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«Ich bin optimistisch, seit ich denken kann»

Patrick Fischer steht vor seiner achten WM als Nationaltrainer. Im Interview äussert er sich über die Zusammenstellung des Teams, seine Entwicklung, Wayne Gretzky und die Schweizer Mentalität.

Agentur
sda
08.05.24 - 05:00 Uhr
Eishockey
Nationaltrainer Patrick Fischer während eines Testspiels in Aktion
Nationaltrainer Patrick Fischer während eines Testspiels in Aktion
KEYSTONE/ENNIO LEANZA

Patrick Fischer, am Freitag beginnt die WM. Während der vierwöchigen Vorbereitung ging es darum, das bestmögliche Team zu finden. Auf was achten Sie besonders in der Zusammenstellung des Teams?

«Wir bauen ein Team auf, das auf Charakter basiert, denn wir können nur zusammen Erfolg haben. Es ist zwingend, dass unsere Gewohnheiten und Tugenden umgesetzt werden, auf und neben dem Eis hart gearbeitet wird. Dann gilt es, die verschiedenen Rollen auszufüllen. Wir müssen für jede Rolle den besten Mann finden, können beispielsweise nicht vier Erstlinien-Center aufbieten.»

Heutzutage gibt es sehr viele Statistiken. Wie stark beziehen Sie diese in Ihre Entscheide ein?

«Ich finde sie spannend. Eishockey wurde sehr lang ungenügend analysiert, es gab wenig Daten bei uns in Europa. Die 'Advanced Stats' und sonstige Statistiken helfen. Unser Ziel als Team ist, uns bei numerischem Gleichstand mehr Möglichkeiten zu erarbeiten als der Gegner. Das ist das, was wir beeinflussen können. Von daher ist für uns im Coaching-Staff eine der wichtigsten Statistiken, wer Chancen kreiert und wer mit Fehlern solche des Gegners ermöglicht. So sehen wir bei engen Entscheiden, wer besser performt.»

Sie sind seit Ende 2015 Nationaltrainer, arbeiten mit einigen Spielern schon lange zusammen. Wie schwierig ist es, dann immer objektiv zu sein?

«Das ist eine sehr gute Frage. Es ist durchaus möglich, für einen Spielertyp gewisse Sympathien zu haben, und auch die gemeinsamen Erfolge können einen Einfluss haben. Als ich vor zwei Jahren Raphael Diaz sagen musste, dass er nicht mehr dabei ist, war das ein sehr schwieriger Entscheid. Aber ich bin ja nicht allein, wir schauen das im Staff zusammen an. Wir spiegeln uns gegenseitig und versuchen, so objektiv wie möglich zu sein.»

In welchem Bereich haben Sie sich seit ihrem Amtsantritt am meisten entwickelt?

«Zu Beginn musste ich mich in taktischen Bereichen verbessern, in der ganzen Detailarbeit. Ich war ein sehr intuitiver Eishockeyspieler, so coachte ich am Anfang. Das Intuitive ist nach wie vor ein wichtiger Teil, nun ist jedoch auch dank den Coaching-Kollegen noch mehr Struktur drin. Zudem war zu Beginn vielleicht ab und zu die Trainingsbelastung zu hoch, mittlerweile gelingt es uns gut, die Mannschaft rasch auf den Punkt zu bringen, wenn wir zwei, drei Wochen zusammen sind. Wir wissen nun, was funktioniert und was nicht. Und da ich nun schon vieles erlebt habe, bin ich allgemein gewachsen.»

Apropos zwei, drei Wochen zusammen zu sein. Ihr Team bekundet oft etwas Anlaufzeit. Warum ist das Ihrer Meinung nach so, obwohl das Niveau der National League mit den sechs Ausländern gestiegen ist?

«Unser System ist relativ komplex. Wir haben vier verschiedene Forechecking-Varianten, und auch in der Defensivzone spielen wir etwas anders als üblich. Während der Saison mit den wenigen Trainings ist es gar nicht möglich, alles einzuüben. Schliesslich sollen die Spieler nicht überfordert werden. Darum geniessen wir es, wenn wir sie wie vor der WM mal länger bei uns haben. Dann sieht man markante Unterschiede.»

Ihr Team verlor saisonübergreifend 13 Spiele in Serie. Hatten Sie nie Zweifel?

