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Doug Shedden: «Was ich mache, ist eine vergessene Kunst des Coachens»

Doug Shedden nimmt zum sechsten Mal in Serie am Spengler Cup teil. Der Trainer des HC Lugano äussert sich im Interview über das (Nicht-)Forcieren von Starspielern, alte Zeiten in Davos, die Beziehung zu Nationalstürmer Damien Brunner und vieles mehr.

Südostschweiz
28.12.15 - 09:16 Uhr
Eishockey

von Kristian Kapp

Sechs Jahre hat Doug Shedden in Zug trainiert, bevor er vom EVZ gegen Ende der Saison 2013/14 entlassen wurde. Nach einem einjährigen Abstecher in die russische KHL beim kroatischen Expansions- und Gast-Team Medvescak Zagreb ist der 54-jährige Kanadier in die Schweiz zurückgekehrt und coacht seit Ende Oktober Spengler-Cup-Teilnehmer Lugano.

Vier Mal mit dem Team Canada, einmal mit Medvescak und nun mit Lugano. Doug Shedden, egal wo Sie gerade arbeiten, eines bleibt gleich: Im Dezember coachen Sie ein Team am Spengler Cup …
Doug Shedden: Es ist wirklich lustig, wie es immer dazu kommt. Aber es ist übrigens auch grossartig, hier zu sein. Die ganze Atmosphäre, auch wenn es dieses Jahr keinen Schnee hat. Draussen vor der Eishalle spielen die Leute Eishockey, du schaust nach oben und siehst die Berge. Es ist einfach ein grossartiger Ort, um eine Woche zu verbringen. Und in Kanada werden die Spiele am TV gezeigt. Ich erhalte nach jedem Spiel über 100 SMS von Freunden in der Heimat. Sie schreiben mir, ich sei fett geworden. (lacht)

Sie waren vor einer gefühlten Ewigkeit auch schon in Davos als Spieler angestellt: 1991/92 in der Nationalliga B. Welche Erinnerungen sind geblieben?
Ich hatte ein Food-Deal mit einem Hotel. Also ging ich dort die ganze Zeit essen. Sauna und Wellness gab es auf dem Weg dorthin auch. Die HCD-Garderobe im Stadion war noch auf der anderen Seite. Ich ging einmal mit Martin Hänggi und anderen Teamkollegen skifahren. Bloss konnte ich gar nicht skifahren. Also war ich der Einzige, der in der Gondel wieder runterfuhr und sich zum Idioten machte. (lacht) Ich hatte Spass. Ich machte viele Skorerpunkte, fast drei pro Spiel. Lance Nethery war Trainer, wir kämpften um den Ligaerhalt, und mir wurde ein neuer 2-Jahres-Vertrag versprochen, falls wir nicht absteigen würden. Wir stiegen nicht ab, aber den Vertrag erhielt ich dennoch nicht.

Zurück zur Gegenwart: Ihr Team Lugano gewann am Samstag zwar das Startspiel gegen Mannheim 6:3, lag aber zunächst 0:3 zurück.
Wir hatten am 24. und 25. nicht trainiert, und das machte sich bemerkbar. Wir hatten keine Beine. Ich war sicher: Mannheim hat viele Spieler, die in den 70er Jahren geboren sind, also müsste unser Tempo sie besiegen. Danach wachten wir auf.

Damien Brunner sagte, Sie seien nach dem 0:2 im Startdrittel in die Garderobe gekommen und hätten eine «letzte Warnung» ausgesprochen.
Die «letzte Warnung»?

Ja, die «letzte Warnung». Was ist eigentlich die «letzte Warnung»?
Ich hab keine Ahnung, wovon er spricht. (lacht) Ich habe versucht, nicht herumzuschreien. Und ich habe auch nicht geschrien. Ich sagte den Spieler nur: «Wir hatten einen verdammten Deal! Wir wollten nicht nach oben kommen und wie ein schlechtes Team aussehen, das nicht kämpft. Also schaut euch gegenseitig in die Augen und sagt: ‘Wir werden hier arbeiten!’» Und diese drei Schweden (Pettersson, Klasen, Martensson, die Red.) können manchmal ziemlich gut sein.

Welche Chancen bietet der Spengler Cup Ihrer Mannschaft?
Ich habe erst vor 16 Spielen übernommen. Wir sind immer noch dran, uns wirklich kennen zu lernen. Wir sind in einem Prozess, auch wenn du eigentlich eh nie wirklich zufrieden bist. Aber es geht darum, diese Jungs auf eine bestimmte Art und Weise spielen zu lassen und keine schlechten Gewohnheiten zu erlauben.

Sie übernahmen den HC Lugano als NLA-Schlusslicht. Nun haben Sie ihn auf Platz 5 geführt. Was haben Sie gemacht?
Das Team ist gut, das muss man zunächst einmal festhalten. Ich weiss nicht, was vorher passierte, und ich will auch nicht wissen, was vorher passierte. Alles was mich kümmert, ist das, was jetzt passiert. Wir wollen, dass die Spieler ihr Tempo nutzen. Wir haben Leute wie Hofmann oder Bertaggia, die verdammt gute Skater sind. Das wollen wir zu unserem Vorteil nutzen.

