Von Benken in den Big Apple
Der Geschäftsmann und Künstler Oscar Schnider ist in Benken aufgewachsen. So richtig zu Hause fühlt er sich in New York. Früher war er mit Jazz-Grössen wie B.B. King oder Ray Charles unterwegs. Aktuell kämpft er um seine Stimme.
Der Geschäftsmann und Künstler Oscar Schnider ist in Benken aufgewachsen. So richtig zu Hause fühlt er sich in New York. Früher war er mit Jazz-Grössen wie B.B. King oder Ray Charles unterwegs. Aktuell kämpft er um seine Stimme.

Diese «Fernsicht» hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Der Benkner Oscar Schnider hat sie nämlich gleich selbst geschrieben. Er ist an Mandelkrebs erkrankt. Ein Tumor hat im Hals schwere Schäden angerichtet. Seit September 2017 gilt er als krebsfrei. Auch wenn sich Schnider auf dem Weg der Besserung befindet: Das Reden fällt ihm nach wie vor schwer.
In den vergangenen 75 Jahren hat er viel erlebt. Angefangen hat alles zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Benken.
Ich bin am 26. Juni 1943 zu Hause geboren. Als zweiter Sohn bin ich in der Metzgerei Xaver Schnider im Grütt aufgewachsen – im Konzert mit drei jüngeren Schwestern. Mein älterer Bruder, auch Xaver getauft, der später das Geschäft vom Vater übernehmen sollte, bildete von frühester Zeit an eine Art Rückendeckung. Es war mir erlaubt, meinen eigenen Weg zu gehen. Als Metzgerssohn aufzuwachsen war nichts Besonderes. Als erfolgreiche Kleinunternehmer waren die Eltern in das Dorfleben integriert und geachtet. Der Betrieb im Haus lief immer auf Hochtouren. Das Privat- und das Geschäftsleben haben sich vermischt. Beide Eltern starben relativ jung – 1974, der Vater im Januar, mit 65 Jahren, die Mutter im Mai, im Alter von 59.
Nach wie vor präsent ist die Schulzeit. Erinnerungen an wichtige Bezugspersonen in der Schule sind noch sehr lebendig.
Einige Lehrkräfte bleiben unvergesslich: Fräulein Agnes Hugentobler, die nebst Fachkenntnis nur Güte ausstrahlte; Ernst Kaiser, ein eher militärischer Typ, der mit dem Lineal für kleinste Vergehen die Fingerknöchel rötete; und Paul Hardegger, der in mir das kreative Schaffen erwachen liess. Ich erinnere mich an die Bauernkinder, die barfüssig und verschmutzt mit Verspätung einliefen, weil sie seit fünf Uhr früh im Stall mitgeholfen hatten.
Die Freizeit verbrachte ich mit Fussball, Lesen, Indianer- und Cowboyszenen zeichnen, Cervelats am offenen Feuer grillieren oder turnen in der Jugendriege. Manchmal durfte ich dem Wunschkonzert am Radio Beromünster zuhören, wo ich zum ersten Mal Louis Armstrongs Stimme hörte und sofort fasziniert war. Ich war nicht nur von der Musik begeistert, sondern auch von der Idee Amerika.
Von Amerika geträumt
Der Traum von Amerika sollte Oscar Schnider einholen. In New York gründete der gelernte Grafiker später eine Design-Agentur und verbrachte den Grossteil seines Lebens im Big Apple – nach einigen Umwegen.
Paris. London. New York. In Paris, wo ich von 1965 bis 1967 zwei Jahre verbrachte, lernte ich Carlo Wieland kennen, der mich im Januar 1969 nach London in die Documenta Ltd. berief. Die Designfirma unterhielt Studios in New York, London, Paris und Mailand. In New York wurde ein neuer Art Director gebraucht.
Nach einer Ausmarchung mit vier Engländern befand ich mich Ende April 1969 mit einem Zweijahresvertrag auf dem Weg nach New York. Ich kam am 26. April 1969 am Flughafen JFK an, meine Habseligkeiten in einem Stoffköfferchen verstaut. Vervollständigt wurde das Gepäck durch eine rote Olivetti Valentine Reiseschreibmaschine.
