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Fahren am Limit

Corina Gerster aus Benken bereist die Welt. Jeden Freitag berichtet sie an dieser Stelle über ihre Erlebnisse.

Linth-Zeitung
10.05.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Willkommen in der argentinischen Pampa: Was man auf dem Bild nicht sieht, ist der 200-km/h-Wind, der über die endlose Ebene fegt. Kein Wunder, will hier keiner wohnen.
Willkommen in der argentinischen Pampa: Was man auf dem Bild nicht sieht, ist der 200-km/h-Wind, der über die endlose Ebene fegt. Kein Wunder, will hier keiner wohnen.
CORINA GERSTER

von Corina Gerster*

Heute gehts über die Grenze nach Argentinien. Der «Paso Roballo» liegt mitten im atemberaubenden Niemandsland. Ein Geheimtipp! Trotzdem liegen meine Nerven blank, denn: Per Zufall entdeckte ich eine Landkarte, auf der unsere Route als unpassierbar markiert ist. Von wegen: tiefes Wasserloch. Daraufhin versicherte mir ausnahmslos jeder Chilene: «Mi amor, in Argentinien sind eh alle Strassen schrecklich.» Chunnt aso au nümm druffah, vamos!

Schon auf den ersten Kilometern im Buschland kommt unser Gütschi ans Limit: Auf einem steilen Sandwegli drehen die Rädli durch. «Nimm nomal Alauf!» «Ich bi dra, aber es gaht nöd!» «Mol, imfall kes Problem.» Er, der keinen Führerschein besitzt, sieht die Sache entspannt. Ich weniger. Der olle Zweiradantrieb ist für die Katz. Wir müssen umkehren. Und der zweite Steilhang folgt sowieso. Nach kurzer Lagebesprechung sind wir uns einig: Hier gehts nur mit Anlauf. Ich schiesse mit Vollgas den Berg hoch. Halt oder Kontrolle gibts nicht, das Auto schwimmt auf den Steinen. Ich am Gegenlenken, er am Stossgebete senden. Wir halten den Atem an, bis wir mit einem massiven Ruck über den Grat schiessen. Ich schwör bis hüt, mir sind es bitzli gfloge.

«Ich schwör bis hüt, mir sind es bitzli gfloge.»

Das Panorama lässt aber alle Hürden bald vergessen. Hier karge Mondlandschaft, da farbenfrohe Oasen. Hunderte Guanacos, Nandus und diverse Skelette. Der Puma frisst hier, das kann man nicht verleugnen. Es folgen die Grenzübergänge. Papiere? Alles gut. Zwei Sekunden Inspektion des Autos. Primär gehts darum, dass man keine Früchte, Gemüse, Milch oder Honig einführt. Den Honig haben wir versteckt, Knobli und eine Zwiebel würden wir opfern. Doch den Kollegen interessiert’s wenig. Einen Alibi-Blick in den Kofferraum später sind wir wieder auf Achse. Und die Strassen so? Bislang genau gleich kacke wie vorher. Sorry, Chile! Mal ein bisschen Waschbrett, ein paar Löcher, alles lose Steine, ab und zu Schritttempo, aber nichts Neues.

Sechs Stunden lang sehen wir keine Menschenseele. Bis aus dem Nichts ein Auto im Rückspiegel auftaucht. Weit weg. 15 Sekunden später hockt mir die Karre fast auf dem Rücksitz. Was sind das fürig?! Das Nummernschild: gelb, Europäer. Holländer! Der Landsmann will winken und wusch, schiesst der Truck schon vorbei. Wie schnäll fahret diä!? Ewig später erreichen wir die Einfahrt zum «Highway 41». Unser Tagesziel. Ein Geisterkaff mit mickrigen Tanksäulen, einem Kiosk und fünf verlassenen Häuschen. Und dem rasenden Truck. Davor sitzt ein schickes Ehepaar. Unfassbar, dass die so verrückt fahren! Wir sagen «Hallo», und schon wird wild erzählt. Sie bereisten mit dem umgebauten Toyota 4 Runner nämlich schon halb Afrika. Wahnsinn! Dann gesellt sich noch ein holländisches Pärchen dazu. Sie wären heut beinah ins ominöse Wasserloch gefahren. Wildes Gelächter. Das hätte echt auch uns passieren können, ups! In bester Gesellschaft geht ein weiterer Tag zu Ende.

*Corina Gerster, Weltreisende, ist in Benken aufgewachsen und lebte in der Schweiz zuletzt in Rapperswil-Jona.

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