Trotzdem: Die finanziellen Möglichkeiten in Lugano korrespondieren schon lange nicht mehr mit dem Erfolg. Das Team gilt seit fast zehn Jahren als «uncoachbar».
Die Toronto Maple Leafs sind uncoachbar. (lacht) Ich weiss nichts vom Budget des HC Lugano, ausser die Dinge, die ich früher von «draussen» als Trainer in Zug hörte. Ich habe mit Sportchef Roland Habisreutinger auch noch nicht über die detaillierten Löhne gesprochen, da ich vorerst nur einen Vertrag für diese Saison habe.

Als Sie Lugano übernahmen, war das Team mental am Boden zerstört. Wie gingen Sie diese Aufgabe an?
Die Spieler waren mental wirklich in einem schlechten Zustand. Es ging nicht um mich persönlich, sondern um irgendjemanden, der irgendein Resümee hat und der schon irgendwo gecoacht und sich etwas Respekt verschafft hat. Die Spieler warteten auf den Leader, der durch die Türe kommt und ihnen zu einem frischen Start verhilft. Sie wollten jemanden mit Autorität, der auf die richtige Art und Weise mit ihnen spricht. Sie waren bereit. Ich hoffe, meine Stimme verhallt hier nicht nach ein paar Spielen wieder.

Ist die Zufriedenheit in Lugano generell zu gross?
Ich weiss nicht, ob ich diese Frage wirklich beantworten kann. Aber in den alten Tagen spielte ich mal in Los Angeles. Auch das war ein grossartiger Ort, Eishockey zu spielen. Wir sassen oft in der Sonne. Auch in Lugano hat es Sonnenschein und Palmen. Die ganze Schweiz ist sehr schön, aber Lugano ist noch einen Tick spezieller in dieser Beziehung. Das kann also passieren. Aber ich bin noch zu wenig lange in Lugano, um das beurteilen zu können.

Der grösste Unterschied zu Zug?
Die Sonne.

Und Eishockey-technisch?
Das ist eine schwierige Frage, da ich in Zug sehr lange tätig war. Eine Sache, mit der wir in Zug Probleme hatten, war die Tiefe des Kaders. Wenn wir einen Verletzten hatten,  mussten wir sofort bei den Junioren Spieler suchen. In Lugano gibt es acht oder neun, die verteidigen können und knapp fünf Linien für den Angriff. Ich hatte in Zug nie diese Tiefe.

In Zug wurden Sie kritisiert, Ihre besten Spieler zu überforcieren. Das gleiche wird Ihnen nun auch in Lugano mit den schwedischen Stars nachgesagt. Was sagen Sie dazu?
Ich sage, dass Leute, die das behaupten, einen grossen Haufen Scheissdreck labern.

Wirklich?
Wir messen ja in jedem Spiel die Eiszeit der Spieler. Und die Schweden kommen vielleicht auf 19 Minuten, während die Spieler in der vierten Linie auf zehn bis zwölf Minuten kommen. Die Schweden und die guten Spieler wie Damien Brunner spielen Powerplay und Boxplay und die wichtigen Minuten. In Zug wurde mir vorgeworfen, ich würde ein 3-Linien-Team coachen. Ich spielte mit vier Linien. Aber in den letzten Minuten eines Drittels achtete ich darauf, je nach Spielstand die richtigen Leute zu bringen. Andere Coaches tun das vielleicht nicht, ich schon. Ich achte auf solche Details, die es zum Gewinnen braucht. Die richtigen Leute auf dem Eis zu haben gegen die richtigen Leute des anderen Teams. Das ist eine vergessene Kunst des Coachens. Viele Coaches wechseln einfach ihre Linien durch.

Also wird in Lugano die Energie kein Faktor sein in den Play-offs?
Nein. Warum sollte es? Wir spielen hier 50 Spiele, nicht 82 wie in der NHL. Wir haben nicht einmal richtige Reisen. Wir haben hier vier Pausen während der Saison. Wie soll man da müde sein?

Ein Pettersson scheint seine eigenen Grenzen aber nicht zu kennen.
Ja, er ist unser energiegeladener Hase. Wir hatten unsere Probleme. Nach einem schwierigen Start läuft es nun gut zwischen uns. Er reisst sich den Hintern auf und arbeitet hart.

Ein schwieriger Start?
Er arbeitete nicht hart genug. Also er selbst glaubte schon, er arbeite hart genug. Aber das tat er nicht.

Galt das auch für andere Spieler?
Nein. Die grösste Herausforderung war, gewisse Spieler zum Zusammenspielen zu bringen. Pettersson und Klasen mögen es, zusammen zu spielen. Aber Tony Martensson wollte wirklich nicht Teil dieses Zusammenspiels der beiden anderen sein. Ich sagte ihm: «Versucht es doch. Ihr spricht die selbe Sprache, ihr seid alle drei gute Spieler.» Klasen tendiert dazu, nur zu Pettersson zu passen und vergisst, dass da noch ein dritter Stürmer in der Linie ist. Mittlerweile klappt das wieder gut.

