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Von Tschudi und der Ekeko

Johann Jakob von Tschudi war ein hochangesehener Glarner Wissenschaftler. Doch kürzlich hat die traurige Geschichte einer Götterstatue dieses Bild getrübt.

Südostschweiz
02.02.14 - 01:00 Uhr

Wie ein Glarner Wissenschaftler vor 150 Jahren in Bolivien eine indianische Gottheit raubte

Von Viola Pfeiffer

Er bezahlte schnell, steckte die Statue in die Satteltasche und ritt rasch mit seinen Begleitern davon. Wahrscheinlich bedauerten die Indianer auf der Stelle das Geschäft, denn kaum hatten die Flüchtenden das freie Feld erreicht, hörten sie einen Tumult hinter sich und sahen einige Indianer ihnen nacheilen. Deren Köpfe waren aber schwer und die Füsse unsicher, und so konnten sie Johann Jakob von Tschudi und seine Begleiter nicht einholen. Schwer und unsicher waren sie, weil die Gruppe die Indianer zuvor mit Cognac betrunken gemacht hatten.

<strong>M</strong><strong>anche Bolivianer</strong> bezeichnen von Tschudi deswegen als Schurken. Im Glarnerland kennt man ihn aber als eine grosse Persönlichkeit: Johann Jakob von Tschudi war ein Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts. «Er hat sehr viele verschiedene Dinge erforscht», erklärt Thomas Psota, Leiter der Abteilung Ethnografie im Historischen Museum in Bern.

«Zum einen war das die Sprache: Als Linguist hat er ein Werk über die Kechuasprache verfasst. Er kam dann durch seine Reisen mit verschiedenen wichtigen Persönlichkeiten in Kontakt, was ihm wohl später auch den Diplomatenjob brachte», so Psota. «Ausserdem hatte er ein grosses Interesse an der Kultur der Indianer.»

Dies wurde ihm nun zum Verhängnis. Sein Lebenslauf wird überschattet von einem Ereignis im Herbst des Jahres 1858. Johann Jakob von Tschudi war gerade vierzig geworden und auf seiner zweiten Reise durch Südamerika, als er in die Gegend von Tiahuanaco beim Titicacasee kam.

<strong>In seinem Buch</strong> «Reisen durch Südamerika» hält Johann Jakob von Tschudi seine Erlebnisse fest. Im Dorf der Indianer von Tiahuanaco gab es eine Statue vom «Gott der Diebe». «Ich fragte scherzhaft den Besitzer, ob er diesen Heiligen nicht verkaufen wolle, was er aber mit Entrüstung zurückwies», schreibt er. Seine beiden Reisegefährten hätten allerdings sofort den Wink verstanden.

«Eine Flasche Cognac machte die Leute dann geschmeidiger.» Nach langem Hin- und Herreden schien man sich auf ein Geschäft zu einigen. Keiner wollte allerdings den Preis des anderen akzeptieren. Während von Tschudi eine Zeichnung der Statue anfertigte, machten seine Begleiter die Pferde bereit. Die Indianer ergriffen dann «schon gänzlich betrunken» die Initiative, und als Johann Jakob von Tschudi und seine Gefährten bereits im Sattel sassen, kam das Geschäft schliesslich noch zustande.

In «Reisen durch Südamerika» hält Tschudi beinahe spöttisch fest: «Wie mögen die Diebe von Tiahuanaco triumphiert haben, als sie die Kunde von der Entführung des kuriosen Heiligen erhielten!» Dass er selbst irgendwann als Dieb bezeichnet werden könnte, scheint ihm aber nicht in den Sinn gekommen zu sein.

<strong>Von Tschudi</strong> brachte die Statue mit in die Schweiz. Nach seinem Tod im Jahr 1889 vermachte ein Enkel von Tschudis 1929 die Statue dem Historischen Museum in Bern. Dort ist sie in einer Dauerausstellung zu sehen, und dort wurde sie von der bolivianischen Botschafterin Elizabeth Salguero Carrillo bei ihrer ersten Reise nach Bern vor gut zwei Jahren entdeckt.

Ende letzten Jahres versuchte eine hochrangige bolivianische Delegation die Statue des Gottes der Diebe, auch bekannt als Ekeko, zurückzubekommen – bisher erfolglos. Botschafterin Salguero hofft nach der Enttäuschung im Januar neu auf den 21. Juni als Übergabe- termin. Dann sei das bolivianische Neujahrsfest.

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