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Wirtschaftsvertreter tragen Scheuklappen

Romanisch sprechen zu könnnen ist keineswegs unnütz oder gar hinderlich für eine Berufskarriere. Im Gegenteil: In zahlreichen Bündner Firmen sind gute Romanisch- und Italienischkenntnisse ein Plus.

Südostschweiz
28.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Rico Valär*

Das Rätoromanische sei nicht karrierefördernd, behauptet Andreas Wieland, CEO der Bonaduzer Hamilton AG. Die Deutschkenntnisse hätten durch die Förderung des Romanischen und Italienischen in Graubünden abgenommen, so Daniel Waldvogel, Leiter Personal bei der Ems Chemie AG; bei der Ems-Chemie seien lediglich Deutsch und Englisch von Bedeutung. Das wirtschaftliche Leben finde in Graubünden überwiegend in Deutsch statt, meint Marco Ettisberger, Direktor von Handelskammer und Arbeitgeberverband Graubünden.

Fürs Leben, nicht für die Hamilton

Wieder einmal wettern Wirtschaftsvertreter gegen den Unterricht von Rätoromanisch und Italienisch in den Bündner Schulen und beweisen damit lediglich, dass sie in Bildungs- und Sprachfragen Scheuklappen tragen. Der Wert des rätoromanischen und italienischen Unterrichts in Graubünden wird ausschliesslich nach den Bedürfnissen der eigenen Firma gemessen.Dies ist inakzeptabel, denn es ist nicht die einzige Aufgabe der Volksschule, geeignete Mitarbeiter für die Hamilton und die Ems-Chemie zu züchten! Im Gegenteil: Die Schülerinnen und Schüler sollen für ihren Lebens- und Berufsweg umfassend gebildet werden und das nötige Rüstzeug für ganz verschiedene Karrieren erhalten. Dazu gehören sowohl die Muttersprache wie auch Fremdsprachen, sowohl die naturwissenschaftlichen Fächer wie auch die musischen.Ausserdem findet das wirtschaftliche Leben in Graubünden keineswegs nur auf Deutsch statt: In den zahlreichen KMUs der Surselva, des Engadins sowie der italienischsprachigen Südtäler sind gute Romanisch- und Italienischkenntnisse klar ein Plus. Dies bestätigt auch die Aussage von Jürg Michel, Bündner Gewerbedirektor. Dieser sagt, man habe bei den Gewerbebetrieben mit der Dreisprachigkeit überhaupt kein Problem.

Eine Anmassung

Die zuvor genannten Wirtschaftsvertreter behaupten ganz pauschal, das Romanische sei ein Karrierehemmnis. Diese Aussage ist eine Anmassung, die weder wirtschaftlichen noch wissenschaftlichen Erwägungen standhält. Gerade die Exportwirtschaft müsste grösstes Interesse haben an Mitarbeitern, die nicht nur Deutsch und Englisch, sondern vielleicht auch Spanisch, Italienisch oder Französisch können. Sowohl das Rätoromanische als auch das Italienische sind für das Erlernen weiterer Fremdsprachen eine gute Basis.Dass Abgänger einer romanisch-deutschen Schule schlechtere Deutschkenntnisse haben als ihre Altersgenossen aus rein deutschsprachigen Schulen ist eine Mär, welche ausführliche wissenschaftliche Studien deutlich widerlegen. Die Diagnose, Defizite im Bereich des Schriftdeutschen gingen auf die romanische Erstsprache zurück, ist in den meisten Fällen falsch. Die Zweisprachigkeit ist eine Allerweltserklärung für Defizite, die sich bei Einsprachigen ebenfalls zeigen, dort aber unerklärt bleiben.

Mehrsprachigkeit ist wertvoll

Von Unwissen zeugt auch die gemeinsame Erwähnung von Romanisch und Italienisch. Letzteres wird ja gerade in Deutschbünden vermehrt gefördert, wo es bestimmt nicht für schlechtere Deutschkenntnisse verantwortlich gemacht werden kann. Für zahlreiche Studiengänge und Berufskarrieren ist und bleibt eine von Kind auf gelebte und geförderte Mehrsprachigkeit – unabhängig davon, ob man alle Sprachen später im Job effektiv verwendet – wertvoll. Und der Karriere ist sie absolut förderlich. Auch persönlich ist sie wertvoll.

* Rico Valär ist Romanist, er stammt aus Zuoz.In der Rubrik Tribüne äussern sich Persönlichkeiten, die nicht der Redaktion angehören, in lockerer Folge zu Themen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.

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