In Lugano sind Sie wieder auf Damien Brunner getroffen. Braucht er eine gute Beziehung zum Coach, damit er produziert?
Ich weiss nicht genau, wie er mit anderen Coaches auskam. Mike Babcock in Detroit mochte er gut, den Coach in New Jersey mochte er weniger. Wir zwei hatten immer eine spezielle Beziehung. Diese war zunächst sehr einseitig, als er jünger war. Ich musste mich da richtig um ihn kümmern. Heute ist er zu einem Mann herangewachsen. Aber unsere Beziehung ist immer noch speziell, auch wenn wir uns mittlerweile ruhiger unterhalten. Ich bin ein Trainer, der gerne seine Spieler gut kennen will, auch persönlich und wie es ihren Familien geht.

Brunner wirkt nach aussen oft wie der lustige und unbekümmerte Zeitgenosse. Aber er hat eine sehr sensible Seite, die oft übersehen wird.
Das sehe ich zu 100 Prozent auch so. Sein Ego kann sehr einfach angekratzt werden. Wenn es ihm gut läuft, ist er gerne diese Figur, zu der alle hochschauen. Aber er kann sich auch ziemlich nach unten ziehen. Mein Job ist es dann, ihn wieder hochzuziehen. Sein bestes Eishockey hat Brunner noch vor sich.

Als es Brunner in New Jersey nicht lief, schien er oft am Boden zerstört. Wie trafen Sie ihn in der Krise in Lugano an?
Er ist einer der Hauptgründe, warum ich in Lugano gelandet bin. Für Alessandro Chiesa gilt dasselbe. Sie brachten Roland Habisreutinger dazu, überhaupt mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich hätte mir bei Damien gewünscht, er wäre letzte Saison in die AHL spielen gegangen, statt in die Schweiz zurückzukehren. Raphael Diaz zum Beispiel versucht sich derzeit in der AHL und hofft auf einen Callup in die NHL. Damien hätte auch ein oder zwei Monate sich in der AHL versuchen sollen. Wenn er dort so gespielt hätte, wie er es könnte, hätte vielleicht ein anderes Team ihn ertradet. Aber nur weil er in Nordamerika aufgegeben und hier in Lugano den grossen Vertrag unterschrieben hat, heisst das nicht, dass er automatisch im Rücktritts-Modus wäre. Ich will immer noch das beste Eishockey aus ihm herausholen.

Sie selbst scheinen ruhiger als der Doug Shedden, den man noch in Zug kannte.
Wenn du älter wirst, wirst du automatisch ruhiger. Und ich hatte gesundheitliche Probleme vor einem Jahr. Nach dem Aus in Zug ging ich nach Florida und erlitt dort einen Herzinfarkt. Das half mir, ruhiger zu werden.

Heute geht es Ihnen aber gut?
Ja, mir wurde ein Stent eingesetzt. Eine der Arterien war zu 98 Prozent verstopft. Das hatte ich nicht gewusst. In meinem letzten Jahr in Zug war mir bloss aufgefallen, wie mir die Energie fehlte und wie oft ich müde war. Ich kam aus dem Atem von blossem Treppensteigen. Das war aber nicht der Grund, warum wir oft verloren. (lacht)

Sie hatten also einen Herzinfarkt und gingen nach Zagreb …
Ja, das tat ich –  gegen den Willen meiner Ehefrau. Sie wollte das schon nur wegen den schlimmer Reiserei in der KHL nicht.

Wie war Zagreb? Kroatiens Kapitale gilt ja nicht unbedingt als Hockeystadt.
Die Leute dort sind Hockey-crazy! Aber sie sind auch arm, haben kein Geld. Ich denke, die meisten Tickets wurden verschenkt. Wir hatten jeden Abend rund 6000 Leute im Stadion. Ich habe aber nicht nur freundliche Beziehungen mit Zagreb. In den letzten vier Monaten wurde den Spielern und den Coaches kein Lohn mehr ausgezahlt.

Was haben Sie gelernt aus dieser Erfahrung?
Ich weiss nicht, ob du daraus viel lernen kannst. Sie verkauften einen Spieler nach dem anderen. Wir waren ein gutes Team und waren gut unterwegs. Und dann verkauften sie zunächst den Goalie und nachher drei oder vier der besten Spieler. Da denkst du schon: «Was zur Hölle mache ich hier? Wollen sie gewinnen oder einfach nur Geld machen um zu überleben?» Ich genoss aber meine Zeit und war an vielen Orten, an denen ich vorher nie gewesen war. Ich kenne nun auch einige Orte in Russland, an denen ich mich sicher nicht zurückziehen und den Rest meines Lebens verbringen will. Das Eishockey war aber gut.

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