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Das Wunschbaum-Wunder von Glarus: «Die Leute wollen noch viel mehr schenken!»

Einen halben Tag dauerte es, bis 160 Weihnachtswünsche von Kindern vergeben waren. Bianca Martinelli und Natalia Baumgartner sprechen über die überwältigende Solidarität der Glarnerinnen und Glarner.

Sebastian
Dürst
03.12.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Der Baum ist leergepflückt: 160 Wunschzettel haben Bianca Martinelli (links) und Natalia Baumgartner auf dem Rathausplatz aufgehängt. Nach einem halben Tag waren alle Wünsche weg.
Der Baum ist leergepflückt: 160 Wunschzettel haben Bianca Martinelli (links) und Natalia Baumgartner auf dem Rathausplatz aufgehängt. Nach einem halben Tag waren alle Wünsche weg.
Bild Sasi Subramaniam

Bianca Martinelli und Natalia Baumgartner haben sich am letzten Wochenende ungläubig die Augen gerieben: In weniger als einem halben Tag wurden alle 160 Wünsche vom Wunschbaum auf dem Rathausplatz gepflückt. Das heisst: 160 Kinder von benachteiligten Familien im Kanton Glarus erhalten ein Weihnachtsgeschenk. 

«Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt. Aber dass der Baum nur einen halben Tag lang mit Wünschen geschmückt sein wird, damit haben wir überhaupt nicht gerechnet», sagt Natalia Baumgartner. Sie arbeitet als Job Coach bei der Koordinationsstelle Integration Flüchtlinge (KIF) beim Kanton. «Schenken ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt», sagt sie. Darum habe sie die Idee ihrer Chefin Audrey Hauri vorgeschlagen. «Sie war sofort begeistert davon, wir konnten einfach loslegen», sagt sie. 

Wir, das schliesst in diesem Fall auch Bianca Martinelli ein. Sie studiert in Luzern Soziale Arbeit und macht bei der Hauptabteilung Soziales ein Praktikum. «Wir kannten uns zuvor noch gar nicht», sagt Martinelli. «Aber wir haben uns sofort verstanden und würden gern auch in Zukunft solche Projekte zusammen verwirklichen», ergänzt Baumgartner.

Die beiden haben Mitte Oktober mit der Planung für die Aktion begonnen. Und dabei gab es viele Kleinigkeiten zu beachten. Zum Beispiel, wie man die Familien erreicht, damit sie ihren Geschenkwunsch äussern. «Das geht von praktischen Fragen wie dem Anmeldetalon bis zur Formulierung. Die Familien sollen sich ja nicht als Bittsteller fühlen, sondern spüren, dass es Menschen in ihrem Umfeld gibt, die von Herzen helfen möchten», erklärt Martinelli. 

Die Arbeit an diesem Projekt geht über die eigentlichen Job-Profile der beiden hinaus. «Ja, natürlich ist da viel Herzblut dabei», sagt Baumgartner. Beide betonen aber auch, dass es nicht nur ihr Herzblut sei. «In der ganzen Abteilung haben wir überall offene Türen eingerannt. Man merkt, dass die Leute hier nicht einfach nur Verwaltungsangestellte sind», sagt Martinelli. 

Die Telefone liefen heiss

Bianca Martinelli war als Kontaktperson für die Glarnerinnen und Glarner angegeben. Sie hat darum die ganze Wucht der Solidarität erfahren. «Ich wusste teilweise gar nicht, wie ich reagieren soll, weil uns so viel Zuspruch entgegenkam», sagt sie. Und Baumgartner ergänzt: «Das ganze Lob zu lesen, war manchmal fast peinlich.» Und die Rückmeldungen haben nicht aufgehört, nur weil der Wunschbaum schon nach einem halben Tag leergepflückt war. «Man muss sich das einmal vorstellen: Wir führen eine Warteliste mit Menschen, die gerne noch etwas schenken würden. Das ist der Oberhammer!», freut sich Natalia Baumgartner. 

Das Bedürfnis der Glarnerinnen und Glarner, anderen Menschen etwas zu schenken, scheint riesig. «Diese Solidarität schlummert in allen», sagt Baumgartner. Und diese Aktion habe gezeigt, wie viel das bewegen könne. «Vielleicht regt die Aktion ja sogar noch andere Organisationen oder Menschen an, in irgendeiner Form zu helfen», sagt Martinelli. Und natürlich brennen die beiden dafür, dieses Projekt fortzuführen. «Wir haben schon diverse Ideen, wie man es ausbauen könnte», sagt Baumgartner. 

«Das hat uns geerdet»

Da Martinelli und Baumgartner in der Hauptabteilung Soziales arbeiten, sind sie das ganze Jahr über mit Menschen konfrontiert, denen es nicht so gut geht. Trotzdem hat sie der Erfolg der Aktion auch persönlich berührt. «Es hat mich geerdet», sagt Bianca Martinelli. «Wenn man sieht, dass sich da Kinder im Glarnerland Malstifte, einen Pullover oder Schoggi wünschen, macht einem das bewusst, wie gut man es selbst hat», sagt sie. Sie habe auch Anfragen von Leuten bekommen, die das nicht verstehen konnten. «Eine Frau hat mir gesagt, dass sie doch nicht nur Malstifte schenken könne. Und ob man da auch mehr geben dürfe», sagt Martinelli. 

Warum die Aktion bei der Glarner Bevölkerung derartig gut angekommen ist, können die beiden nur erahnen. Aber sie haben natürlich Vermutungen. «Man hilft direkt in der Region mit einem fassbaren Geschenk. Das regt die Menschen an, anderen zu helfen», vermutet Natalia Baumgartner. Die Nähe zwischen Geberinnen und Nehmern schaffe eine positive Gesamtstimmung. 

Ein wirkliches Wunder ist die Solidarität der Glarnerinnen und Glarner darum vielleicht nicht. Aber ein inspirierendes Beispiel dafür, wie viel menschliche Wärme im Kanton vorhanden ist, wenn man sie auf die richtige Art und Weise sucht. 

Die Glarner Weihnachtswunder gesucht

Die «Glarner Nachrichten» starten heute eine Serie: Zu jedem Adventssonntag veröffentlichen sie die Geschichte eines Glarner Weihnachtswunders. Den Anfang macht der riesige Erfolg des Glarner Wunschbaumes auf dem Rathausplatz. Wenn auch ihr solch inspirierende Geschichten kennt, meldet euch gern unter glarus@suedostschweiz.ch.

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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