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Das politische Zeitspiel beginnt

Was hat es zu bedeuten, wenn Energieministerin Doris Leuthard die Sistierung der Rahmenbewilligungsgesuche für drei neue AKW sistiert? Was hat es zu bedeuten, wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den eben erst beschlossenen, aus einer Laufzeitverlängerung bestehenden «Atomkompromiss» aussetzt?

Südostschweiz
15.03.11 - 01:00 Uhr

Von David Sieber

Und was hat es zu bedeuten, wenn der französische Premierminister François Fillon «aus den Vorgängen in Japan die nützlichen Lehren ziehen» will?

Ganz einfach: Die Politik beginnt mit dem Zeitspiel. Die Regierungen lassen ihre nationalen Atomenergiebehörden so lange Sicherheitsüberprüfungen vornehmen, bis die schrecklichen Ereignisse in Japan aus Medien und Köpfen verschwinden. Sie rechnen mit der emotionalen Halbwertszeit der Menschen, die in der globalen, informationsüberfluteten Welt erfahrungsgemäss immer kürzer wird. Dann wollen sie verkünden, dass die hiesigen Kernkraftwerke absolut sicher seien und in Japan die speziellen Umstände mit Erdbeben und Tsunami zu der Katastrophe geführt hätten, was in Europa ausgeschlossen sei.

Doch dieses Mal ist es anders. Es kostete die Atomlobby viele Jahre Überzeugungsarbeit – man könnte auch von PR sprechen –, um die Atomkraft unter anderem in der Schweiz nach Tschernobyl wieder salonfähig zu machen. Letztlich half ihr das Klimaargument zum Fast-Durchbruch. Und sie konnte auf die veraltete Bauart und die russische Arbeitsmoral verweisen, um das Reaktorunglück von 1986 zu erklären. Jetzt hat es die bis anhin hochgelobte japanische Atomwirtschaft getroffen, deren Sicherheitsstandards als vorbildlich galten. Zu Unrecht, wie sich nun zeigt.

Die Rechnung der Regierungen und Behörden wird dieses Mal nicht aufgehen. Zu tief ist das Misstrauen, das sich in der Bevölkerung breitmacht. Man wird sich noch sehr lange daran erinnern, wie die japanischen Verantwortlichen geradezu archetypisch widersprüchlich und meist verharmlosend kommunizierten. In der Schweiz wird spätestens das Volk das Zeitspiel abpfeifen.

dsieber@suedostschweiz.ch

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