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Bündner Beispiel zur ALV-Abstimmung

Moderate Geister könnten meinen, dass die Gegner der Revision der Arbeitslosenversicherung (Avig-Revision), über die wir am 26. September abstimmen, mit dem Slogan «Abzocker belohnen, Volk bestrafen?

Südostschweiz
14.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

» über das Ziel hinausschiessen. Dem ist aber nicht so. Der Slogan trifft den Nagel genau auf den Kopf. Denn leider entspricht es der bitteren Realität, dass in den letzten Jahren für die Hauptverursacher der Krise – die Boni-Junkies der Grossbanken – Milliarden von öffentlichen Geldern aufgewendet wurden. Und auf der anderen Seite soll nun dem normalverdienenden Volk der Versicherungsschutz bei der ALV gekürzt werden. Der Gipfel der Ungerechtigkeit dabei: Normalverdienende müssten 2,2 Prozent Lohnbeiträge leisten, während Einkommen ab 126 000 Franken nur ein Prozent und Spitzensaläre über 315 000 Franken gar keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müssten.Nun argumentieren die Befürworter, die ALV sei eine Versicherung und daher sei es unstatthaft, die Topverdiener für etwas zur Kasse zu bitten, was sie nie brauchen würden. Dabei wird ausgeblendet, dass auch die AHV und die IV Sozialversicherungen sind. Diese werden aber nach dem gutschweizerischen Prinzip der Solidarität finanziert: Alle bezahlen auf den gesamten Lohn denselben Prozentsatz an Beiträgen. So sollte es auch bei der ALV sein.Um schamlose Abzockerei und den Mangel an Solidarität konkret nachzuweisen, muss man nicht bis nach Zürich an den Paradeplatz gehen. Auch ein Blick nach Domat/Ems genügt. In der Krise von 2008 und 2009 ging es dem Ems-Konzern schlecht. Zeitweise befanden sich über 600 An-gestellte in Kurzarbeit. Zahlreiche Mitarbeitende wurden kurzerhand auf die Strasse gestellt. Berichte in der Online-Ausgabe von «20 Minuten» vom 2. April 2009 und der «Bilanz» vom 5. Juni 2009 deckten dies trotz den Vertuschungsversuchen seitens der Konzernleitung auf. Auch die «Südostschweiz» berichtete darüber. Zur gleichen Zeit schätzte der Chef des Kiga, Paul Schwendener, dass die Kurzarbeit bei der Ems-Chemie die Arbeitslosenkassen rund eine Million Franken pro Monat kostete. All dies hinderte Magdalena Martullo-Blocher aber nicht, den Aktionären 2009 117 Millionen Franken an Dividenden auszuzahlen. Davon flossen 70 Millionen direkt an die Konzernchefin und an ihre zwei Schwestern.Bei einer Annahme der Avig-Revision würde Martullo-Blocher zusätzlich auch bei den ALV-Beiträgen auf ihrem persönlichen Lohn privilegiert. Ein gewöhnlicher Ems-Arbeiter mit einem Jahreslohn von 65 000 Franken müsste 2,2 Prozent an die Arbeitslosenversicherung, also 1430 Franken im Jahr beitragen. Martullo-Blocher würde bei einem geschätzten Lohn von 715 000 Franken nur 4662 Franken bezahlen, nämlich 2,2 Prozent für die ersten 126 000 Franken und ein Prozent für das Einkommen zwischen 126 000 bis 315 000 Franken. Für die übrigen 300 000 Franken würde sie nichts beitragen. Zusammengerechnet sind das 0,65 Prozent ihres Lohnes. Würde sie hingegen wie alle Normalverdienenden auch einen Beitrag von 2,2 Prozent ihres Lohnes leisten, läge ihr Jahresbeitrag bei 15 730 Franken. Für die Konzernchefin wie für alle anderen Topverdiener sind solche Grössen locker verschmerzbar. Für alle Arbeitslosen und Normalverdienenden – auch für diejenigen aus den Emser Werken – wäre das ein Minimum an Gerechtigkeit.Und: Die ALV wäre schneller saniert als mit der nun zur Abstimmung stehenden Vorlage. Eine Sanierung der ALV ohne Bestrafung des Volkes wäre einfach zu haben. Wir tun gut daran, das Parlament noch einmal über die Bücher zu schicken.

Jon Pult, Präsident SP Graubünden, Chur

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