Nach dem Ablauf des befristeten Arbeitsvertrages machte ich mich selbstständig und sollte es bis 2004 bleiben. 1985 gründete ich mit Rene Yoshina, einer gebürtigen Hawaiianerin, die Firma Schnider&Yoshina, Ltd., die wir für fast 20 Jahre unterhielten. Mit 15 bis 20 Angestellten erarbeiteten wir uns einen guten Ruf. Ich war für die künstlerische Leitung, die finanzielle Planung und den Kundendienst zuständig, während Rene für das Management, die Produktion und die Angestelltenbetreuung verantwortlich zeichnete.
Die beiden waren nicht nur geschäftlich ein gutes Paar. 1988 heirateten sie.
New York, New York
Die neue Heimat hat Oscar Schnider viel gegeben. Sie ist ihm ans Herz gewachsen.
Ich bin wegen New York nach Amerika ausgewandert und nicht wegen Amerika. Besonders in den Siebziger- und Achtzigerjahren sprühte die Stadt vor kreativer Energie und dem Bewusstsein, die ganze Welt in sich versammelt zu haben. Paris gehört schliesslich den Franzosen, London bleibt englisch. Aber New York gehörte der ganzen Welt. Herkunft und Hautfarben schienen unwichtig zu sein. Das grossartige Gefühl von Grenzenlosigkeit und Freiheit überwog.
«Seine Stadt» hat sich entwickelt. Über die Jahre hat sich der Big Apple stark verändert.
Ich lebte bis zu meiner Pensionierung 2004, also 35 Jahre lang, in Manhattan. 1973 kaufte ich mit drei anderen Waghalsigen, darunter der Zürcher Maler und Plastiker Carl Bucher (1935–2015), eine alte Fabrik am West Broadway in Soho. Wohnen im Leichtindustriebezirk war damals noch illegal. Dazu kam, dass die Stadt teils wegen der Ölkrise beinahe bankrott ging. Subways und Strassen waren arg verschmutzt, die Kriminalität ausser Kontrolle. Die Umzonung der Fabrik, wo wir arbeiteten und auch übernachteten, in ein legales Wohnquartier war kompliziert und hing lange in der Luft. Die Wohngemeinschaft kämpfte viele Jahre lang. Das Geld war knapp. Letzten Endes schafften wir es, und mein Anteil der Fabrik wurde zum Eigenheim – bis zum Verkauf 2004.
1981 erstand ich eine verlotterte, aber geschichtsträchtige Farm in Accord, New York, im Hudson Valley, 150 Kilometer nördlich von Manhattan gelegen. Sie wurde zum Zweitheim – von New York aus in knapp zwei Fahrstunden zu erreichen. Als wir 2004 unsere Zelte in Manhattan abbrachen, wurde die Farm zu unserm Vollzeit-Heim. Die Gegend um die Catskill Mountains ist ausserordentlich schön.
Der Weg des Künstlers
Eine ganz besondere Rolle in Oscar Schniders Leben hat schon immer das Schreiben gespielt. Bereits als Kind hat es ihm viel bedeutet.
Mit zehn Jahren begann ich Notizbücher zu führen, in die ich gepresste Blumen und Insekten klebte. Die Fundstücke beschrieb ich und illustrierte sie. Aus dieser Tätigkeit entwickelte sich mein Tagebuchschreiben, ein Bedürfnis bis zum heutigen Tag. Seit 1988 schrieb ich Tagebücher für die Familie, zeichnete den Lebensweg meiner Kinder auf. Diese Serie wird bis heute fortgesetzt.
Es ist nicht beim Tagebuchschreiben geblieben. 2013 ist der Roman «An der Grenze» im Luzerner Pro Libro Verlag erschienen. Die Kriminalgeschichte dreht sich um ein 14-jähriges Flüchtlingsmädchen, das 1943 über die Grenze geschmuggelt worden ist und in Sicherheit gebracht werden sollte.
