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«Schweizer Charakter treibt mich an»

Hannover 96 ist sensationell Vierter der Bundesliga geworden, Kind präsentiert sich als ein weltweit führendes Unternehmen der Hörgeräte-Akustik. Der Macher: Martin Kind. Die Lebensfreude ist sein Elixier. Ein Gespräch.

Südostschweiz
07.08.11 - 02:00 Uhr

Mit Martin Kind sprach Markus Brütsch

Herr Kind, wie haben Sie denn am vergangenen Montag gefeiert?

Martin Kind: Sie sprechen vom Schweizer Nationalfeiertag?

Ja, aber wir wollten lediglich herausfinden, ob Sie ein gewissenhafter Schweizer sind. Sprechen wir Schwizerdütsch?

Ich würde es verstehen, aber Hochdeutsch ist einfacher. Nein, ich habe am Nationalfeiertag nicht gefeiert. Aber ich weiss selbstverständlich, dass unsere Geschäfte in der Schweiz geschlossen waren.

Wie kommt es, dass Sie einen Schweizer Pass besitzen?

Die Familie Kind stammt aus Chur. Wenn Sie ins Rathaus gehen, sehen Sie die Wappen der Bürgerfamilie Kind. Die Vorfahren waren alle Pfarrer. Mein Grossvater ist nach Deutschland ausgewandert und hat geheiratet. Bald nach meiner Geburt habe ich einen Schweizer Pass erhalten. Wir sind viel in der Schweiz; ich habe ein Domizil in Klosters.

«Rihs kenne ich seit 40 Jahren»

Sollte die Schweiz der EU beitreten?

Ich habe es früher mal empfohlen. Heute beurteile ich dies aufgrund der Entwicklung der EU zurückhaltender. Es gibt Argumente für einen Beitritt. Aber wahrscheinlich existieren mehr dagegen.

Sie sind mit Ihrem Unternehmen mit über 30 Filialen in der Schweiz tätig. Was ist Ihr Ziel?

Wir wollen in der deutschsprachigen Schweiz die Nummer 1 werden.

Dann sind Sie gewiss auch schon mal Andy Rihs in die Quere gekommen.

Den kenne ich seit 40 Jahren. Wir telefonieren immer wieder zusammen. Dabei geht es auch um Fussball. Ich weiss ja, dass er bei Young Boys Bern engagiert ist und auch im Radsport.

Sie graben Phonak das Wasser ab.

Nee, so kann man das nicht sagen. Phonak ist weltweit die Nummer 1, das Unternehmen ist sehr innovativ, hat gute Produkte und einen starken weltweiten Vertrieb. Aber jedes Unternehmen hat seine Ziele, auch wir. Ich bin ein Anhänger von Wettbewerb.

Der Markt für Hörgeräte boomt.

Wenn die Leute während acht Stunden am Tag so ein Ding im Ohr haben und das mit 110 Dezibel, dann werden sie schwerhörig. Aber nur der Dauerlärm führt zur Hörschädigung.

Sie führen neben Ihrem Unternehmen noch einen Bundesligisten. Hier wie dort sind Sie aber nicht bloss im repräsentativen, sondern voll und ganz im operativen verantwortlichen Bereich tätig. Wie ist das zu schaffen?

Der Schweizer Charakter treibt mich an! Ich liebe die Arbeit und brauche keinen Urlaub. Meine Motivation und Zufriedenheit beziehe ich aus der Arbeit.

Wie viel arbeiten Sie denn?

14 Stunden. Die Hälfte für 96. Meine Frau weiss: darum funktioniert die Ehe.

Führen Sie Ihr Unternehmen und 96 im selben Stil, mit derselben Strategie?

Ja, nur der Markt ist anders. Jeder Markt hat seine spezifischen Spielregeln. Aber alles andere ist letztlich bei jedem Unternehmen gleich. Ich sehe Fussball als ein Wirtschaftsunternehmen.

Und sind bekannt dafür, schon viele Sportdirektoren verschlissen zu haben. Bei 96 hat es auch des Öfteren Querelen und Unruhe gegeben. Sind Sie ein streitbarer Mensch?

Ich bin nicht pflegeleicht, aber erfolgsorientiert. Ich kann jeden Trainer oder Manager, die ich entlassen habe, auch heute noch freundlich grüssen. Wenn ich überzeugt bin, dass es nicht mehr geht, dann entscheide ich. Mit den Entlassungen habe ich im Endeffekt immer den Ligaerhalt gesichert.

Man könnte auch sagen, Sie hätten sich die falschen Leute ausgesucht.

