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Vom Bergbueb zum Chef de Maison

Der Ammler Ansgar Gmür ist Direktor des Hauseigentümerverbands Schweiz. Seinen Erfolg verdankt er gemäss eigenen Angaben seiner Bauernschläue. Deren Wurzeln liegen auf dem Lindenegg-Hof in der Heimat.

Milena
Caderas
19.05.17 - 18:30 Uhr
Leben & Freizeit
Als Chef der Schweizer Hauseigentümer vertritt Ansgar Gmür 300'000 Verbandsmitglieder – leidenschaftlich und mit Humor.
Als Chef der Schweizer Hauseigentümer vertritt Ansgar Gmür 300'000 Verbandsmitglieder – leidenschaftlich und mit Humor.
KARIN HOFER

Zwei Jahre ist es her, dass Ansgar Gmür wieder mal an einer Klassenzusammenkunft in Amden teilgenommen hat. «Du bisch immer no s glich Chalb wie früehner»», hätten die Klassenkameraden von damals gemeint, erzählt Gmür am Besprechungstisch im edlen Büroerker an der Zürcher Seefeldstrasse. Vor den Glasfenstern blühen Orchideen. Gmür ist heute Direktor des Hauseigentümerverbands Schweiz (HEV). Der Abend des Klassentreffens wurde für den 63-Jährigen Ammler zu einem Schlüsselerlebnis. 

«Das ist heute eine andere Welt», sagt Gmür. Im Auto auf der Rückfahrt habe er sich gefragt, ob er hier gelebt hat. «Es ist etwas passiert in den letzen 40 Jahren.»

Kindheit ohne jeden Luxus

Wenn Gmür von Kindertagen erzählt, fallen zwei Begriffe immer wieder: «entbehrungsreich» und «Arbeit». Es gab viel zu tun auf dem heimischen Lindenegg-Hof. Als Gmür elf Jahre alt war, starb seine Mutter. Die sechs Kinder blieben mit dem strengen Vater zurück – Ansgar der Jüngste. Der Vater arbeitete Schicht und kümmerte sich mit den Jungen um den Hof. Gmür musste heuen, misten, holzen oder was sonst als Arbeiten anfiel. «Alles haben wir selber gemacht.» Wie streng der Vater war, erlebte der Familienhund. Als er nach längerem Verschwinden zur Familie zurückkehrte, erschoss ihn der Vater. Der Kommentar: «Ich kann keinen Hund brauchen, der nicht gehorcht.»

Kleider musste Ansgar von seinen älteren Geschwistern nachtragen. «Wir hatten zwar immer etwas zu essen, aber es war halt sehr oft das Gleiche», erinnert sich Gmür, der lange sehr schlank blieb. Schuhe und Skier gab es keine.

Spielsachen für Kinder kannte man damals kaum. Für Unterhaltung war trotzdem gesorgt. In der Jugendzeit organisierte Ansgar im Dorf eine erfolgreiche Disco. Nicht immer seien Unterländer im Bergdorf willkommen gewesen.

«Damals gab es im Dorf vielleicht zehn Familien, die sich mehr leisten konnten», erinnert sich Gmür. Den anderen sei es gleich ergangen wie seiner Familie. «Uns hat aber nichts gefehlt. Wir haben nichts anderes gekannt.» Er sei schon eher mit dem Blechlöffel zur Welt gekommen.

Das Ziel: «Abe vom Berg»

Nach der Schule kam Gmür für eine Chemielaboranten-Lehre nach Basel. Der Vater hatte seine Kinder dazu angehalten, «vom Berg abe» zu kommen. «Es ist eigentlich verwunderlich, dass ich nicht abgesoffen bin.» Einige Kollegen verfielen den Drogen. Sein Lehrlingschef habe ihn davor bewahrt, sagt Gmür. Er habe ihn gewarnt, von einem 10-Meter-Brett springe man auch kein zweites Mal. Gmür lebte bei einer Schlummermutter in einem Zimmer auf zehn Quadratmetern. Um die Kosten fürs Tram-Billett zu sparen, brauchte er ein uraltes Velo. Der Drahtesel war so alt, dass eines Tages sogar die Bremskabel durchrosteten.

An der Abendschule lernte er für die Matura. In Zürich studierte er anschliessend Ökonomie. Damit die Kinder eine Universität besuchen konnten, war der Vater in Amden bereit, ein Stück Land zu verkaufen. Ihm selber war eine akademische Ausbildung versagt geblieben.

Noch fast bis zu seinem 30. Geburtstag kam Gmür an den Wochenenden nach Amden, um auf dem Hof auszuhelfen. In der Lehre hatte sein Vater gar noch mit dem Lehrmeister verabredet, dass Ansgar früher auf den letzten Zug Richtung Ostschweiz konnte. Es war an diesen Wochenenden okay, wenn er in den Ausgang ging, solange er am Sonntagmorgen um 9 Uhr in der Messe in der Kirche im Dorf sass.

