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Anklage fordert Schuldspruch für Busfahrer und dessen Chef

Am ersten Engadiner Busunfall-Prozesstag hat der Ankläger bedingte Geldstrafen und Bussen für den Busfahrer und dessen Vorgesetzten beantragt. Die Plädoyers der Verteidiger folgen heute.

Südostschweiz
15.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Theo Gstöhl

Samedan. – Nach dem tragischen Busunglück zwischen Sils und Silvaplana, bei dem am 3. Oktober 2008 drei Fahrgäste ums Leben gekommen waren, mussten sich gestern der Buschauffeur und der Betriebsleiter der Engadin Bus AG in Samedan vor dem Bezirksgerichtsausschuss Maloja verantworten (Ausgabe von gestern). Zuvor hatte das Gericht einen Augenschein am Unfallort durchgeführt.Die Staatsanwaltschaft Graubünden warf dem 46-jährigen Buschauffeur mehrfache fahrlässige Tötung, Verletzung von Verkehrsregeln sowie das Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs vor. Dem 54-jährigen Betriebsleiter legte sie mehrfache fahrlässige Tötung sowie das Führenlassen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs zur Last.

Weitgehend abgefahrene Reifen

Wie in der Anklage festgehalten wurde, waren auf der Hinterachse des Gelenkbusses Reifen mit einem weitgehend abgefahrenen Profil montiert, die gemäss Gutachten des Strassenverkehrsamts für die herrschenden Strassenverhältnisse bei Matsch und Schnee nicht tauglich waren. Trotz dieses Umstands und der Tatsache, dass es geschneit habe, habe es der Chauffeur unterlassen, Ketten zu montieren.Er sei dann mit einer Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h auf der mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn über die Silserebene gefahren. Als er sich der unübersichtlichen Linkskurve am Ende der Ebene genähert habe, habe er mehrmals den Retarder betätigt. Da diese Getriebebremse auf die Hinterachse wirke, sei der Hinterteil des Busses wegen des mangelhaften Reifenprofils und der rutschigen Fahrbahn ins Schleudern und teils auf die Gegenfahrbahn geraten, wo es dann zur Kollision mit dem entgegenkommenden Sattelschlepper gekommen sei, so die Anklage.In seiner technischen Unfallanalyse ist der von der Staatsanwaltschaft eingesetzte Gutachter zum Schluss gekommen, dass eine Kombination aus der Betätigung des Retarders, der Profiltiefe der Hinterreifen, den Witterungsbedingungen und der Geschwindigkeit Grund dafür war, dass der Hinterteil des Busses aus der Spur und ins Pendeln geraten war. Der Gutachter hielt auch fest, dass im Handbuch des Busses explizit darauf hingewiesen wird, dass bei winterlichen Bedingungen nicht mit dem Retarder gebremst werden soll. In seinem Zusatzgutachten äusserte sich der Experte dahingehend, dass es zumindest plausibel erscheint, dass der Nachläufer bei montierten Schneeketten nicht oder zumindest in deutlich geringerem Masse ausgebrochen wäre und wahrscheinlich auch vor dem Kollisionspunkt hätte stabilisiert werden können.Nach der Befragung der Angeklagten und dem Verlesen zahlreicher Zeugenaussagen von Buspassagieren ging das Gericht auf die Expertengutachten ein. Dabei machte die Verteidigung geltend, dass die Profiltiefe der Reifen den gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe und dass die erste Stufe des Retarders mit der Fussbremse gekoppelt sei und gar nicht ausgeschaltet werden könne.

Bedingte Geldstrafen gefordert

Aus Zeitgründen verlas gestern nur noch der Vertreter der Anklage sein Plädoyer, die beiden Verteidiger kommen heute zu Wort. Der Buschauffeur habe das Tempo nicht den Strassenverhältnissen angepasst und die Beherrschung über das Fahrzeug verloren. Sein Bremsmanöver habe sich laut Gutachter als Fehler herausgestellt. Wegen der ungenügenden Profiltiefe der Reifen hätte er Schneeketten montieren müssen, hielt der Ankläger fest, der eine bedingte Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 110 Franken sowie eine Busse von 800 Franken für den Busfahrer forderte. Dessen Vorgesetzter habe die Sorgfaltspflicht verletzt und sei mitschuldig. Er sei zu einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 100 Franken sowie zu einer Busse von 700 Franken zu verurteilen.

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