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Stefan Engler: «Uns fehlt der Mut zur Niederlage»

Der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler kritisiert, seine Partei verbiege sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit, um Vorlagen im Parlament vor dem Scheitern zu retten.

Südostschweiz
18.09.15 - 08:22 Uhr
Politik

mit Stefan Engler sprach Dennis Bühler

Seit vier Jahren vertritt Stefan Engler den Kanton Graubünden im Ständerat. Um seine Wiederwahl zittern muss der 55-Jährige nicht, hat er doch keinen Gegenkandidaten. Und so muss er auf niemanden Rücksicht nehmen – und setzt zum Weckruf für die CVP an.

Stefan Engler, Ihre Partei muss bei den bevorstehenden National- und Ständeratswahlen mit Verlusten rechnen: Wenn man dem aktuellsten SRG-Wahlbarometer glauben darf, wird sie von 12,3 auf 11,1 Prozent fallen. Sind Sie besorgt?
Stefan Engler:
Ja, das bin ich. Jeder Verlust ist bitter, egal ob er nun ein halbes, ein ganzes oder anderthalb Prozent beträgt. Schwer wiegt vor allem die Tatsache, dass wir unseren Abwärtstrend offensichtlich nicht haben stoppen können. Die CVP verliert seit Jahrzehnten kontinuierlich.

Hat sich die CVP diesen Verlust selbst zuzuschreiben?
Wir haben Fehler gemacht. In der Mitte bräuchte es eine Partei, die lautstark ihre Stimme erhebt und sich nicht so duckmäuserisch einmal nach links, einmal nach rechts orientiert, wie wir es tun. Wir müssten viel couragierter auftreten. Stattdessen lassen wir uns von unserer völlig unbegründeten Angst vor Niederlagen leiten.

Wie meinen Sie das?
Die CVP wird als Partei wahrgenommen, die mal nach links, mal nach rechts kippt, um Lösungen zu ermöglichen. Sogar bei den anderen Parteien: Die SP und Grünen auf der einen und die FDP und die SVP auf der anderen Ratsseite erwarten geradezu, dass wir letztendlich dann schon noch einlenken, um eine Vorlage vor dem Scheitern zu bewahren. Damit muss Schluss sein: Wir sollten uns nicht mehr bis zur Unkenntlichkeit verbiegen lassen, um Geschäfte zu retten.

Keine andere Partei gehört im Parlament derart oft zu den Siegern wie die CVP. Ist das nichts wert?
Nicht nichts, aber wenig. Uns ist es zuweilen derart wichtig, im Parlament zu den Gewinnern zu gehören, dass niemand mehr unsere Identität und unser Profil hinter den Lösungen erkennt. Es gibt Stimmen, die sagen, die CVP müsse sich als Brückenbauerin besser vermarkten. Ich sage: Wir müssen nicht unsere Siege besser verkaufen, sondern in Kauf nehmen, weniger zu gewinnen. Die SP und die SVP verlieren im Parlament ständig – aber erfolgreich sind sie. Uns fehlt der Mut zur Niederlage.

Statt mutig agiert die CVP dilettantisch: Für Schlagzeilen sorgt sie vor allem mit internen Streitigkeiten.
Flügelkämpfe gibt es in jeder Partei, auch in den Polparteien SP und SVP. Problematisch wird es, wenn der Eindruck entsteht, eine Partei sei unberechenbar und agiere nicht geschlossen.

Dieser Eindruck besteht.
Leider kann ich diesen Eindruck nicht von der Hand weisen. Wenn Mitglieder unserer Fraktion so kurz vor den Wahlen Einzel- über Parteiinteressen stellen, ist das gravierend.

Sie sprechen von Fraktionschef Filippo Lombardi, der der Partei wiederholt in den Rücken gefallen ist mit Aussagen, die Abwahl Christoph Blochers sei ein Fehler gewesen und Eveline Widmer-Schlumpf gehöre abgewählt. Nervt Sie das?
Wenn ein gewöhnlicher Parlamentarier so spräche, wäre dies nicht gleich zu gewichten, wie wenn dies ein Fraktionschef tut. Selbstprofilierungen schaden der Partei. Sie wirken nicht integrativ, sondern befeuern Flügelkämpfe.

Ist Lombardi als Fraktionschef überhaupt noch tragbar?
(Überlegt lange). Lombardi ist ein Animal politique, er verfügt über viel Erfahrung und politischen Instinkt. Grundsätzlich ist er ein Gewinn für die Partei.