Als Werkstudent probierte Gmür verschiedene Jobs aus: als Nachtportier, als Kassierer an der Migros-Kasse («extrem streng»), Putzmann oder Ausbildner. Unter anderem arbeitete Gmür auch als Taxifahrer. Fahrgast auf der «besten Fahrt meines Lebens» war eine junge Tessinerin. Inzwischen sind die beiden seit 37 Jahren ein Paar – 34 davon verheiratet.

Schicksalhafte Begegnung im Taxi

Sein Erfolgsrezept für eine lange glückliche Ehe? «Wir schauen nicht fern. Meine Frau zwingt mich dazu, dass wir uns unterhalten.» Ohne Aggression oder Enttäuschung sagt Gmür: «Ehe ist Kampf.» Er selber sei zu Hause nie in den Arm genommen worden, seine Frau als Südländerin  dagegen sehr körperbetont. Da hätten sie sich finden müssen. Wenn Gmür Fotos von seinen drei Mädchen von früher oder aktuelle Hochzeitsbilder der jungen Frauen präsentiert, wird klar: Papa ist mächtig stolz.

«Ich bin ein stolzer Ammler und muss den Bergbueben nicht spielen. Ich bin es.»

Auch im Job war ihm das Glück hold. Es ging die Karriereleiter steil bergauf. Nach dem Studium war Gmür für verschiedene Verbände tätig – etwa den Schweizerischen Gewerbeverband, den Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie (VATI) oder den Verband der Schweizerischen Zellstoff-, Papier- und Kartonindustrie (ZPK). An der Schnittstelle von Verwaltung und Privatwirtschaft fühlt er sich wohl.

«Ein HEV-Freak»

Mit hartnäckiger Freundlichkeit hat er es verstanden, sich und «seine» Projekte durchzusetzen. «Heute geht es mir sehr gut», so Gmür. Materiell steht er gut da, so dass er einen beachtlichen Teil seiner Einkünfte spenden kann. Für den gläubigen Christen eine selbstverständliche Verpflichtung.

«Ich vertrete das Produkt Haus sehr gerne. Wir alle wohnen», sagt Gmür in Bezug auf seine Tätigkeit beim HEV. Das Wohnen ist zu seiner Passion geworden. Besonders wohl wirds ihm, wenn Interessen hitzig vertreten werden. «Das Einzige, was ich nicht ausstehen kann, sind persönliche Angriffe.» Als HEV-Direktor vertritt er die rund 330 000 Verbandsmitglieder und Eigentümer auch gegenüber der Politik. Will heissen, er ist zum Beispiel regelmässig als externer Experte in Kommissionstsitzungen der eidgenössischen Parlamentarier. Dabei hat er bessere und schlechtere Erfahrungen und Bekanntschaften gemacht, meint er und schmunzelt.

In seiner Funktion ist er auch als Chefredaktor für die Zeitung «Der Hauseigentürmer» zuständig. 2015 erschien dazu das Buch «Best of Ansgar» mit über 100 ausgewählten Kolumnen aus den vergangenen Jahren. Immer wieder geht es um seine Herkunft vom Hof. Am Ende jedes amüsanten Beitrags steht eine ebensolche Anekdote.

Viele Interessen, neue Ziele

Ende 2018 geht Gmür nach fast zwei Jahrzehnten an der Spitze des HEV in Pension. Es werde ihm wohl schon schwerfallen, nicht mehr im Rampenlicht zu stehen, gibt Gmür zu. «Mir ist klar, dass ich plötzlich nicht mehr gefragt sein werde, aber das ist in Ordnung», sagt er. Ansgar Gmür wäre nicht Ansgar Gmür, wenn er nicht schon längst zu neuen Ufern aufgebrochen wäre. An der Universität Zürich hat er ein Theologie-Studium begonnen.

Neben der Verbandsarbeit fand Ansgar Gmür immer noch Zeit für andere Leidenschaften. Er absolvierte Auftritte als Bauchredner und eine nebenberufliche Solistenausbildung als Tenor am Konservatorium Zürich. Ausserdem ist er Kassier der Vereinigung der Freunde des Klosters Einsiedeln und als Gastredner gefragt. «Ich freue mich, mich auf das konzentrieren zu können, was mir wirklich Spass macht», kommentiert er seine vielen Hobbys.

Auch wenn ihn sein Ehrgeiz, sein Kommunikationstalent und seine Bauernschläue – auf die er besonderen Wert legt – in den vergangenen Jahrzehnten weit weg von Amden und seinen ehemaligen Klassenkameraden geführt haben. So steht für Gmür fest: «Ich bin ein stolzer Ammler». Die Landschaft sei fantastisch, hält er fest, auch wenn er nicht mehr «da oben» wohnen wollte. «Ich muss den Bergbueben nicht spielen», sagt Gmür. «Ich bin es.»

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