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«Auch bei uns bleiben Spieler liegen»

Arno Del Curto ist der erfolgreichste Schweizer Eishockeytrainer der Neuzeit. Der fünffache Meistercoach mit dem HC Davos interessiert sich aber auch für Fussball. Ein Gespräch mit dem Engadiner über die beiden Sportarten.

Südostschweiz
07.06.12 - 02:00 Uhr

Mit Arno Del Curto sprach Kristian Kapp

Arno Del Curto, Sie werden während der Fussball-EM mehrfach Studiogast des Schweizer Fernsehens sein. Wie kommt der Eishockeytrainer zur Einladung?

Arno Del Curto: Weil ich nie ins Studio gehe, wenn ich wegen des Eishockeys angefragt werde. Also habe ich jetzt für die Fussball-EM zugesagt.

Wie sehr interessieren Sie sich für Fussball?

Ich schaue die Champions League, die WM und EM. Dazu schalte ich jeweils am Samstag vor unseren Heimspielen in Davos die Konferenz der deutschen Bundesliga ein. Und dann interessiere ich mich noch für den englischen Fussball. Arsenal ist mein Team.

Es gibt das Klischee vom Eishockeyspieler, der über den «weichen» Fussballer lacht …

Ich sicher nicht. Ich weiss, dass es nicht angenehm ist, Stollen voll in die Beine zu bekommen. Wir machen im Eishockey mehr im Training, aber es sind halt zwei verschiedene Sportarten mit unterschiedlichen Belastungen. Die Fussballer haben zum Beispiel die ständigen Schläge beim Laufen, die wir im Eishockey mit Gleiten nicht haben.

Was können Sie sich beim Fussball fürs Eishockey abschauen?

Normalerweise nichts. Wenn ich Fussball schaue, will ich das Spiel geniessen. Grundsätzlich kann ich den FC Barcelona als Vorbild nehmen, bei dem Topspieler und Grossverdiener in einem Team das System zusammen pflegen und die einzelnen Spieler ihr Ego unterordnen, ohne dass einer ausschert. Das lernt man in diesem Klub von ganz unten hinauf bis zur ersten Mannschaft.

Kann man das Spiel des FC Barcelona aufs Eishockey übertragen?

Nur schwer. Eishockey ist viel zu schnell, um so schön zusammenspielen zu können. Ich möchte aber festhalten, dass bereits vor Barcelona Arsène Wenger diesen «One-Touch-Fussball» spielen liess. Das gefällt mir, denn wie gesagt: Ich bin seit 30 Jahren Arsenal-Fan.

Sie hatten in Davos bereits mehrfach Fussballtrainer wie Urs Schönenberger, Andy Egli oder Uli Forte zum «Schnuppern» im Training. Auf was achten Fussballtrainer im Eishockey?

Auf die gleichen Dinge, die ich bei einem Fussballtraining beachten würde: Die Führung des Teams allgemein, die Stimmung in der Mannschaft. Oder wie bringt der Trainer sein Team dazu, auf den Punkt genau bereit zu sein?

Inwiefern profitieren Sie selber davon, wenn Fussballer Ihr Training besuchen?

Uli Forte bat ich, uns verschiedene Fussballsysteme genau aufzuzeigen. Ich wollte Barcelona, Dortmund, Bayern und ein bewusst schlechtes System analysiert haben. Seither schaue ich Fussball mit anderen Augen und verstehe gewisse Dinge besser.

Waren Sie selbst auch einmal Gast in einem Fussballtraining?

Ja, aber das ist schon sehr, sehr lange her. Vor etwa 30 Jahren konnte ich bei den Grasshoppers Timo Konietzka bei der Arbeit zuschauen. Aber das war noch die alte Schule. Heute musst du dich auch als 70-jähriger Trainer anpassen. Ansonsten kannst du gleich aufhören.

Im Eishockey wird beim Aufwärmen vor Trainings oder Spielen regelmässig Fussball gespielt. Ist ein technisch guter Eishockeyaner auch ein guter Fussballer?

Oft schon. Was die Technik angeht, kann man den Quervergleich aber nicht immer ziehen. Es gibt auch gute Techniker im Eishockey, die keine guten Fussballer sind. Unübersehbar sind aber die Parallelen betreffend Spielintelligenz.

