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Nach 163 Jahren verstummen die Sänger von Rapperswil

Die Stadtsänger Rapperswil hören auf zu singen. Ihnen sterben die Mitglieder weg. Das gleiche Schicksal hat bereits den Männerchor Kempraten ereilt – und droht auch dem Männerchor Jona. Neue Ideen sind gefragt.

Pascal
Büsser
21.01.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Das letzte Lied: Die Stadtsänger Rapperswil sind in Zukunft nicht mehr zu hören.
Das letzte Lied: Die Stadtsänger Rapperswil sind in Zukunft nicht mehr zu hören.
CAROLE FLEISCHMANN

Leicht ist der Entscheid dem Vorstand der Stadtsänger Rapperswil nicht gefallen. «Unser Herz schlägt noch immer für das Musizieren. Aber wir müssen der Realität ins Auge schauen», sagt Präsident Max Rechsteiner. Mitte Dezember ist er mit seinen Gesangskollegen zum wohl allerletzten Mal vor Publikum aufgetreten (Ausgabe vom 15. Dezember).

Die Stadtsänger lösen sich als Verein zwar nicht auf, stellen aber die Gesangsaktivitäten ein. «Es ist ein Vernunftentscheid», sagt Rechsteiner. Zwar gibt es noch rund 20 aktive Stadtsänger. Doch in den nächsten zwei bis drei Jahren drohe sich diese Zahl altersbedingt stark zu dezimieren. Stolze 72 Jahre beträgt das Durchschnittsalter.

Nach dem Rückzug des Dirigenten Max A. Gmür, der bereits auch den Männerchor Jona dirigierte und weiterleiten wird, lohne sich aufgrund der Altersstruktur die Suche nach einem neuen Dirigenten nicht mehr, erklärt Rechsteiner. Denn Nachwuchs ist nicht in Sicht.

Von 90 auf 20 Mitglieder

Es ist das Ende einer 163-jährigen Tradition. 1854 wurde der Männerchor Rapperswil gegründet. 1912 der Sängerbund. 1993 vereinten sich die beiden zu den Stadtsängern Rapperswil, um Synergien bei Vorstand und Dirigent zu schaffen. 90 Sänger zählte der fusionierte Verein. 24 Jahre später sind es weniger als ein Viertel.

Rechsteiner hat den Wandel selber miterlebt. «Als ich 1982 eintrat, ging es neben dem Singen auch noch um Sehen und Gesehen werden.» Der Männerchor sei gerade für Gewerbler eine Networking-Plattform gewesen. Tempi passati.

Rechsteiner sieht den gesellschaftlichen Wandel als Hauptgrund für den Niedergang. Die wenigsten wollten sich mehr fix binden. Mitverantwortlich dafür seien der steigende Druck im Beruf und veränderte Familienmodelle. Zudem gibt es in Rapperswil-Jona über 300 Vereine. «Die Konkurrenz ist enorm.»

Stadt: Von drei bleibt einer

Kooperiert, wie das andere Männerchöre der Region machen (siehe Artikel oben), haben in den letzten Jahren auch die Stadtsänger Rapperswil, der Männerchor Kempraten und der Männerchor Jona. Respektive «sich beschnuppert», wie Rechsteiner es nennt. Sie sind mehrmals zusammen aufgetreten. Auch beim letzten Konzert der Stadtsänger haben Joner ausgeholfen. Doch eine formelle Fusion konnten sie sich nicht vorstellen. Es hätte wohl auch nicht mehr viel geändert.

Bereits vor den Stadtsängern haben die Kempratner Ende 2016 ihre Gesangsaktivitäten eingestellt – auch sie waren hoffnungslos überaltert. Aktiv singen wird künftig nur noch der Männerchor Jona. Er vereint laut Geschäftsführer Hansueli Brändli noch beachtliche 30 Sänger. Mit einem Durchschnittsalter von 67 droht ihm allerdings in absehbarer Zeit das gleiche Schicksal wie den Rapperswilern und Kempratnern. Brändli macht sich keine Illusionen. «Wir haben schon vieles probiert, um neue Mitglieder zu finden. Männerchöre sind eine aussterbende Spezies», konstatiert er nüchtern. Als Projektchor, der grössere Konzerte mit Ad-hoc-Sängern realisiert, sieht er den Männerchor Jona nicht.

Weltlicher Gemischtenchor?

Rechsteiner könnte sich derweil vorstellen, dass sich die Stadtsänger in diese Richtung entwickeln. Respektive dass der Vereinsvorstand als etablierte Struktur erhalten bleibt, um Konzerte für Projektchöre zu organisieren.

Oder sich die Stadtsänger aber in einen weltlichen gemischtgeschlechtlichen Chor wandeln, analog zum kirchlichen Chor Caecilia. Noch seien das allerdings vage Ideen, sagt Rechsteiner. Er selber überlässt es dem künftigen Vorstand, konkrete Entscheide zu treffen. Selber will er nach dem bisherigen Engagement kürzertreten. Ob und wie es gesanglich für ihn weitergeht, lässt er offen. Einige Kollegen würden derweil nach Jona übertreten, weiss er.

Rechsteiner erwähnt als Hoffnungsschimmer die 1870er-Jahre. Bereits damals habe es eine mehrjährige Pause gegeben, nach der der Männerchor Rapperswil wieder auflebte. Dass die Stadtsänger in der heutigen Form nochmals eine gesangliche Auferstehung erleben, darauf deutet im Moment indes nichts hin.

Rechsteiner sieht den Wandel der Gesellschaft als Hauptgrund für den Niedergang. Früher sei der Chor eine Plattform für Networking gewesen.

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