Ich unterscheide auch nicht zwischen dem Schreiben für mich und «das wird dann mal ein Buch». Oft weiss ich am Anfang gar nicht, wohin etwas führt. Wenn eine Geschichte aber einen Sog entwickelt hat – ähnlich wie ein Schlauchboot auf einem reissenden Fluss – dann fällt alles andere weg. Dann schreibe ich nicht mehr über mich und meinen Tagesverlauf, sondern bleibe in der Geschichte drin.

Und wenn Sie gerade nicht schreiben?

Mein Alltag ist eigentlich wahnsinnig langweilig (schmunzelt). Ich stehe früh auf, gehe ins Yoga, dann schreibe ich. Nachmittags mache ich einen Spaziergang oder treffe Freundinnen. Ich verbringe mehr Zeit draussen als früher in San Francisco oder in der Schweiz, weil direkt vor meinem Haus Spazierwege wegführen und weil die Landschaft hier so schön ist. Obwohl ich mitten in der Stadt wohne, kann ich zwei Stunden spazieren, ohne dass mir eine Menschenseele begegnet – das ist ungeheuer befreiend.

Gibt es jemanden aus Ihrem privaten Umfeld, der Ihre Manuskripte jeweils als Erster zum Lesen bekommt?

Nein, denn meiner Erfahrung nach ist es schwierig für jemanden, der einem persönlich nahe steht, den Text von der Beziehung zur Person zu trennen. Ich kenne das aus meiner eigenen Familie, fand es immer schwierig, Bücher meines Vaters zu lesen. Eine Freundin von mir, die Schriftstellerin Katharina Faber, liest manchmal Manuskripte von mir. Ansonsten ist es mein Agent oder Verleger – also immer jemand, der beruflich mit Schreiben zu tun hat.

Ihre Söhne haben Ihren neusten Roman aber sicher gelesen?

Der Ältere sagte, er konnte zuerst zwei Nächte lang nicht schlafen, weil er das Buch unbedingt fertig lesen wollte. Der Jüngere erschrak, als er den Titel «Land der Söhne» las. «Nei ehrlich, hast du jetzt ein Buch über uns geschrieben?», fragte er. Als er sah, dass dem nicht so ist, war er sehr erleichtert (lacht).

Wenn Sie die Schweiz Anfang Juni wieder verlassen: Was darf in Ihrem Koffer auf keinen Fall fehlen?

Raten Sie mal – es ist der Klassiker...

...Schokolade?

Genau, ein Koffer voller «Sprüngli»-Champagner-Truffes. Ohne Pralinen im Gepäck reise ich nie zurück. Die beste Schoggi gibt es einfach in der Schweiz, in dieser Hinsicht bin ich ein totaler Snob und eine Chauvinistin: Ich esse keine Schokolade, die nicht aus der Schweiz kommt.

 

Lesung in Schänis: Montag, 20. Mai, 19.30 Uhr, Kulturlokal Schänis (www.kultur-schaenis.ch). Der Eintritt kostet 15 Franken.

 

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