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Die Fahrt gedenkt nicht nur der Gefallenen der Schlacht

Die Fahrtsprozession macht jedes Jahr in Netstal halt, um vier Soldaten zu gedenken. Diese liessen ihr Leben mehr als 550 Jahre nach der Schlacht von Näfels bei einem tragischen Schiessunfall.

Südostschweiz
04.04.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Gedenkstein markiert Unglücksstelle: Soldaten legen im Unterbühl in Netstal einen Blumenkranz nieder, um vier Soldaten zu gedenken, die bei einem Minenwerfer-Unglück starben.
Gedenkstein markiert Unglücksstelle: Soldaten legen im Unterbühl in Netstal einen Blumenkranz nieder, um vier Soldaten zu gedenken, die bei einem Minenwerfer-Unglück starben.
ARCHIV

von Hans Speck

Bei einer Schiessübung am Montagabend des 15. Dezember 1941 verloren vier Minenwerfer-Soldaten der Stabskompanie 85 nach einem Rohrkrepierer ihr Leben. Die Unfallursache konnte nie ermittelt werden. Im Jahr 1944 weihte die Stabskompanie ein Denkmal beim Unterbühl in Netstal ein, in unmittelbarer Nähe der Stelle, an der die Katastrophe geschah.

Soldaten und Zivilisten gedenken jedes Jahr am Tag der Näfelser Fahrt der vier tödlich verunglückten Soldaten. Eine Ehrenformation legt beim Denkmal einen Kranz mit rot-weisser Schlaufe nieder. Zu diesem feierlichen Akt intoniert die Harmoniemusik aus Näfels oder Glarus, je nach Turnus, das Lied «Der gute Kamerad».

Ein persönliches Gedenken an die Gefallenen

Ich mag mich gut erinnern: Als kleiner Bub musste ich stets mit meinem Vater an die Fahrt. Er legte grossen Wert darauf, an diesem Anlass auch bei Wind und Wetter teilzunehmen. Das galt auch für mich, und über viele Jahre nahmen wir gemeinsam den idyllischen, traditionellen Fahrtsweg entlang des Wiggis nach Näfels unter die Füsse. Dieser Tradition bin ich bis zum heutigen Tage treu geblieben. Das soll, so lange Gott will, auch noch einige Jahre so bleiben. Ich habe tatsächlich bis zum heutigen Tage noch keine Fahrt ausgelassen.

Der schreckliche Abend des 15. Dezember 1941, den mein Vater als Mitrailleur an der Schiessübung miterleben musste, und bei dem er Kameraden in ihrem eigenen Blute sterben sah, hat bei ihm zeitlebens eine tiefe Wunde hinterlassen. Viel hat er mir über diesen Abend erzählt, und jedes Mal, wenn das Lied vom guten Kameraden durch die Harmoniemusik vor dem Denkmal im Unterbühl intoniert wurde, hat es ihn buchstäblich durchgeschüttelt. Zu tief waren die Erinnerungen an den Tod seiner lieben Kameraden.

Auch mein damals achtjähriger Bruder Wisi musste das Unglück miterleben. Er stand damals auf dem Hügel des Unterbühls und hatte grosse Angst um unseren Vater, der ja selbst an dieser Schiessübung im Einsatz war.

Der Augenzeugenbericht von Oberst Werner Tschappu

Im Buch «Das Glarner Bataillon», herausgegeben aus Anlass des 125-Jahr-Jubiläums des Gebirgsfüsilier-Bataillons 85, schildert Oberst Werner Tschappu, damals im Grade eines Leutnants, die dramatischen Ereignisse an der Schiessübung:

Auf eine grüne Rakete beginnt der Feuerschlag. Ich stehe auf dem Hügel bei der Infanteriekanone und verfolge eine Übungs-Panzergranate mit Leuchtsatz. Dann erhellt ein Blitz die Nacht, eine heftige Explosion erschüttert die Luft. Beim ersten Schuss eines Minenwerfers krepiert eine Wurfgranate kurz nach Verlassen des Rohres.

Ein Moment Stille, dann Schreie der Verwundeten. Die in der Nähe Stehenden stehen unter Schock und laufen kopflos hin und her. Ich befehle als erstes, einen Kordon um die Unglücksstelle zu ziehen. Die Sanitätsleutnants Gallati und Hugentobler behalten ruhig Blut und organisieren Erste Hilfe. Die Verletzten werden zur nahen Scheune gebracht und dort verarztet. Es sieht schlimm aus! Zwei Spitalwagen bringen die 17 Verwundeten nach Glarus.


Die Scharfschiessübung wird sofort abgebrochen. Zu später Stunde nimmt die Kompanie im «Eidgenossen» in Netstal das Abendessen ein – es wird kaum gesprochen, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Auch der Rückmarsch nach Weesen verläuft wortlos. Dort macht man Appell, dann wird Ruhe verordnet. Die Liste wird mit dem Spital verglichen – ein Mann fehlt. Sanitätssoldat Gallati! Später erfährt man, dass dieser zu Fuss verletzt nach Glarus gelaufen sei. Als Suchtrupp werden ein Zug der Kompanie Drei und die Feuerwehr Netstal mit Beleuchtungsmaterial bereitgestellt. Kurz vor dem Einsatz wird vom Spital gemeldet, dass Soldat Gallati leicht verletzt dort sei. Gleichzeitig teilt man uns mit, dass Minenwerfer-Kanonier Karl Lüönd, Jahrgang 1920, seinen Verletzungen erlegen sei. Ich muss dem Bruder in der Kompanie Drei diese traurige Nachricht mitteilen.

Siebzehn verletzte Kameraden liegen im Spital, darunter Leutnant Hermann mit sehr schweren Verletzungen. Er wird später in das Universitätsspital in Zürich überführt. In den nächsten Tagen sterben Minenwerfer-Gefreiter Vitus Stadler, Jahrgang 1918, Minenwerfer-Kanonier Johann Hauser, Jahrgang 1910, und Minenwerfer-Wachtmeister Willy Zingg, Jahrgang 1914. Sie wurden mit militärischen Ehren bestattet. Uns bleiben sie als liebe Kameraden in bester Erinnerung.

Am folgenden Tag kommen Untersuchungsrichter und Fachexperten. Über alles müssen wir Rede und Antwort geben. Die Vorbereitungen und der ganze Hergang werden peinlich genau untersucht. Meines Wissens ist die genaue Ursache des Unfalls nie ermittelt worden. Als letzten Dienst vor der Entlassung begleitet das ganze Bataillon den Sarg von Wachtmeister Zingg vom Spital zum Bahnhof.

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