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Ein junger Malaysier tauscht Wolkenkratzer gegen Berge

Der Malaysier Xin Hao Ling verbringt sein Austauschjahr auf einem Bauernhof im Kanton Glarus. Da lernt er ein ganz anderes Leben kennen.

Südostschweiz
10.11.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Im Edelweisshemd: Der malaysische Austauschschüler Xin Hao Ling lebt bei einer Familie auf einem Bauernhof in Schwanden und ist hier mit den Rindern auf der Alp.
Im Edelweisshemd: Der malaysische Austauschschüler Xin Hao Ling lebt bei einer Familie auf einem Bauernhof in Schwanden und ist hier mit den Rindern auf der Alp.
YANICK HÜPPI

Von Natasha Lanz

Plötzlich lag auf der Wiese ein Kalb. Das Neugeborene soll in den Stall kommen und muss dorthin transportiert werden. «Ich wusste nicht, dass Kälber so schwer sind», erzählt Xin Hao Ling. Der 17-jährige malaysische Austauschschüler lebt auf dem Bauernhof von Kaspar Hösli und Rita Hüppi in Schwanden. «Das Kalb war noch gelb von der Geburt», erzählt er. In seiner Heimat Malaysia hatte er kaum Kontakt zu Tieren.

Xin Haos Familie lebt in einem Haus in einer Vorstadt von Kuala Lumpur, der Hauptstadt von Malaysia. Die Stadt selbst hat 1,5 Millionen Einwohner und das auf einem Drittel der Fläche des Kantons Glarus. Die multikulturelle Stadt ist vor allem für ihre moderne Skyline bekannt. Für sein Austauschjahr wollte Xin Hao nach Europa. Und er landete hier im Kanton Glarus auf einem Bauernhof.

«Ich bin jetzt nicht mehr von Hochhäusern umgeben, sondern von Bergen», erzählt Xin Hao und lächelt. Ihm scheint es hier zu gefallen. Der junge Asiate ist dünn, es ist ein eigenartiges Bild, ihn im Edelweisshemd auf einem Bauernhof zu sehen. «Ich helfe vor allem beim Füttern der Tiere», erklärt er.

Die Ankunft im Februar sei aber ein Schock gewesen. «Mein erster Eindruck war die Kälte», erklärt Xin Hao. Verständlich, wenn man aus einer Stadt kommt, in der die Temperaturen eigentlich nie unter 20 Grad fallen. Den Schnee habe er aber lieben gelernt, er schwärmt: «Ich will unbedingt Skifahren lernen.»Bis zu seiner Abreise im Januar habe er ja noch ein wenig Zeit. Ansonsten fährt er gerne Schlitten. Auch Eislaufen habe ihm gefallen, aber der Eintritt sei teuer. «Hier ist alles so teuer», merkt er an. «Ich hab fast kein Geld mehr, weil ich ein Generalabonnement gekauft habe.»

Dem Essen fehlt die Schärfe

Bei seiner Gastfamilie hat Xin Hao auch sein neues Lieblingsessen kennengelernt: Fondue. «Aber Ziger-Fondue», fügt er schnell hinzu. Auch wenn er einige Anläufe brauchte, um es zu mögen. «Mit jedem Versuch wurde es besser», erzählt er lachend. Aber auch andere Klassiker wie Rösti und Raclette mag er. Trotzdem vermisst auch das Essen seiner Heimat: «Hier fehlt die Schärfe. Vor allem Asam Laksa vermisse ich, eine traditionelle Nudelsuppe.»

Die Gastfamilie in Schwanden ist seine zweite. Über die Familie Hösli-Hüppi schwärmt er regelrecht: «Sie unterstützen mich, und ich fühle mich wie zu Hause. Und da keiner von ihnen Englisch kann, muss ich mit ihnen Deutsch reden.»In die Schweiz kam er ohne Vorkenntnisse, was man ihm fast nicht mehr anhört. Auf Komplimente dazu antwortet er: «Ich hab noch viel Luft nach oben.» Neben Deutsch spricht er auch seine Muttersprache Chinesisch, Malaysisch und Englisch. «Schweizerdeutsch finde ich noch ein wenig schwer», erzählt er. «Ich verstehe die Aussage, aber nicht die einzelnen Wörter.» Das sei ein Problem beim Schliessen von engen Freundschaften. Trotzdem wurde er von den Glarnern gut aufgenommen: «Meine Mitschüler sind sehr freundlich.»

5000 Schüler an einer Schule

Die Schule in der Schweiz sei familiärer: «Meine frühere Schule hat 5000 Schüler», erzählt er: «Das ist ja mehr als doppelt so viel wie die Bevölkerung von Schwanden!» Jetzt, in der Kantonsschule, sei alles ein wenig anders: «In Malaysia hatte ich 55 Mitschüler in der Klasse», erzählt er. Hier seien es etwa 20. Das mache den Unterricht ein wenig persönlicher. Noten gebe es für ihn keine, aber in Mathe fühle er sich ein wenig unterfordert. «In Malaysia hatten wir den Stoff schon vor zwei Jahren», erzählt er und scherzt: «Manchmal schlafe ich einfach.» Andere Fächer wie Biologie seien herausfordernder: «Es gibt viele Fachbegriffe, die man schwer übersetzen kann. Das macht das Verstehen schwerer.»

Was er später werden will, weiss er noch nicht.«Meine Eltern wollen, dass ich in Richtung Rechtswissenschaften gehe. Onlinerecht haben sie vorgeschlagen», erzählt er. «Aber ich überlege noch.» Er weiss, dass er in Zukunft viel reisen will: «In die Schweiz komme ich sicher wieder einmal.» Seine Lieblingsstadt sei Venedig, aber hier in der Schweiz gefalle ihm Montreux am Genfersee am besten: «Wahrscheinlich lag es an der Atmosphäre.» Er schwelgt in Erinnerungen: «Es war neblig an dem Tag.»

Und wie findet Xin Hao die Schweizer? «Die Leute hier wirken anständiger und seriöser als die Malaysier», erzählt er nachdenklich. «Aber sie sind viel zurückhaltender, vor allem gegenüber Fremden.» Schlechte Erfahrungen habe er hier nicht gemacht, und selbst wenn: «Ich behalte Schlechtes weder im Herzen noch im Gedächtnis.»

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