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Afrika hat eine grosse Zukunft, bremst sich aber oft selbst

Afrika ist für einige Experten das wirtschaftliche El Dorado der Zukunft. Doch so hoffnungsvoll die Perspektiven auch sind, der Weg scheint noch weit. Zumal das Beispiel Mali zeigt, wie schnell ein Land seine Stabilität verlieren kann.

Südostschweiz
27.01.13 - 01:00 Uhr

Von Urs Fitze

Davos. – Die Expertise von Paul Collier ist gefragt. «Die einen versprechen sich das Blaue vom Himmel, die andern haben schlicht Angst.» Der Direktor des Zentrums für afrikanische Wirtschaft an der Universität Oxford führt während des World Economic Forum zahlreiche Gespräche. Das Interesse potenzieller Investoren an Afrika ist gross. Ebenso sind es aber auch die Verunsicherung und das Unwissen.

Collier hat 2007 mit seinem Buch «Die Milliarde ganz unten», die Gruppe der acht wichtigsten Industriestaaten aufgefordert, endlich zu handeln. Den ärmsten Ländern müsste endlich aus dem Teufelskreis von Korruption, schlechter Regierungsführung, Bürgerkrieg und Plünderung von Rohstoffen herausgeholfen werden. Damit hat Collier auch den britischen Premier David Cameron stark beeinflusst, der am WEF als G-8-Vorsitzender entsprechende Massnahmen ankündigte. Collier hat kein Patentrezept für die Investoren. Er könne einzig dazu raten, nicht nur in ein afrikanisches Land zu investieren. «48 Staaten wurden 2011 als gescheitert gelistet. Mali war nicht dabei. Niemand rechnete mit einer solch katastrophalen Entwicklung», zeigte er die Unwägbarkeiten auf. Von den euphorischen Berichten, die Afrika ein goldenes Jahrzehnt, ja gar eine mit China vergleichbare Entwicklung vorhersagen, hält er wenig. «Das mag vielleicht für einige Staaten gelten, deren Wirtschaft sich in zehn Jahren durchaus verdoppeln könnte. Aber verallgemeinern lässt sich nichts.»

Bodenschätze spielen eine wichtige Rolle

Für Ashish Thakkar haben die goldenen Jahre begonnen. Als Unternehmer hat er es mit 31 Jahren zu seiner Firmengruppe Mara gebracht. Diese hat Aktivitäten in 16 afrikanischen Ländern, vom Computerhandel über den landwirtschaftlichen Grossbetrieb bis zum Tourismus. Sein Unternehmen macht einen Umsatz von 100 Millionen Dollar. Eine phänomenale Karriere eines unternehmerischen Wunderkindes. Seinen Mischkonzern steuert er aus logistischen Gründen von Dubai aus, aber sein Herz, das schlage afrikanisch. «Ich bin durch und durch Afrikaner. Und ich glaube an das grosse Potenzial dieses Kontinents.» Afrika habe riesige Bodenschätze, Afrika sei grösser als Nordamerika und Europa zusammen. Und Afrika zähle eine Milliarde Menschen – eine vorwiegend jugendliche, motivierte und weltoffene Bevölkerung. Thakkar argumentiert mit so viel Feuer, dass man ihm gerne glauben mag.

«Afrika ist anders geworden», sagt Kamdeh Yumbella, Generaldirektor der UNO-Organisation für industrielle Entwicklung in Wien. «Meine Generation war noch von Selbstzweifeln erfüllt», sagt der 54-Jährige aus Sierra Leone, «wir trauten uns kaum etwas zu. Jetzt kommen die Jungen und fragen ganz selbstbewusst: Warum nicht wir?» Es sei dieses neue Selbstbewusstsein, das ihn optimistisch stimme. Doch es brauche dafür auch die richtigen Rahmenbedingungen. Und diese Liste der Hausaufgaben ist noch sehr lang. Es seien zwei Probleme, mit denen die meisten afrikanischen Länder zu kämpfen hätten: die Folgen der raschen Urbanisierung und die Entwicklung des ländlichen Raums. Beides sei von allerhöchster Dringlichkeit. «Afrika ist ein junger Kontinent. Hunderte Millionen treten in den kommenden Jahren ins Erwerbsleben. Heute gibt es kaum Arbeitsplätze für sie. Und Afrika, das heute Lebensmittel importiert, obwohl es das Potenzial zum grossen Exporteur hätte, muss endlich den Agrarsektor entwickeln, um aus dem Teufelskreis der chronischen Ernährungskrisen herauszukommen.» Yumbella sieht vor allem in den Küstenregionen grosses Potenzial für den Aufbau von arbeitsintensiven Industrien, etwa zur Verarbeitung der vielen Rohstoffe Afrikas oder im Textilsektor. Und er möchte neben den Kleinbauern auch die mittleren Betriebe fördern. «Sie sind die besten Innovatoren in der Landwirtschaft. Sie schaffen die neuen Märkte, von denen auch die kleinen Betriebe profitieren werden.» Doch die Zeit dränge.

Ruanda ist eine Ausnahme

Tatsächlich muss man sich fragen, wie auf einem Kontinent, dessen Wirtschaft in den vergangenen Jahren mit erstaunlicher Konstanz, aber grossen regionalen Unterschieden, um rund fünf Prozent pro Jahr gewachsen ist, es gelingen soll, ein wirtschaftliches Feuer zu entfachen. Dieses ist nötig, um die längst chronisch gewordene Massenarmut oder die endemische Unterernährung nachhaltig zu beseitigen. Es wäre ein Wirtschaftswunder von chinesischem Ausmass. Vielleicht braucht es dazu auch selbstbewusste Politiker wie den Präsidenten von Ruanda, Paul Kagame, der am WEF sagte: «Die Geschichte Afrikas ist von anderen geschrieben worden. Jetzt ist es Zeit, dass wir unsere Probleme selber lösen und unsere eigene Geschichte schreiben.»

Die grenzt in Ruanda an ein kleines Wirtschaftswunder. Das mausarme, sehr dicht bevölkerte Land, in dem 1994 über 800 000 Tutsis und moderate Hutus ermordet worden waren, ist in den vergangenen Jahren konstant um acht Prozent gewachsen. In einem halben Jahrzehnt gelang es, eine Million Menschen aus der Armutsfalle zu befreien. Heute lebt noch knapp die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. «Das ist sehr beeindruckend, zumal Ruanda über keine eigenen Rohstoffe verfügt», sagt Afrika-Experte Collier. «So müsste es überall in Afrika sein. Aber die Realität ist eine andere. Ruanda bleibt vorerst die Ausnahme.»

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