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Glücklich bis ans andere Ende

Seit bald drei Jahrzehnten leben Ernst und Barbara Schneider-Scherrer in Australien. Ihren drei Kindern ist der Fünfte Kontinent Heimat. Vor einigen Jahren hat der Lehrer Ernst Schneider ein neues Hobby entdeckt.

Milena
Caderas
10.11.17 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Normalerweise schreibt Ernst Schneider Verwandten, Freunden und Bekannten Ende Jahr einen langen Brief, in dem er von den vergangenen Monaten berichtet und alle auf den neusten Stand bringt, wie es ihm und seiner Familie in Australien geht. «Jetzt mache ich das über die Zeitung», sagt Schneider am Telefon. Zu erzählen hat der Auswanderer viel.

Der ausgebildete Reallehrer hat Jahrgang 1955. Aufgewachsen ist Schneider mit zwei Brüdern und einer Schwester im Toggenburg. Insgesamt sieben Jahre unterrichtete er nach einer pädagogischen Ausbildung in Gommiswald. Nach einem Unterbruch als Assistent von Professor Josef Weiss am Lehrerseminar in Rohrschach kehrte er ins Linthgebiet zurück. Zunächst verschlug es ihn ins Städtli. Nach nur einem Jahr in Uznach ging er zurück ans Oberstufenzentrum Gommiswald/Rieden/Ernetschwil. Dort blieb er beim zweiten Mal für ein halbes Jahrzehnt.

Wagnis für das junge Paar

Das Linthgebiet brachte ihm auch die Liebe. Hier lernte er seine spätere Ehefrau Barbara Scherrer kennen. Sie ist die Tochter von alt Dorflehrer Leo Scherrer aus Benken, der nach wie vor dort lebt.

Schneider liebte schon in jungen Jahren das Abenteuer. Er träumte davon, einmal im Ausland zu leben. Auf einer Erkundungsreise durch Australien – möglich dank unbezahltem Urlaub – hielt der junge Ernst Ausschau nach Arbeit. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten fand er eine Anstellung als Lehrer.

1990 sind Ernst und Barbara nach Australien ausgewandert. Das junge Paar gab sich zwei Jahre Zeit. Bis dahin sollte ihre älteste Tochter in die Schule kommen. Dann wollten sie sich endgültig festlegen, ob sie länger in Perth bleiben oder sich ihre Zukunft in der Schweiz aufbauen. Im Leben komme man an Kreuzungen, an denen man sich für einen Weg entscheiden müsse. Das sei eine solche Weichenstellung gewesen.

Nach zwei Jahren am anderen Ende der Welt erhielten sie die «permanent residency», eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung. Australien wurde somit definitiv zur zweiten Heimat. «Wären wir wieder in die Schweiz zurückgekehrt, hätten wir auf jeden Fall Lebenserfahrung mitgenommen», sagt Schneider im Rückblick.

Besonders für Barbara sei diese Zeit rund um die Geburt und später mit den kleinen Kindern so weit weg von Familie und Freunden nicht immer einfach gewesen.

Kraftakt Integration

Sich Down Under zu integrieren, war ein Kraftakt, gibt der Auswanderer im Rückblick zu bedenken. In der Anfangszeit haben sich die Schneiders im Swiss Club, dem Verein ausgewanderter Schweizer, engagiert. Viele wichtige Informationen haben die emigrierten Landsleute über den lokalen Radiosender Swiss Radio erhalten. Eine Zeit lang wurde Schneider einmal im Monat gar selber zum Radiomacher. Damals hätten sich die Schweizer in Westaustralien untereinander noch gekannt. Mittlerweile würden etliche Schweizer ihr Glück auf dem Roten Kontinent suchen. Die Erfahrung, sich in einer völlig fremden Umgebung zurechtzufinden, habe die Familie extrem zusammengeschweisst.

An Australien gefällt dem Lehrer vor allem das Klima. Obwohl es in Perth recht windig sein könne. Aber in der Zwischenzeit hätten sie sich daran gewöhnt, erzählt der Auswanderer. Bei 36 Grad Hitze spielt er problemlos Tennis. Im Moment ist Frühling. Es herrschen 20 Grad und das Wetter ist durchzogen.

Längst haben sie Fuss gefasst. Heute leben sie in einem Suburb von Perth. «In fünf Minuten sind wir am Meer», beschreibt Schneider. Und der Strand bei ihnen sei in der Regel nicht so übervölkert wie andernorts. Es herrschten gute Bedingungen für Strandausflüge. Bis ins Stadtzentrum von Perth sind es 18 Kilometer.

Drei Kinder haben die beiden bekommen. «Der Jüngste ist auch schon 26», sagt Schneider. Damit nicht genug. Die Schneiders sind stolze zweifache Grosseltern.

Verschiedene Mentalitäten

Das Unterrichten als Werklehrer gefällt ihm, er arbeitet gerne mit jugendlichen Schülern. «Um den ganz Kleinen alles beizubringen, dafür hätte ich die Geduld nicht», so Schneider. Noch vier, fünf Jahre will er sein Wissen weitergeben. Dann geht er in Pension.

Heute unterrichtet Schneider 12- bis 18-jährige Australier am Mater Dei College, einer privaten katholischen Einrichtung. Rund die Hälfte der australischen Schüler besuchen private Schulen. Hinter dem Leitbild, die Schüler zu Persönlichkeiten mit Moral zu erziehen, könne er stehen, sagt Schneider. Er gibt zu, dass er nach all den Jahren vor Schulklassen doch etwas ausgelaugt und daher ein Ausgleich zum Beruf erforderlich sei.

