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Walter Wittmann: Der Prophet, der keiner sein will

Walter Wittmann ist für seine düsteren Wirtschaftsprognosen bekannt. Er selbst wehrt sich vehement gegen das Pessimisten-Image. Ein Porträt über einen Professor voller Widersprüche.

Südostschweiz
20.07.12 - 02:00 Uhr

Von Valeska Blank

Bad Ragaz. – «Ach, Sie haben noch keins?» Walter Wittmann verlässt das Wohnzimmer, um ein Exemplar seines neusten Buchs zu holen. «Wittmanns Prophezeiungen» heisst die Sammlung der Kolumnen, die der in Bad Ragaz wohnhafte emeritierte Wirtschaftsprofessor seit Jahren für die «Südostschweiz» schreibt. «Den Titel habe ich übrigens nicht selber ausgewählt», merkt Wittmann beim Verlassen des Raums noch knapp an.

Seine Frau bringt derweil die Getränke. Kaum hat sie die Gläser abgestellt, ist Wittmann schon wieder zur Stelle. Das tägliche Nordic Walking scheint sich auszuzahlen. Seine 76 Jahre sind seiner Gehgeschwindigkeit jedenfalls nicht anzumerken.

Blitzschnelle Gedanken

Geschwindigkeit zeichnet auch Wittmanns Sprechweise aus: Er redet gern ohne Punkt und Komma, manchmal gar etwas atemlos; je nachdem, ob ihn das Gesprächsthema aufwühlt oder kalt lässt. Für Gesprächspartner ist es nicht immer einfach, den blitzschnellen Gedankensprüngen des weisshaarigen, hochgewachsenen Mannes zu folgen. Auf seine Kolumnensammlung angesprochen, ist er gedanklich schon bei seinem nächsten Buch. «Da geht es um die freie Marktwirtschaft, denn das Gleichgewicht stimmt nicht mehr, und das Verursacherprinzip funktioniert auch nicht.» Er sagt das in einer nonchalanten Selbstverständlichkeit, wie nur Wittmann es kann. Sein wievieltes Buch es denn mittlerweile sei? «Kann ich nicht sagen, ich zähle nicht.» Genau sagen kann er jedoch immer, an der wievielten Seite eines neuen Buchs er gerade schreibt. Pro Tag schaffe er meistens eine Seite auf seiner Schreibmaschine, an guten auch anderthalb.

Wittmann schweigt plötzlich, wartet auf die nächste Frage. Doch bevor diese gestellt werden kann, landet sein Blick wieder auf «Wittmanns Prophezeiungen». «Ach ja, der Titel, das war der Verlag.» Er wolle nämlich gar kein Prophet sein. Das mag man dem Professor jetzt doch nicht recht abnehmen. Wer seine Kolumnen kennt, weiss, dass Wittmann darin nicht mit düsteren Prognosen geizt. Ein mahnender Unterton schwingt in fast jeder Zeile mit.

Das hat ihm auch schon Titel wie «Der Schwarzseher vom Heidiland» eingebracht. Doch für solche Bezeichnungen – meist kommen sie von Journalisten – hat Wittmann nur ein mildes Lächeln übrig. «Ich bin kein Pessimist, sondern ein Realist.» Wie oft er das schon betonen musste? Könne er nicht sagen, er zähle nicht.

«Damit ich es gesagt habe»

Nicht tief in Pessimismus über die wirtschaftliche Zukunft der Schweiz, Europas, ja der ganzen Welt zu verfallen, ist in Gesprächen mit Wittmann aber oft schwierig. Die Krise im schuldengeplagten Griechenland? «Die Eskalation hat erst begonnen.» Die Rettung von Spaniens Banken? «Das reingepumpte Geld reicht bei Weitem nicht.» Wie viel schlimmer es denn noch werden könne? «Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut werden kommen.» Nur ein Wittmann schafft es, solch gewagte Prognosen mit so viel Endgültigkeit abzugeben. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass die Welt nicht mehr zu retten ist.

Und trotzdem: In der Rolle des Unkenrufers mag er sich nicht sehen. Wie ein unschuldiger Junge schaut er einen an, wenn man ihn auf das Image des pessimistischen Propheten festnageln will. Warum er denn sonst schreibe, wenn nicht, um die Welt zu warnen? Ein Achselzucken. Dann: «Damit mir niemand vorwerfen kann, ich hätte nichts gesagt.»

Geliebter Alltagstrott

Solche Aussagen sind es, die Wittmanns Gesprächspartner regelmässig etwas ratlos zurücklassen. Das und die Gegensätzlichkeit seiner Denkweise und Lebensart. Der Professor, der mit seinen Thesen nicht nur begeistert, sondern auch für gehässige Kritik sorgt, liebt seinen Alltagstrott. Aufstehen, wechselduschen, frühstücken. Die Zeitung lesen, rudern auf dem Rudergerät. Dann: Nordic Walking mit der Frau. Jeden zweiten Tag: Fitnessstudio. Er schätze einen geregelten Tagesablauf, sagt Wittmann, und geistige sowie körperliche Aktivität. Langeweile sei ihm ein «Graus», und wenn er etwas vermeiden wolle, dann, «zum Tattergreis zu werden».

Wenn ihn andere jedoch als solchen darstellen – die Zeitschrift «Weltwoche» hat ihn vergangenes Jahr als «zornigen alten Mann» beschrieben –, löst das bei Wittmann wiederum nicht mehr als ein Achselzucken aus. Warum so wenig Eitelkeit? «Mir ist egal, was andere von mir denken, und beleidigt zu sein ist mir die Energie nicht wert.» Der Professor schaut auf die Uhr. Er ist müde; sein Mittagsschlaf ist wegen des Besuchs ausgefallen. Er kommt mit zur Tür, macht dann aber nochmals kehrt, um einen Kugelschreiber zu holen. «Damit ich Ihr Exemplar noch signieren kann.» Er lächelt. Ganz uneitel scheint der Herr Professor also doch nicht zu sein.

Walter Wittmann: «Wittmanns Prophezeiungen». Südostschweiz Buchverlag. 150 Seiten. 26 Franken.

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