Lombardi und Nationalrat Gerhard Pfister, der Nachfolger des im Frühling 2016 abtretenden Präsidenten Christophe Darbellay werden will, möchten die CVP auf Rechtskurs trimmen.
Es ist zu früh, um über Personen zu sprechen. Nach den Wahlen müssen wir uns fragen, in welche Richtung sich die CVP entwickeln soll. Und abhängig davon sollten wir unser Führungspersonal auswählen. Dieses sollte keine eigenen politischen Ambitionen verfolgen, sondern ausschliesslich das Wohl der Partei.

Wie soll sich denn die CVP in der nächsten Legislatur positionieren?
Wir müssen uns zwischen einer sozialliberalen und einer wertkonservativen Ausrichtung entscheiden und dann diese Haltung konsequenter vertreten, um unser Profil zu schärfen. Persönlich wünschte ich mir eine wertkonservativere Haltung. Dies entspräche unserer christlichen Grundhaltung, die Patriotismus mit der Einsicht verbindet, dass die Schweiz keine Insel ist und wir uns Abschottung nicht leisten können.

Sie sind gemässigter als Pfister und eher fähig, die zerstrittene Partei zu einen. Und als Verwaltungsratspräsident der Rhätischen Bahn verfügen Sie über die nötige Führungserfahrung. Können Sie sich vorstellen, CVP-Präsident zu werden?
Ich bin Präsident der Bündner Kantonalpartei, das genügt mir. An der nationalen Spitze sind junge Kräfte gefordert. Ein 55-Jähriger kann der CVP nicht das Terrain für die Erfolge von morgen bereiten. Wir brauchen keinen Übergangspräsidenten, der den Niedergang der CVP verwaltet, sondern eine prägende Figur, welche für eine Neuausrichtung der Partei einsteht.

Nicht nur die CVP, auch die BDP dürfte mehr als ein Prozent verlieren. Müssen sich diese beiden Parteien nach den Wahlen noch einmal zusammenraufen?
Dies ist zwingend notwendig, wenn wir nicht nur zwei Parteien in unserem Land wollen, sondern auch eine starke Mitte, welche die beiden Pole mässigt. Seien wir ehrlich: Es gibt kaum Unterschiede zwischen der BDP und der CVP. Beiden ist beispielsweise die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ein zentrales Anliegen.

Historisch gibt es konfessionelle Unterschiede.
Ich finde es schade, dass noch immer konfessionelle Wände aufgebaut werden. Historisch mag das zwar zutreffen. Aber heute ist die CVP kaum mehr christlicher als andere Parteien. Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, diese Wände aufrechtzuerhalten. Sonst entwickelt sich unser System mittelfristig zu einem Zwei-Parteien-System.

Hat die Zusammenarbeit in der Mitte in der zu Ende gehenden Legislatur zu wenig gut funktioniert?
Sie hat überhaupt nicht funktioniert. Es gab viele Eitelkeiten und Selbstinszenierungen, die wichtiger waren als eine gestärkte Mitte – in der FDP und BDP genauso wie bei uns.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Diskussionen um die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative zeigten, was passiert, wenn sich die Mitte nicht einigen kann. Die Linke und die Rechte haben uns in einer Nacht-und-Nebel- aktion übertölpelt – ein solcher Vorgang müsste uns doch die Augen öffnen.

Hat die politische Mitte bestehend aus GLP, CVP, BDP und FDP den Anspruch auf drei oder vier Bundesratssitze?
Dies hängt davon ab, ob sich die Mitteparteien noch vor den Bundesratswahlen von Mitte Dezember auf Legislaturziele einigen können und diese verlässlich vereinbaren. Solange dies nicht gelingt, machen die Polparteien SP und SVP zurecht geltend, aufgrund ihrer Grösse Anspruch auf je zwei Sitze zu haben. Die Mitte muss nun einen Schulterschluss wagen – einen Schulterschluss notabene, der länger Bestand hat als der im Frühjahr schon nach wenigen Wochen gescheiterte bürgerliche Schulterschluss der CVP, FDP und SVP.

Um gegen die Rechte und die Linke zu bestehen, muss sich die Mitte vereinen, sagen Sie. Schwebt Ihnen ein 3-Parteien-System vor?
Darauf läuft es hinaus. Und ich fände das auch nicht schlimm – solange der Lead bei der CVP ist ... (lacht)

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