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«Luzi ist nicht lustig»

Frédéric Zwicker über Witze, die er unappetitlich findet.

Linth-Zeitung
30.04.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Frédéric Zwicker ist Musiker, Autor und Kolumnist aus Rapperswil-Jona.
Frédéric Zwicker ist Musiker, Autor und Kolumnist aus Rapperswil-Jona.
PRESSEBILD

von Frédéric Zwicker

Ich habe schon viele Artikel geschrieben. Meinen allerersten über das Konzert einer Schlagersängerin für die alte «Linth-Zeitung». Ich fand den Anlass irgendwie lustig. Aber musikalisch wars totaler Mist. Das konnte ich damals nicht sagen. Es interessierte auch niemanden, was ich fand. Das tut es wohl heute auch nicht. Aber heute darf ichs sagen: Dieses Schlager-Konzert im «Kreuz» in Jona, damals im Herbst 2003, das war gesanglich und musikalisch (Retortengedudel vom Computer) totaler Mist.
Mein Lieblingsartikel war ein Interview mit dem Kabarettisten Joachim Rittmeyer. Für mich war er schon vorher der klügste und lustigste Kabarettist im Alpenland. Nachher umso mehr. Wir redeten über komödiantische Knalleffekte und die Geschwindigkeit, mit der Pointen folgen. Er sagte: «Ich fahre nicht immer Vollgas, es gibt Kurven, vor denen ich abbremse, um danach wieder beschleunigen zu können. Beim Publikum findet so eine innere Entwicklung statt, ein Denkprozess, der nicht ganz anstrengungslos ist. Dafür sind die Erinnerungen dann vielleicht nachhaltiger als bei einem Pointenreigen.»
So ging es mir mit diesem Interview. Da fanden bei mir Denkprozesse statt, und die Erinnerungen sind so nachhaltig, dass ich immer mal wieder daran zurückdenke. «Das Schlimmste sind Gemeinplätze», lautete der Titel. Rittmeyer sagte, er wähle am liebsten Themen, die vom öffentlichen und medialen Diskurs ausgeschlossen seien. Es müsse überhaupt nicht schlecht sein, wenn öffentliche Personen aufs Korn genommen würden. Aber: «Max Goldt spöttelte über Kabarettisten als ‘Tratschmeister der Gesinnungskongruenz’. Applauseinheimsen für eine Haltung, welche das Publikum teilt.»
Bei der aktuellen Geschlechterdebatte lässt sich das gerade sehr gut beobachten. Da stossen ganze Heerscharen von Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern weltweit ins gleiche Horn, weil sie wissen, dass die Daumen ihrer Anhänger nach oben schiessen und ihre Beiträge geteilt werden, wenn sie sich gegen die Unterdrückung der Frau durch den (meist weissen) Mann aussprechen. Nichts anderes ist es aber bei jenen, die jetzt das Gegenteil posaunen und den Feminismus torpedieren. Die tun es bloss für eine andere Klientel, für eine alternative Blase.
In einem Fall finde ich das gesinnungskongruente Tratschen besonders unlustig. Luzi Stamm war als SVP-Nationalrat, der mit Falschgeld und Kokain durchs Bundeshaus spaziert, ein Gottesgeschenk für grosse Teile der Schweizer Kabarett-Szene. Gerade in der aktuellen Ausstrahlung der Satire-Sendung «Deville», die ich häufig sehr gut finde, kam wieder ein Witz.
Stamms Verhalten und sein Reden wirkten psychotisch. Dass es offiziell schwammig hiess, er werde jetzt «medizinisch betreut», deutet ebenfalls auf psychische Probleme hin. Ich finde es schlimm, dass solche immer noch tabuisiert werden. Und Witze über Luzi Stamm finde ich sehr unappetitlich.

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