«Das ist keine Kampfansage»

Wer ist der beste Fussballer Ihrer Mannschaft?

Sandro Rizzi. Aber er hat den Vorteil, dass er früher als Junior auch Fussball gespielt hat.

Fussballtrainer Andy Egli sagte nach dem Betrachten Ihres Trainings, dass er es Fussballern nicht zumuten könnte. Da wäre die Hälfte danach platt …

Er hatte zwei Wochen lang ein komplettes Fussballtraining mit meiner Mannschaft durchgeführt. Wahrscheinlich sagte er dies, weil er sah, dass ich gleichzeitig noch meine Spieler das normale Pensum an Krafttraining und Sprungschule absolvieren liess. Es ist mir aber wichtig, hier keine Kampfansage an den Fussball zu machen. Fussball ist einfach anders als Eishockey. Und auch Fussball ist sehr hart. Es gibt einfach wie überall auch Schummler, die liegen bleiben. Aber das gibts bei uns im Schweizer Eishockey auch immer öfter. Meine Devise ist klar «Nicht liegen bleiben». Damit beeinflusst man Schiedsrichter und Fans. Aber ich weiss, ich bin hier kein Gradmesser.

Wären Sie Fussballtrainer …

… dann würde ich wohl auch mehr trainieren lassen. Aber ich müsste zuerst die Grenzen kennenlernen.

Der Trend ging in den letzten Jahren grösstenteils mit den Erfolgen von Spanien und Barcelona wieder Richtung «schöner Fussball».

Das ist auch gut so.

Auch im Eishockey gibt es diese Tendenzen und Strömungen, die allerdings aktuell ja eher in die andere Richtung zeigen.

Die Frage ist, was man unter «schönem Eishockey» oder «schönem Fussball» versteht. Gehts um die Unterhaltung des Zuschauers?

Gefällt Ihnen denn der aktuelle NHL-Final, der mit den Los Angeles Kings und den New Jersey Devils von zwei teilweise äusserst defensiv agierenden Teams bestritten wird?

Nein.

Oder der Fussball, mit dem Chelsea kürzlich die Champions League gewann?

Nein.

Auch der Schweizer Eishockey-Play-off-Final 2012 folgte diesem Trend und war von sehr defensivem Spiel geprägt.

Ich möchte keinen Schweizer Play-off-Final kommentieren, in dem ich nicht aktiv dabei war.

Dann lassen Sie es uns so formulieren: Wann wären Sie zum defensiven Kompromiss bereit?

Ich war es bereits einmal. 2009, als wir im Final gegen Kloten Meister wurden. Wir hatten den Final mit dem Maximum von 14, Kloten mit dem Minimum von acht Spielen erreicht. Es war eine Frage der Kraftreserven, also liess ich ein defensives System spielen.

Wo kann ein Einzelspieler mehr ausrichten? Im Eishockey oder im Fussball?

Der Goalie sicher im Eishockey. Das sieht man gerade auch bei Los Angeles. Der Anteil von Kings-Goalie Jonathan Quick am Erfolg in den Play-offs ist riesig. In so einem Ausmass habe ich das selten zuvor gesehen. Was die Feldspieler angeht, würde ich aber eher sagen: Fussball. Es muss sich aber schon um einen Ausnahmespieler wie Messi handeln.

«Ich bin England-Fan»

Wie intensiv werden Sie die Fussball-EM verfolgen?

Es muss schon eine gute Affiche sein. Dazukommt aber natürlich auch noch der gesellschaftliche Aspekt. Ich werde sicher auch mit Kollegen ein- fach zusammensitzen und Spiele schauen.

Die obligate Frage: Wer wird Europameister?

Der Titel entscheidet sich zwischen Spanien und Deutschland. Wenn die Deutschen ihren zuletzt gezeigten «Zauberfussball» umsetzen können, werden sie zu ganz Grossem fähig sein. Der Druck auf Deutschland könnte aber zu gross werden. Als Überraschungstipp würde ich zudem noch Polen nennen. Die haben schliesslich drei Topspieler von Dortmund in ihrer Reihe.

Und für wen schlägt Ihr Herz?

Ich bin England-Fan. Die Engländer waren zuletzt zwar meistens schlecht. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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