×

Zöllner, Autodidakt und Wegbereiter des Surrealismus

André Breton bescheinigte ihm einen originellen «magischen Realismus», und auch Pablo Picasso verehrte ihn: Noch heute gilt Henri Rousseau als Begründer einer eigenständigen Kunst. Morgen vor 100 Jahren starb der malende Autodidakt.

Südostschweiz
01.09.10 - 02:00 Uhr
Kultur

Von Sabine Glaubitz

Paris. – Der französische Maler Henri Rousseau wurde lange Zeit belächelt. Die Anatomie der Menschen und Tiere auf seinen Gemälden war nicht stimmig, auch mit der Perspektive nahm er es nicht immer genau. Die Grössenverhältnisse seiner Tiere und Menschen wirken schräg, und manchmal taucht ein schief angesetzter Arm auf.Klempnersohn Rousseau hatte zwar versucht, die grossen Meister in den Halles des Louvre in Paris zu kopieren, doch vergeblich. Rousseau war Autodidakt, und seine Werke wurden der «naiven Kunst» zugeordnet. Doch der am 2. September 1910 in Paris an einer Blutvergiftung gestorbene Künstler war alles andere als naiv im Sinne von arglos und leichtgläubig. Denn noch zu Lebzeiten wurde er vom «Zöllner» – wie er wegen seines bürgerlichen Berufs genannt wurde – zu einem bewunderten Avantgardisten und Wegbereiter der Surrealisten.

Von Surrealisten adoptiert

Rousseau war von seiner Bestimmung als Maler überzeugt – wenn auch über Umwege. Er stammte aus der Arbeiterklasse und wurde in Laval im Norden Frankreichs geboren. Seine Eltern lebten in bescheidenen Verhältnissen, was ihn zwang, sich seinen Traum vom Künstler selbst zu finanzieren. So arbeitete er zunächst bei einem Rechtsanwalt, bevor er eine Stelle beim französischen Zoll annahm.Sein Werk widersprach allen akademischen Ansprüchen und war seiner Zeit voraus. Beharrlich entwickelte er einen Stil, der ihn zum Maler des «seltsam Befremdlichen», des «Anderen» werden liess. Seine Werke sind poetische und unbekümmerte Darstellungen persönlicher Wunschträume.Die Surrealisten sahen vor allem in seinen berühmten Dschungelbildern Sinnbilder des Unbewussten und machten ihn zu ihrem geistigen Vater. Sein flacher Bildbau, die Menschen, Tiere und Pflanzen, die er wie Theaterdekors einsetzt, waren eine Vorwegnahme des ästhetischen Konzepts der Surrealisten.

Pariser Dschungel

Der französische Schriftsteller und Surrealist André Breton war der Ansicht, dass man mit Rousseau erstmals von «Magischem Realismus» sprechen konnte.Rousseau war kaum gereist. Schulbücher und das Naturkundemuseum in Paris und das Gewächshaus des Pflanzengartens sollen ihm als Inspirationsquelle für seine paradiesischen Dschungelbilder gedient haben. Dieser Urwald war ein Ort voller Gefahren, aber auch des Friedens, wo Löwen Antilopen angreifen und Affen Ball spielen und angeln.Erstaunlich an Rousseau ist nicht nur, dass er unbeirrt an sein Schicksal als Künstler glaubte, sondern auch gegenüber dem Einfluss der ihn umgebenden Avantgarde immun geblieben ist. Pablo Picasso, der ihn ebenfalls bewunderte, vertraute er an: «Im Grunde genommen beschäftigen Sie sich mit dem ägyptischen Stil, während ich mich der Moderne widme.»

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Kultur MEHR