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Der Appenzeller Antagonist

Unser neuer Kolumnist Luca Brunner lebt zurzeit in der grössten Stadt der USA. Von dort berichtet er alle zwei Wochen über seine Erlebnisse – heute über einen Appenzeller mit tibetischen Wurzeln.

Linth-Zeitung
23.01.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Für feinste französische Küche sorgt Amadeus Broger, Appenzeller mit tibetischen Wurzeln, im Restaurant «L’Antagoniste».
Für feinste französische Küche sorgt Amadeus Broger, Appenzeller mit tibetischen Wurzeln, im Restaurant «L’Antagoniste».
L'ANTAGONISTE

New York City und Appenzell erwähnen die Wenigsten im gleichen Atemzug. Ein schwerer Fehler! Der beste Beweis dafür ist die bewegte Lebensgeschichte von Amadeus Broger, einem 55-jährigen Appenzeller mit tibetischen Wurzeln. Unsere Wege kreuzten sich erstmals, als ich meine Freundin an ihrem Geburtstag in sein Restaurant «L’Antagoniste» ausführte. Einige Stunden – ein Käse-Soufflé, eine Entenbrust, eine Flasche Bordeaux und ein wenig Small Talk über Heimat und Wahlheimat – später wusste ich: Ich möchte mehr über diesen Charakterkopf erfahren. Vor rund 20 Jahren begann sein amerikanisches Abenteuer inmitten einer der schwersten Schneestürme der letzten Jahrzehnte. Sein Flugzeug konnte gerade noch landen, bevor die Flughäfen der Stadt tagelang geschlossen wurden. Mit einem Schmunzeln berichtete mir Broger davon, dass es im «Big Apple» damals fast so aussah wie zurzeit in Arosa (zur Information: In Arosa liegen nach den ergiebigen Schneefällen der letzten Tage fast zwei Meter Schnee). Der damalige Schneesturm steht symbolisch für Brogers Weg. Wie die berühmten Rapper Jay-Z und Notorious B.I.G, welche beide gleich hier um die Ecke in einem der charakteristischen Backsteinhäuser des Quartiers Bedford-Stuyvesant aufwuchsen, musste sich auch Broger seinen Erfolg hart erkämpfen. Aus dem alleingelassenen tibetischen Flüchtlingskind wurde ein gescheites, aber scheues Adoptivkind in Appenzell und später ein Kochlehrling im Luxushotel «Le Montreux Palace». Nach einem Umweg als gescheiterter Werbeunternehmer führte er erfolgreich eine Dorfbeiz in Bülach, bis ihn das Schicksal nach New York brachte. Seit über drei Jahren verwöhnt Broger nun seine Gäste mit französischen Köstlichkeiten. Seine Köche rekrutiert er regelmässig als Souschefs aus Frankreich und formt aus ihnen Köche mit Michelin-Format. Wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und die anderen Denker und Lenker, welche die Wand seines Restaurants zieren, war auch Amadeus Broger des Öfteren ein Antagonist in seinem Leben. Dementsprechend mein Neujahrsvorsatz: Mehr Querdenken und (noch) mehr französische Küche. Santé!

Luca Brunner aus Rapperswil-Jona ist Generalist, Journalist und Querdenker. Er lebt und arbeitet in New York.

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