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Von Pionieren, der Demokratie und Baukränen im Lugnez

In Vella hat die Pro Rätia, die Dachorganisation der Bündner Vereine im Unterland, dieses Wochenende ihre traditionelle Landtagung abgehalten. Und dabei gesucht: nach Pionieren im ländlichen Raum und Rezepten für deren Erfolg.

Südostschweiz
27.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Jano Felice Pajarola

Vella. – Graubündens abwanderungsbedrohte Täler, findet Pro-Rätia-Zentralpräsident Andreas von Sprecher, seien heute mehr denn je angewiesen auf unkonventionelle Innovationen, neues Unternehmertum, kurz gesagt: Pioniere. Wo findet man diese Pioniere, und welche Rahmenbedingungen wünschen sie sich? Antworten auf diese Fragen werden an diesem Samstagnachmittag im nebelverhangenen Vella gesucht, der Weitblick ins Lugnez aus den Fenstern der Aula ist getrübt, um so weiter sollen drinnen die Redner an der Landtagung der Pro Rätia blicken.

Überleben braucht Zuwanderung

Fakten zur Gegenwart stellt Regierungsrat Hansjörg Trachsel dar: Graubünden ist Einwanderungsgebiet, und da die Bündner sich geburtenzahlenmässig nicht selber erhalten, ist die Rechnung schnell gemacht – überleben können nur jene Gebiete, in die zugewandert wird. Eine Chance für Gemeinden im ländlichen Raum: sich als Wohnstandort zu profilieren. Aber eben, es braucht daneben auch die Pioniere mit ihren Projekten.Die Pro Rätia hat Menschen nach Vella geladen, die an Visionen und Innovationen in Graubünden beteiligt waren und sind, da ist der Scuoler Gemeindepräsident Jon Domenic Parolini, der das Bogn Engiadina mitgeprägt hat, da ist Silvio Capeder, Leiter der Pro Val Lumnezia, die in den letzten 20 Jahren mehr als 50 Projekte für das Tal umgesetzt oder unterstützt hat, da ist Grossrat Georg Fallet, Geburtshelfer der Talfusion im Münstertal. Und da ist der streitbare Leo Jeker, Bergbahn-, Kunstschnee- und Warme-Betten-Pionier, er schaut aus den Aulafenstern auf die nahen Häuser – und entdeckt zwei Baukräne. «Das», so Jeker, «ist es, was man sehen muss in den Talschaften.»

Demokratie nicht förderlich?

Freiraum für die Pioniere, «sie machen lassen», das sei zentral, konstatiert Jeker. Und auch der Valser Steinbruch-Unternehmer Pius Truffer gibt später zu: «Das demokratische Umfeld liegt mir nicht so, ich sage lieber, wir machen das jetzt.» Im Fall der Therme habe er selber erfahren, wie Dorfpolitik in eine Firma hineinspielen könne, sogar inklusive «Blick ins Schlafzimmer».Demokratie, zieht Moderator Peter Rieder eine Zwischenbilanz, scheine nicht unbedingt förderlich zu sein für Pioniere. Jeker hat dazu eine simple Gleichung in petto: «Wollen wir mehr Pioniere, dann heisst das: weniger Gesetze.» Und natürlich kein Verbandsbeschwerderecht: «Es hat dem Alpenraum geschadet», ist Jeker überzeugt. «Zeigen wir die Hörner, wir müssen selber bestimmen, was in unseren Talschaften geht.»

Arpagaus: «Klug aufgleisen»

Widerspruch kommt von Stefan Forster, Leiter der Wergensteiner Fachstelle für Tourismus und nachhaltige Entwicklung: «Es ist zu einfach zu sagen, wir seien 'Verhinderte'. Die Verbände haben auch dafür gesorgt, dass bedeutende Naturlandschaften nicht zerstört wurden.» Und Eugen Arpagaus, Leiter des Amts für Wirtschaft und Tourismus, gibt zu bedenken: «Wenn es so komplex ist, Projekte voranzubringen, muss man schauen, dass man sie klug aufgleist» – unter Einbezug aller wichtigen Akteure, von Anfang an. Einer aus der Runde kennt ein positives Beispiel: das St. Antönier Projekt für Solarpanels auf Lawinenverbauungen. «Bis jetzt haben wir keine Behinderungen erfahren», berichtet Ernst Flütsch, Touristiker aus Partnun. «Das ist doch auch toll.»Der Nebel draussen ist etwas abgerückt von Vella. Doch wirklich weit reicht der Blick noch immer nicht.

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