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Elf Festnahmen nach Anschlag bei Moskau - Mindestens 115 Tote

Nach dem Anschlag bei Moskau auf eine Konzerthalle sind elf Verdächtige festgenommen worden. Mindestens vier von ihnen sollen direkt an dem Angriff auf das Veranstaltungszentrum beteiligt gewesen sein, wie FSB-Chef Alexander Bortnikow nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass am Samstag sagte.

Agentur
sda
23.03.24 - 11:23 Uhr
Politik
HANDOUT - Auf diesem vom Pressedienst des russischen Katastrophenschutzministeriums am 23. März 2024, veröffentlichten Foto arbeiten Rettungskräfte des russischen Katastrophenschutzministeriums nach einem Anschlag am 22.03.2024 im Inneren der…
HANDOUT - Auf diesem vom Pressedienst des russischen Katastrophenschutzministeriums am 23. März 2024, veröffentlichten Foto arbeiten Rettungskräfte des russischen Katastrophenschutzministeriums nach einem Anschlag am 22.03.2024 im Inneren der…
Keystone/Russian Emergency Ministry Press Service/AP/Uncredited

Die Zahl der Toten bei dem Anschlag stieg unterdessen auf mindestens 115, darunter sind mindestens 3 Kinder. Beim Wegräumen der Trümmer in der Konzerthalle des Zentrums hätten Einsatzkräfte weitere Leichen gefunden, teilte das Moskauer Ermittlungskomitee am Samstagvormittag bei Telegram mit. Ausserdem gingen die Behörden von mehr als 100 Verletzten aus. Nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums sind darunter 44 Schwerverletzte.

Bewaffnete in Tarnuniform

In dem grossen Konzertsaal der Crocus City Hall mit Tausenden Plätzen hatten mehrere Täter am Freitagabend offenbar wahllos auf Besucher geschossen. Menschen, die um ihr Leben rannten, und Verletzte berichteten in sozialen Netzwerken von vielen Opfern. Zu sehen waren auch einzelne auf dem Boden liegende Tote oder Verletzte. Nach Augenzeugenberichten in sozialen Medien brauchten viele Besucher lange, um aus dem Gebäude herauszukommen. Die Ermittler fanden später Waffen und viel Munition. Tütenweise sammelten die Behördenmitarbeiter leere Patronenhülsen ein. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Grossbrand.

Die Hintergründe des Anschlags waren zunächst unklar, die russischen Sicherheitsbehörden ermittelten wegen Terrorismus. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag für sich, wie das IS-Sprachrohr Amak im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen meldete. Dort hiess es: «Kämpfer des Islamischen Staates griffen eine grosse Versammlung von Christen in der Stadt Krasnogorsk am Rande der russischen Hauptstadt Moskau an, töteten und verwundeten Hunderte und richteten grosse Zerstörungen an.» Experten gingen davon aus, dass dieses Bekennerschreiben echt ist. Von offizieller russischer Seite gab es dazu jedoch keine Bewertung.

Auch wie die Männer in Tarnuniform und schwer bewaffnet in die Konzerthalle gelangen konnten, war unklar. Die russische Hauptstadt Moskau gilt mit einem Grossaufgebot an Sicherheitskräften, mit Überwachungskameras und Metalldetektoren an vielen Stellen als sichere Stadt. Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten aber Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Präsident Wladimir Putin tat dies als westliche Provokation ab. Ziel solcher Warnungen des Westens sei es, die Lage in Russland zu destabilisieren, sagte er Anfang der Woche bei einer Rede beim FSB. Auch am Samstag gab es zunächst keine Stellungnahme von ihm.

Erste Festnahmen nach Verfolgungsjagd

Zu den ersten Festnahmen teilte der russische Parlamentsabgeordnete Alexander Chinstein mit, dass am Freitagabend ein mutmassliches Fluchtfahrzeug mit Waffen im Inneren im Gebiet Brjansk gestoppt worden sei. Weitere Verdächtige würden in einem Wald gesucht.

Das Fahrzeug habe bei einer Verfolgungsjagd der Polizei nicht angehalten, sei beschossen worden und habe sich dann überschlagen. «Ein Terrorist wurde auf der Stelle festgenommen, die anderen haben sich im Wald versteckt», sagte Chinstein. Am frühen Morgen sei ein zweiter Verdächtiger festgenommen worden.