Was ihm über die lange Zeit zu schaffen gemacht hat, sind die vielen Wechsel. Immer wenn eine neue Regierung an die Macht kommt, ändern sich die Lehrpläne. Die neuen Machthaber wollen ihre eigenen Prioritäten setzen – egal ob Liberal Party oder Labor Party. So viele Wechsel habe er in der Schweiz nicht erlebt.

In den letzten drei Jahrzehnten hat der administrative Aufwand zugenommen. Er habe seine Zeit schon immer lieber gemeinsam mit den Jugendlichen statt mit dem Ausfüllen irgendwelcher Formulare verbracht.

Muster, die sich in der Bildungspolitik zeigen, können auch an anderer Stelle erkannt werden. Die Schweizer hätten immer gern Sicherheit. Die Australier ihrerseits würden darauf vertrauen, dass sich schon alles regle. Eine Langzeitplanung sei deshalb meistens nur schwer umsetzbar. An diese entspanntere Herangehensweise habe er sich über die Jahre gewöhnt.

Ein aussergewöhnliches Hobby

Vor sieben Jahren hat Schneider ein neues Hobby für sich entdeckt. Mit der Motorsäge schafft er Holzskulpturen. Für die Roharbeit an einer Skulptur braucht er etwa einen Tag. Der Feinschliff dauert dann wesentlich länger. Mit dem «lebendigen» Material Holz zu arbeiten, fasziniert ihn.

Die schmalen Menschenfiguren erinnern an Giacometti-Statuen. Seit drei Jahren ist er Mitglied der Künstlergruppe Contemporary Australian Surrealists Movement CASM. Zwölf Kunstschaffende aus Perth und Umgebung haben sich zusammengeschlossen und Schneider konnte seine Arbeiten bereits in mehreren Gruppenausstellungen zeigen. Der Austausch mit anderen Künstlern liegt ihm. Im vergangenen Sommer stellte er zusammen mit Carmel Sayer in der Ellenbrook Gallery in Perth aus.

Nach der Pensionierung würden mehr Zeit und vor allem mehr Energie für die Kunst bleiben. «Solange das Gewicht der Motorsäge noch kein Problem ist, solange werde ich weitermachen. Dann werden wir weitersehen», so Schneider. Hier zeigt sich vielleicht, dass Schneider die australische Gelassenheit verinnerlicht hat.

Die Heimat interessiert

Trotz der grossen Entfernung: Mit der Heimat bleiben die Schneiders verbunden. «Wir surfen eigentlich täglich auf den Websites von Schweizer Zeitungen», sagt Schneider. Das Ehepaar möchte über die neusten Entwicklungen in der früheren Heimat auf dem Laufenden bleiben.

Wirklich vermissen würden sie nichts, sagt Schneider. Mittlerweile gibt es im Perther Stadtzentrum einen Laden mit europäischen Spezialitäten. Dort gibt es übrigens auch Aromat im Angebot.

Bekanntschaften mit alten Weggefährten pflegen sie nach wie vor. Mit ehemaligen Lehrerkollegen und einigen Ex-Schülern steht er immer noch hie und da in Kontakt. Einige haben das Ehepaar auch schon in ihrer neuen Heimat besucht. Die Familie ist seit ihrer Auswanderung mehrfach für Ferien zurückgekehrt. Seit 2010 war Schneider nicht mehr in der Schweiz. Seine Eltern kann er nicht mehr besuchen. Sie sind verstorben. Ihn zieht es nicht in die Heimat. Ferien in der Schweiz würden normalerweise nur aus unzähligen Besuchen bestehen. Das sei halt nicht so erholsam, meint der Pädagoge. Eine Rückkehr ins Linthgebiet kommt für das Ehepaar Schneider nicht infrage. Sie sind auch schon beide längst Doppelbürger. «Den Schweizerpass hätte ich aber nicht hergegeben», so Schneider. Für die beiden Enkelkinder ist die Schweiz bloss noch ein fernes Land, das sie aus Erzählungen der Grosseltern kennen.

Das mit «Schweizer Pünktlichkeit», wie Schneider gleich zu Beginn bemerkt, begonnene Gespräch zwischen Uznach und Perth dauert schon fast zwei Stunden. In Australien neigt sich der Tag bereits dem Ende zu. In der Schweiz ist es Zeit fürs Mittagessen. «Das war jetzt wohl das längste Telefongespräch, das ich je geführt habe», sagt Schneider zum Schluss des Interviews. Sonst habe er nie so viel zu erzählen. Falls ihm doch noch etwas in den Sinn kommen sollte, kann er ja noch eine Weihnachtskarte mit dem Bild vom Strand fast direkt vor der Haustüre in die Schweiz verschicken.

Fernsicht
In der Serie «Fernsicht» porträtiert die «Südostschweiz am Wochenende» in loser Folge Menschen, die ihre Heimat, das Linthgebiet, verlassen haben und heute im Ausland oder in anderen Landesgegenden der Schweiz leben. Das können bekannte oder anderweitig interessante Personen sein, die in der Region aufgewachsen sind. Vorschläge sind jederzeit willkommen. Melden Sie sich einfach unter: gastersee@somedia.ch

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