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Familienferien auf dem eigenen Schloss

Die Geschwister Linder aus Basel haben einen ungewöhnlichen Zweitwohnsitz im Domleschg. Seit drei Generationen verbringt die Familie ihre Ferien auf Schloss Ortenstein. Das historische Erbe ist Würde und Bürde zugleich.

Südostschweiz
27.07.10 - 02:00 Uhr
Familienferien auf dem eigenen Schloss

Die Geschwister Linder aus Basel haben einen ungewöhnlichen Zweitwohnsitz im Domleschg. Seit drei Generationen verbringt die Familie ihre Ferien auf Schloss Ortenstein. Das historische Erbe ist Würde und Bürde zugleich.

Von Stefan Bisculm (Text) und Nadja Simmen (Bilder)

Tomils. – «Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn wir während des Gesprächs eine Kleinigkeit essen. Wir sind nämlich gerade erst aus Basel angereist», erklärt Lukas Linder, als er uns bei Tomils im kiesbedeckten Innenhof des Schlosses Ortenstein begrüsst. Zusammen mit seiner Schwester Ursula Linder sitzt er an einem Gartentisch im Schatten der buschig gestutzten Akazienbäume, die den Innenhof einrahmen und diesem ein angenehm südliches Ambiente verleihen.Die Linders essen Fertiggerichte aus Plastiktellern, die sie am Bahnhof gekauft haben. Die Schnellkost ist allerdings dem Zeitdruck geschuldet und bildet die Ausnahme. «Auf Ortenstein ernähren wir uns grösstenteils aus unserem Gemüsegarten an der Ostseite des Schlosses», erklärt Ursula Linder, die 20 Jahre beim Tierschutz gearbeitet hat. Ergänzt würden die Mahlzeiten jeweils durch Wasser, Wein, Bier oder Most. «Süssgetränke sind bei uns verpönt.»Die Geschwister sind die Eigentümer des majestätischen Schlosses Ortenstein an kühner Lage auf einem steil abfallenden Felsen am Eingang des Domleschgs. Sie haben das Anwesen zwischen Rothenbrunnen und Tomils, nach dem sich die Autofahrer im Talboden die Köpfe verrenken, von ihrer Mutter und deren Schwester geerbt (siehe Kasten). Ihre Mutter Salome Linder-von Tscharner verstarb vergangenen November, nun ist es an ihnen, zu dem Familienerbstück in fünfter Generation Sorge zu tragen. «Der ältesten Generation in unserer Familie obliegt jeweils die Verantwortung für das Schloss», erklärt der 50-jährige Lukas Linder, der als selbständiger Treuhänder, Vermögens- und Liegenschaftsverwalter arbeitet.Der geschichtsträchtige Wohnsitz kam um das Jahr 1860 in den Besitz der Familie. Als ihr Vorfahre Wolfgang von Juvalta das Schloss kaufte, befand sich dieses in einem erbärmlichen Zustand. Gläubiger hatten Jahre zuvor alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Der junge Historiker und Privatier verwendete in der Folge viel Geld und Zeit in die Restauration des Schlosses. Überall im Kanton und sogar im Ausland kaufte er historische Zimmerausstattungen zusammen, die er danach auf sein Schloss bringen liess und dort einbaute.Das berühmteste Beispiel ist das so genannte Ilanzer Zimmer, ein mit reich verziertem Täfer ausgestatteter Raum aus der Casa Gronda in Ilanz. «Wir schmückten uns hier also gewissermassen mit fremden Federn», sagt Ursula Linder. Andere Räume sind weitaus bescheidener und gemütlicher, die Küche etwa sieht aus wie bei der Grossmutter auf dem Land. Nur eine Sonnerie erinnert daran, dass ausserhalb der Küche einst die Herrschaften lebten.Nicht bei allen Einrichtungsgegenständen ist die Herkunft bekannt. So haben die Linders etwa keine Ahnung, woher die schwere Soldtruhe mit dem ausgeklügelten Verschliessmechanismus kommt. Oder wer dieses kolossale Himmelbett anschleppte, das mehr von einem Denkmal als von einer Bettstatt hat. Unbekannt sind auch die meisten Namen der bleichen Damen, Herren und Kinder, die in den weiten Schlossgängen auf zahllosen in Öl gemalten Bildern posieren, und bei Durchzug so schauerlich im Wind schaukeln.

Gesichter ohne Namen in Öl verewigt

Bei einem Rundgang durchs Schloss ist man als Fremder auf Führung angewiesen: an der alten Schmiede vorbei, die Wendeltreppe rauf, rein ins Schlafzimmer mit der kunstvollen Stuckatur, zur Seitentüre raus, den langen Gang hinunter, hinein in die Bibliothek mit der eigenen Kapelle und eine andere Treppe wieder runter zu den Gewölben mit den alten Schwertern und Hellebarden an den Wänden. Ein wahres Paradies, um Verstecken zu spielen. «Wenn wir als Kinder etwas angestellt hatten, war es ein Leichtes, zwischenzeitlich zu verschwinden», erzählt Ursula Linder lachend.Die 58-Jährige kann sich nicht daran erinnern, als Kind jemals anderswo in den Ferien gewesen zu sein als auf Ortenstein. Das Schloss war und ist noch heute Treffpunkt für die Verwandtschaft und die vielen Bekannten, die vor allem im Sommer gerne ins Domleschg kommen. Bei geschätzt 25 bewohnbaren Zimmern ist meist ein Bett frei.Geändert hat sich mit den Jahren allerdings der Habitus auf dem Schloss. So hätten etwa zu Zeiten ihrer Grosseltern noch Bedienstete für das Wohl der Gäste gesorgt, damit diese keinen Finger krumm machen mussten. Tempi passati. «Heute gleichen Ferien auf Schloss Ortenstein einem Arbeitscamp», warnt Ursula Linder vor falschen Erwartungen. «Wer ein Schloss besitzt, hat immer etwas zu tun.»

Unterhalt kostet viel Geld

Um die Restaurierung, den Unterhalt und die Erhaltung der denkmalpflegerisch wertvollen Substanz des Schlosses Ortenstein zu finanzieren, hat die Familie Linder mit einem Legat nach dem Tod des Vaters die gemeinnützige Stiftung Pro Ortenstein errichtet. Wie viel genau sie jährlich ins Schloss stecken, wollen Lukas und Ursula Linder nicht verraten. «Mit Glück und Verstand ist es uns bisher gelungen, dass wir noch nie öffentliche Gelder annehmen mussten, doch viel Spielraum bleibt uns jeweils nicht.»

Radio Grischa strahlt heute einen Bericht über die Jugendherberge in der Burg Ehrenfels aus. Mehr Bilder zum Schloss Ortenstein finden Sie unter www.suedostschweiz.ch.

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Bravo, eine gelungene Reportage. Lukas und Ursula weiterhin Freude, Spass, Ausdauer und die nötigen finanziellen Mittel.
Merksatz: Tradition ist Weitergabe des Feuers und nicht Verehrung der Asche.
Pius Lang Cazis / Gachnang

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