Das ist richtig. Ich hatte ja kein Wissen in diesem Markt. Wissen müssen Sie sich erarbeiten. Dann machen Sie Fehler. Fehler müssen Sie korrigieren. Ich habe viel gelernt und jetzt erstmals eine Konstellation mit Trainer und Sportchef (Mirko Slomka, Jörg Schmadtke; die Red.) erreicht, die stabil ist.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Ilja Kaenzig erlebt?

Ich habe ihn 2004 als Sportchef geholt und von ihm einiges gelernt, weil er aus Leverkusen viel Know-how mitgebracht hat. Die Zusammenarbeit war aber nicht immer ganz einfach, weil Kaenzig nicht besonders kommunikativ war.

Jetzt ist er CEO bei YB und sieht, was im benachbarten Neuenburg los ist, seit der Tschetschene Bulat Tschagajew den Traditionsverein Xamax übernommen hat. Dies wäre in Deutschland nicht möglich gewesen, weil es die 50+1-Regel gibt. Weshalb wollen Sie diese in Deutschland kippen? Xamax beweist doch, wie gefährlich das ist.

Ich kenne einen Teil der Presseveröffentlichungen dazu. Ich bin ein Anhänger des freien Kapitalverkehrs und der Wettbewerbsgleichheit. Aber in Deutschland weichen Wolfsburg und Leverkusen von der 50+1-Regel ab. Auch habe ich jedoch immer gesagt, dass es Haltefristen von zehn Jahren braucht. Und dass «Fit & Proper-Tests» gemacht werden müssen, um zu klären, wer die Anteile übernimmt.

«Keine Anzeichen einer Depression»

Als Sie 1997 Hannover 96 übernahmen, war der Verein so gut wie tot.

96 spielte damals in der dritten Liga und erfüllte in vollem Umfang den Tatbestand der Insolvenz. Obwohl ich weder Mitglied noch Sponsor war, wurde ich angesprochen, ob ich bereit wäre, den Verein zu übernehmen. Dann habe ich mich jeden Tag acht bis zehn Stunden in 96 und den Fussball hineingearbeitet.

Sie haben das eigene Unternehmen vernachlässigt?

Ja, und das ist eine ganz spannende Lebenserfahrung. Ich habe gelernt abzugeben, weil ich musste. Und ich habe gelernt, dass ich sehr gute Mitarbeiter habe. Als Chef glaubt man immer, man wisse alles besser.

Heute ist Hannover 96 in der Bundesliga etabliert, spielt in der Europa League gegen Sevilla, hat ein tolles Stadion und ist finanziell gesund. Wie ist es dazu gekommen?

Als Erstes habe ich damals eine Sanierungsgesellschaft gegründet und vier Privatpersonen und ein Unternehmen überzeugen können, ihr hart verdientes Geld als Risikokapital zur Verfügung zu stellen.

Da haben auch Sie dazugehört.

Sie können nicht von andern etwas verlangen, was Sie selber nicht bereit sind zu tun. Und dann, im Zusammenhang mit der WM 2006, ist mir die Idee gekommen, der Stadt Hannover das Niedersachsenstadion abzukaufen und die AWD-Arena nach dem Fifa-Anforderungsprofil zu bauen. Heute haben wir eine super Arena. Wir sind Eigentümer und Betreiber. Wir entscheiden. Mit der letzten Saison haben wir die Vergangenheit von 96 abgeschlossen.

Zu ihr gehört der Freitod von Torhüter Robert Enke.

Den 10. November, den Tag seiner Selbsttötung, werde ich nie vergessen. Es ist für mich auch deshalb eine Tragödie, weil ich guten Kontakt und regelmässige Gespräche mit Robert hatte. Ich habe gedacht, er hätte ja auch mal Vertrauen haben und sich outen können. Es gab keine Anzeichen einer Depression.

Die Mannschaft war danach völlig traumatisiert.

Eindeutig. Das hat dazu geführt, dass ich den Trainer ausgetauscht, Sportpsychologen beschäftigt und Spieler nachverpflichtet habe. Dann haben wir sechs weitere Spiele verloren, und es wurde ganz kritisch. Erst mit dem Klassenerhalt war die Traumatisierung beendet.

Hat man Vorkehrungen getroffen, dass so etwas nicht mehr geschieht?

Wir beschäftigen im Moment keine Sportpsychologen mehr. Aber wir bieten den Spielern, auch anonym, eine Betreuung an. Wir können nicht ausschliessen, dass sich so etwas wiederholt.

Sie haben mal gesagt, dieser Suizid habe die Marke Hannover weltbekannt gemacht.

Das ist total verrückt. Aber es war tatsächlich so, dass dadurch die Marke Hannover national und international wahrgenommen wurde.

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