Im Inneren des Fahrzeugs seien eine Pistole, ein Patronenmagazin und eine Kalaschnikow sowie Pässe von Bürgern des zentralasiatischen Republik Tadschikistan gefunden worden. Wenig später gab der Inlandsgeheimdienst bekannt, dass insgesamt elf Verdächtige festgenommen worden seien.

Der Morgen danach

Die Lage an der Crocus City Hall war am Morgen unterdessen ruhig. Einsatzkräfte löschten Glutnester nach dem Grossbrand, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach dem kompletten Löschen sollten die Trümmer des eingestürzten Daches der Konzerthalle beseitigt werden. Polizei, Nationalgarde und Ermittlungskomitee nahmen die Schäden auf und sicherten Spuren.

Die Crocus City Hall im Nordwesten der russischen Hauptstadt gehört zu den beliebtesten Veranstaltungszentren der Millionenmetropole. Dort werden immer wieder auch Messen und Ausstellungen organisiert.

Generell herrschte in der Moskauer Innenstadt ein erhöhtes Polizeiaufgebot, selbst mehrere Kilometer vom Anschlagsort entfernt, waren zahlreiche Polizeitransporter zu sehen und fanden Kontrollen statt. Hunderte Menschen folgten den Aufrufen der Gesundheitsbehörden, Blut für die Verletzten zu spenden.

Putin lässt gute Besserung wünschen

Russlands Präsident Wladimir Putin liess sich nach Kremlangaben «seit der ersten Minute» über die Geschehnisse informieren. Er erhalte über die entsprechenden Dienste ständig alle wichtigen Informationen über das Geschehen und die eingeleiteten Massnahmen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Später liess Putin den Verletzten gute Besserung wünschen und dankte den Ärzten und Ärztinnen für ihren Einsatz.

Die Chefin des Föderationsrats, dem Oberhaus des russischen Parlaments, Valentina Matwijenko, drohte den Drahtziehern des Anschlags mit Vergeltung. «Diejenigen, die hinter diesem fürchterlichen Verbrechen stehen, werden die verdiente und unausweichliche Strafe dafür erhalten», schrieb sie auf ihrem Telegram-Kanal. Der Staat werde zugleich alles tun, um den Hinterbliebenen zu helfen, kündigte sie an.

Ukraine dementiert jede Verwicklung

Das ukrainische Aussenministerium wies nach dem Anschlag den Verdacht einer Verwicklung Kiews zurück. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls an, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. «Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington. Man könne bisher nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe. Das US-Aussenministerium empfahl amerikanischen Staatsbürgern vor Ort, grosse Menschenansammlungen zu meiden.

Auf diese Äusserung aus Washington reagierte die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, empört. Es sei vorschnell von den USA, die Ukraine zu entlasten, sagte sie im russischen Fernsehen. «Wenn die USA oder ein anderes Land verlässliche Fakten hat, sollten sie diese der russischen Seite zukommen lassen.» Wenn es solche Fakten nicht gebe, hätten weder das Weisse Haus noch sonst jemand das Recht, vorab eine Absolution zu erteilen, sagte Sacharowa.

Scholz verurteilt Anschlag

Die deutsche Regierung sprach den Familien der Opfer und den Verletzten ihr Mitgefühl aus. «Wir verurteilen den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau. Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten», schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag auf der Plattform X (ehemals Twitter). Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äusserte sich ebenfalls auf X: «Wir verurteilen den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau. Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten.» Auch zahlreiche weitere Länder zeigten sich schockiert und verurteilten den Anschlag.

Als Konsequenz des Anschlags bleiben am Wochenende alle Theater, Kinos und Museen in Moskau geschlossen, darunter das weltberühmte das Puschkin-Museum. Zuvor hatte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin gesagt, dass alle Grossveranstaltungen in Europas grösster Stadt abgesagt seien. Auch im Moskauer Umland sagten die Behörden Massenveranstaltungen ab.

2002 hatten tschetschenische Bewaffnete 850 Menschen in einem Musical-Theater in ihre Gewalt gebracht. Am vierten Tag betäubte der Inlandsgeheimdienst die Geiselnehmer und die Geiseln mit einem Gas. Die Terroristen wurden erschossen. 135 Geiseln kamen ums Leben, die meisten von ihnen durch unzureichende medizinische Versorgung.

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