Das Schreiben ist für mich eine Form der Meditation. Es schafft einen Ruhepunkt, die Möglichkeit zur Selbstbeobachtung und zur Verarbeitung des Geschehenen. Es führt zu einem inneren Ordnen, das wichtige Entscheidungen beeinflussen kann. Mit Briefen wurden Brücken gebaut, bevor das Internet die schnelle E-Mail schuf, die viele meiner Freundschaften stärkte und sie über Jahrzehnte gedeihen liess.
Seit 2014 arbeitet Schnider an seinen englischsprachigen Memoiren mit dem Arbeitstitel «Country Boy». Neben dem Schreiben gehört Musik zu Schniders grossen Leidenschaften. Die Musik sei und bleibe eine treue, lebenslange Begleiterin, erklärt er. Im Moment befasst er sich mit der Musik und der Lyrik von Leonhard Cohen. Auch das Geschäft hat von der Leidenschaft profitiert.
Von 1985 an war ich mit meinem Geschäft sehr in die Kunstwelt verwickelt, besonders im Bereich Jazz. Wir haben weltweite Touren gestaltet und die Musik vor Ort auch dem Publikum vorgestellt. Wir sind jedes Jahr im Frühling mit dem Tour-Promoter und Kunden in alle Konzert-Städte gereist, um die Vorbereitungen zu koordinieren. Da hat es sich oft ergeben, besonders am Start der Touren im Herbst, dass Partys organisiert wurden. Ich habe während diesen Jahren viele Musiker der Crème de la Crème der Jazzwelt persönlich treffen können. Für mich war das ein Bonus. Der Höhepunkt dieser Serie war eine Tour 1990 mit B.B. King und Ray Charles zusammen mit einer All-Star Big Band.
Zur Ruhe gekommen
Oscar Schnider hat zweimal geheiratet. Mit seiner zweiten Ehefrau und ehemaligen Geschäftspartnerin, Rene Yoshina, hat er zwei Kinder: Gabriel, einen 25-jährigen erfolgreichen Jazz-musiker, und Kanani. Sie ist 21 Jahre alt und studiert an der Stanford University in Palo Alto, Kalifornien.
Das neue Zuhause im Hudson Valley hat für die Familie eine besondere Bedeutung.
Seitdem wir 2004 New York City verlassen haben, hat sich das Leben beruhigt. Das Restaurieren der Farm beschäftigt mich seit 1981 stark. Ich pflanzte 200 Bäume, baute Steinmauern, bearbeitete das Gelände, brachte den Teich auf Vordermann, verlegte Strassen. Ausserdem renovierte ich die drei Gebäude: das Steinhaus (1748 gebaut), das Boarding House, das den früheren Besitzern als Pension diente – jetzt ist es unser Heim – und den Stall, in dem mein Studio untergebracht ist. Die Restauration ist zwar abgeschlossen, aber der Unterhalt, besonders die Gärten, Hecken und Rasen beschäftigen mich auch heute sehr. Daneben lese, schreibe, zeichne und male ich zu meinem Vergnügen.
Manchmal überkommt den Benkner auch das Heimweh.
Heute bewundere ich die Schweiz – trotz ihrer Probleme – als einen Ruhepol in einer stürmisch-gefährlichen Welt. Hätte ich mir in Amerika kein schönes Leben mit einer tollen Familie aufgebaut, bliebe eine Rückkehr, auch zu diesem späten Zeitpunkt, nicht ausgeschlossen.
Das Linthgebiet zähle ich nach wie vor zu den schönsten Landschaften überhaupt. Für mich ist es ein natürliches Amphitheater.
In der Serie «Fernsicht» porträtiert die «Südostschweiz am Wochenende» in loser Folge Menschen, die ihre Heimat, das Linthgebiet, verlassen haben und heute im Ausland oder in anderen Landesgegenden der Schweiz leben. Das können bekannte oder ander-weitig interessante Personen sein, die in der Region aufgewachsen sind. Vorschläge für Porträts sind jederzeit herzlich willkommen. Interessierte können sich unter gastersee@suedostschweiz.ch melden.