×

Nachkommen wollen keine Schulden erben

Schweizweit und auch in Graubünden haben es die Konkursämter immer öfter mit ausgeschlagenen Erbschaften zu tun. Die Gründe dafür sind für die auf den Ämtern Tätigen bald eruiert.

Südostschweiz
12.01.11 - 01:00 Uhr

Von Silvia Kessler

Dass Nachkommen das Erbe eines überschuldet verstorbenen Angehörigen nicht antreten wollen, ist ihr gutes Recht. Von diesem Recht wird seit einigen Jahren mit steigender Tendenz Gebrauch gemacht, was aus der Statistik des Betreibungs- und Konkursamts Plessur deutlich hervorgeht. Den Grund dafür vermutet der Amtsleiter Philipp Annen einerseits «in der Professionalisierung der Erben, die ihre Rechte besser wahrnehmen», und andererseits «in der sich verändernden gesellschaftlichen Moral». Während die Nachkommen früher oft versucht hätten, die Schulden beispielsweise eines verstorbenen Elternteils abzutragen, sähen sich die heutigen Erben offenbar zusehends weniger dafür verantwortlich. «Das Ausschlagen einer Erbschaft ist in vielen Fällen jedoch klar der bessere Weg, als ein Erbe anzutreten, das zum eigenen Privatkonkurs führt», erklärte Annen.

Stadt-Land-Gefälle

Die Anzahl der vom Konkurs-amt Plessur bearbeiteten Konkurseröffnungen über ausgeschlagene Erbschaften bewegte sich in den Jahren 2006 bis 2010 jeweils bei rund einem Dutzend, wie der stellvertretende Amtsleiter Hanspeter Baldauf ausführte. Während im Jahr 2006 jedoch lediglich fünf von 13 Konkursen mangels Aktiven eingestellt wurden, waren es im letzten Jahr bereits zehn von zwölf. Fälle also, in denen der oder die Verstorbene nichts materiell Verwertbares zurückliess oder zumindest so wenig, dass angehäufte Schulden dessen Wert überstiegen. Bezeichnend sei, dass es auf Stadtgebiet weit mehr ausgeschlagene Erbschaften zu bearbeiten gebe als in den Kreisen Schanfigg und Churwalden, die ebenfalls vom Betreibungs- und Konkursamt Plessur betreut werden. «Sinnbildlich dafür ist, dass wir unlängst vom Verantwortlichen eines Bezirksamts in einer entlegenen Bündner Gemeinde um Hilfe gebeten wurden, weil er nicht wusste, wie ein Schuldschein auszustellen ist», so Annen.«Vor zehn Jahren waren ausgeschlagene Hinterlassenschaften bei uns noch kaum ein Thema», stellte denn auch Albert Christell, Leiter des Konkursamts im ländlichen Bezirk Surselva, fest. Ohne eine detaillierte Statistik zu führen, sei nun aber eine deutlich steigende Tendenz auszumachen. «Persönlich finde ich es keinen guten Zug von denjenigen Nachkommen, welche ihre verstorbenen Angehörigen wegen Kleinigkeiten in den Konkurs laufen lassen», hält er fest. Erst recht, wenn dies im Bewusstsein, dass ihr Risiko gering ist, geschehe. «Die Nachkommen machen es sich zunehmend recht einfach: Sie schlagen das Erbe aus und überlassen dadurch die Arbeit dem Konkursamt. Wenn unter dem Strich oft wider Erwarten doch noch etwas übrig bleibt, steht es ihnen ja trotzdem zu.»

Florierendes Leben auf Pump

Auch auf dem Konkursamt Prättigau/Davos gibt es ausgeschlagene Hinterlassenschaften in steigender Zahl zu bearbeiten. Amtsleiter Andreas Valer bezeichnet diese Entwicklung «als Spiegel unserer Gesellschaft». Während die Leute früher etwas auf die Seite gelegt hätten, um im Alter nicht zu verarmen, lebten heute immer mehr Menschen über ihre Verhältnisse. Kaum jemand scheue sich noch davor, auf Pump zu leben, «denn letztlich kommt der Sozialstaat ja auch für diejenigen auf, welche nicht gespart haben, als sie dazu noch in der Lage gewesen wären».Die Anzahl der zu bearbeitenden ausgeschlagenen Erbschaften werde also auch auf dem Konkursamt in Davos weiterhin steigen. «Solange unsere Staatskassen noch gut gefüllt sind, wird sich an dieser Entwicklung auch nichts ändern», prognostizierte Valer in aller Deutlichkeit.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR