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«Dreckkinder müssen draussen bleiben»

Digitale Eskapaden – eine Kolumne von Romana Ganzoni*.

Südostschweiz
29.11.15 - 17:33 Uhr
Ereignisse

Ich wusste schon vor einigen Jahren, «da draussen» gibt es den Planeten Gian-Marco Schmid, einer seiner Trabanten heisst Gimma und rappt, und wenn der rappt, wenn der spricht und lacht, werden alle lebendig, auch die, die ihn kaum aushalten – oder sich selbst im Zustand des Lebendigseins nicht aushalten. Irgendwann begriff ich: Der Typ zieht seine Kreise in der Region Chur. Er hat wohl keine Flügel, eher Flossen und viele Instrumente, manche sind sehr laut. Er schlägt um sich. Unflätig. Kräftig. Verschleisspoesie, die am Strassenrand scheppert – und zündet.

Mit ihrer Vitalität? Verzweiflung? Die Kombination? Und da ist noch eine Zutat, das geheime Spezialkraut, wie im Märchen. Aber welches? Eines, das meine Gerichte würzt und wärmt. Und diese Ruhe, die den Wilden begleitet, sie behaust sich in seiner Radiosprecher-­Stimme, in seiner reichen, frischen Sprache, im endlosen Lachen, das zu ­dieser Sprache gehört. Seinen Blick sah ich viel später. Zwischendurch begegnete mir der Planet auf dem Internet. Keine Ahnung, worum es ging. Um nichts. Um alles. Ich weiss nur: Es liess mich nicht kalt. Das war vor vier Jahren.

Ich las seine freche Kolumne in der «Südostschweiz». Ich war sicher, die überlebt nicht, da wird es Haue hageln. Irgendwann fand ein Clip auf Youtube zu mir. Gimma wird in der Irrenanstalt umhergekarrt. So stelle ich mir Welt­reisen vor. Dann las ich den Wikipedia-Eintrag. Aha. Ich folgte ihm auf Twitter. Er folgte zurück. Ich schickte ihm eine Erzählung, die mir am Herzen lag. Er mochte sie. Und ich mochte seine Texte im «Blick am Abend», das Unverbrauchte. Unerhört. Weit ausserhalb der Hierarchie gebildeter Leute, die sich verständigen auf das, was oben anzusiedeln ist und das, was als Trash und indiskutabel gelten muss, ausgehandelte Konvention, ab und zu kommt ein Stinker dazu, aber die richtigen armen Dreckkinder? Müssen draussen warten. Ergreift halt die Flucht, ihr Kultivierten! Ich verüble es niemandem. Aber ich muss stehen bleiben, die tätowierte Hand betrachten.

Letztes Jahr fuhr ich mit dem Auto von Zürich nach Celerina. Im Heidi-Land stellte ich aus, schrieb Gian-Marco Schmid eine Direktmessage hinter der Twitterkulisse. Ich schrieb: Bist Du zu Hause? – Ja. – Kann ich kommen? – Ungünstig. Auf meinem Beifahrersitz lag eine Schachtel Pralinés von Sprüngli, Grand Cru, wilder Kakao. Ich hatte schon einige braune Luxus-Knollen herausgeklaubt und fast ganz geschluckt. Den Rest bring ich dem Gian-Marco, dachte ich und fuhr an Haldenstein vorbei, was ich erst in Bonaduz merkte. Ich fuhr zurück, stellte den Wagen beim Dorfbrunnen ab und fragte mich zu Gimma durch. Ich klingelte, und da stand er vor mir. Ich streckte ihm die zerzauste Praliné-Schachtel hin. Ein Geschenk. Er sagte, dass er an einem Buch arbeite, zusammen mit Gion Mathias Cavelty. Ich blieb nicht lange. Ich sah, der Mann ist gut. Er hat etwas vor. Er will überleben. Deshalb ist der Titel seiner Autobiografie falsch. «Hinter dera Maska isches dunke»l? Es ist hell.

* Romana Ganzoni ist freischaffende ­Autorin und lebt mit ihrer Familie in ­Celerina.

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