«Ich hätte wirklich Bedenken gehabt, wenn wir zehnmal keine Chance gehabt hätten, aber so war es nicht. Wir hätten in der Euro Hockey Tour gerade so gut die Hälfte der Partien gewinnen können, beim Toreschiessen fehlte jedoch die Effizienz. Klar können Niederlagen nicht positiv verkauft werden und es wäre unrealistisch, wenn es keine kritischen Stimmen gegeben hätte. Aber intern wussten wir, dass der Prozess stimmt. Für mich war sehr schön zu sehen, dass wir alle, auch die Mannschaft, ruhig geblieben sind. Es kam nie Hektik auf. Intern rundherum Vertrauen zu spüren, tat gut. Unser CEO Patrick Bloch sowie unser Director Sport Lars Weibel hielten mir immer den Rücken frei. Letztendlich wächst man in schwierigen Situationen. Wir freuen uns, dass wir nach der schwierigen Phase im vergangenen Jahr nun wieder angreifen können. Wir werden zum WM-Start bereit sein.»

Sie haben früher in der NHL gespielt und kein Geringerer als die Eishockey-Legende Wayne Gretzky hat Sie 2006 zu den Phoenix Coyotes geholt. Hat ihn auch neben dem Eis eine besondere Aura umgeben?

«Wayne ist ein eher ruhiger, unglaublich bodenständiger und demütiger Mensch. Ich hatte eine spezielle Verbindung zu ihm. Er unterstützte mich immer, auch als ich zunächst nicht gut unterwegs war. Es war eine tolle Erfahrung. Ich habe heute noch Kontakt mit ihm, er hat mich auch schon in der Schweiz besucht.»

2009 beendeten Sie Ihre Karriere, obwohl der Vertrag mit dem EV Zug noch weitergelaufen wäre. Unterstreicht das Ihren Charakter, keine halben Sachen zu machen?

«Ich bin jemand, der nicht etwas ausüben kann, das mir nicht mehr gefällt. Ich hatte noch drei Jahre Vertrag und die Saison zuvor war punktemässig eine meiner besten, aber ich wusste innerlich, dass es für mich nicht mehr stimmte. Dann musste ich ehrlich gegenüber mir sein. Geld war für mich nie eine Motivation, etwas zu machen. Eishockey hat mir so viel gegeben, ich liebte es. Ich spielte 30 Jahre, mit Betonung auf spielen. Als ich merkte, dass es mehr zu einem Arbeiten wurde, war für mich klar aufzuhören, obwohl ich zunächst keinen Plan hatte, was ich tun sollte.»

In der Folge lebten Sie eine Weile bei Indianern. Wie kam es dazu und wie stark hat Sie diese Zeit geprägt?

«Ich hatte damals essenzielle Fragen und bin ein neugieriger Mensch. Es beschäftigte mich, dass alle gestresst sind, ohne zu wissen warum. Dann bin ich auf Umwegen bei Urvölkern gelandet, die überhaupt nicht begriffen haben, wieso ich mir so viele Gedanken machte. Die Einfachheit dieser Leute, dass sie das taten, was in ihren Herzen war, sie nicht alles hinterfragten, gab mir die nötige Ruhe. Diese brauchte ich, um mich zu sortieren und für mich zu beantworten, was ich nun überhaupt machen will. Ich spielte zuvor bloss Eishockey. Als mich Lugano für einen Job als Coach anfragte, wusste ich zunächst nicht, ob ich das wollte. Es packte mich allerdings rasch wieder, und so bin ich Trainer geblieben.»

Zurück zum Nationalteam. An den letzten drei Weltmeisterschaften ging Ihr Team jeweils als Favorit in die Viertelfinals und scheiterte dreimal. Auch in anderen Mannschaftssportarten verlieren die Schweizer oft entscheidende Spiele. Hat das mit der hiesigen Mentalität zu tun?

«Wir leben hier in einem Schlaraffenland, unsere Komfortzone ist riesengross. Meiner Meinung nach haben sie in anderen Kulturen viel weniger Angst als wir, nicht umsonst versichern wir alles. Unsere Einstellung kann hinderlich sein, gerade wenn wir in der Favoritenrolle sind. So heisst es bei uns stets, 'Pass auf', während der Nordamerikaner sagt: 'Tue es'. Dort lieben sie Heldengeschichten, bei uns ist das Gegenteil der Fall. Wir haben nicht gerne Helden, woran das liegt, weiss ich nicht. Das macht mich nicht traurig, aber bringt mich zum Nachdenken. Andere Länder bewundern uns, sagen wow, während wir uns fast etwas schämen für den Erfolg.»

Blicken wir zum Schluss voraus auf die WM. Was stimmt Sie optimistisch, diesmal das Final-Wochenende zu erreichen?

«Mich macht nichts optimistisch, das bin ich immer, seit ich denken kann. Ich sehe das Gute, glaube an unsere Fähigkeiten als Mannschaft. Wir haben uns in den letzten Jahren entwickelt. Ich erhalte so viele Komplimente von anderen Nationen, wie wir spielen. Im eigenen Land geht es zum Teil in die andere Richtung. Aber das ist okay. Ich bin überzeugt, dass wir wieder eine hervorragende WM zeigen werden.»

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