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Johannes Flury: «Wir können die Löhne nicht mehr bezahlen»

Das Hochalpine Institut Ftan schliesst per sofort die Türen. Anschlusslösungen für die Schüler gibt es, für die Lehrer hingegen nicht. Rektor Johannes Flury nimmt Stellung.

Südostschweiz
21.07.15 - 18:47 Uhr
Ereignisse

Die Schliessung einer derart traditionsreichen Schule, zentral für das Unterengadin, schmerzt überaus», schrieb der Verwaltungsrat des Hochalpinen Instituts Ftan gestern in einer Medienmitteilung. Die Gründe für die Einstellung des Betriebs sind zu wenig Schüler, zu wenig finanzielle Mittel und keine Aussicht auf Besserung. Im Interview liefert Verwaltungsratspräsident Johannes Flury die Details.

Herr Flury, noch vor einem Monat verkündete das Hochalpine Institut Ftan voller Zuversicht, dass die Schule alles daran setzen werde, eine gesicherte Zukunft zu bieten. Jetzt wird die Institution per sofort geschlossen. Wie kam es zu diesem überraschenden Entschluss?

Johannes Flury: Ich muss sagen, dass das Ganze auch für mich eine Art Niederlage darstellt. Ich denke, es war mit der sehr fähigen Schulleitung möglich, in den vergangenen Monaten Ruhe in das ganze Gebilde zu bringen und die Qualität der Schule hochzuhalten. Was aber nicht erreicht wurde, ist ein kleines positives Zeichen in Richtung Schülerzahlen. Die Gemeinden wären wahrscheinlich bereit für eine weitere Stützung der Schule gewesen, wenn sie irgendwelche Anzeichen von zunehmenden Schülerzahlen erhalten hätten. Jetzt ist genau das Gegenteil eingetroffen, weil eine grosse Maturaklasse das Haus verlassen hat. Jetzt sind wir an einen Tiefpunkt angelangt, sowohl bei den Schülern im Tal als auch im Internat.

Was heisst das konkret in Zahlen?

Es sind unter 90 Schüler, davon 28 Interne. Das hätte allein für das kommende Jahr einen Finanzbedarf von mindestens 1,5 Millionen Franken zur Folge gehabt. Es gibt zudem keine Aussichten darauf, dass sich die Situation im nächsten Jahr verbessern würde. Die Region musste sich irgendwann fragen: Wollen wir das HIF auf Dauer mit beachtlichen Beträgen unterstützen?

Die Pro Engiadina Bassa hat ja eine Analyse zum Hochalpinen Institut Ftan gemacht. Welche Rolle spielten die Zwischenergebnisse, die jetzt vorliegen?

Die Zwischenergebnisse haben dazu geführt, dass ich das Gefühl hatte: Jetzt müssen wir reagieren. Es wurden verschiedene Modelle mit variierenden Schülerzahlen angefertigt. Das Fazit ist: Mit einem Finanzbedarf von ungefähr einer Million Franken müsste man auf Dauer bei jeder Variante rechnen. Auf zwei, drei Jahre hinaus wären es sogar 1,5 Millionen Franken. Dafür war in der Region die Unterstützung nicht mehr vorhanden.

Hätte man nicht eine Volksabstimmung verlangen können?

Sie müssen sich vorstellen, wenn wir jetzt eine Vorlage gemacht hätten und diese im Herbst vors Volk gekommen wäre, hätte schon nur diese Nachricht den Verlust der Hälfte der Schüler bedeutet. Eine Schule ist extrem auf Vertrauen angewiesen. Man kann eine Schule, die nicht öffentlich ist, nicht langsam schliessen. Sobald das erste Wort in diese Richtung fällt, sind die Schüler weg.

Die Entscheidung fiel extrem kurzfristig. In einem Monat hätte das neue Schuljahr angefangen. Was passiert jetzt mit den Schülerinnen und Schülern?

Ich habe für die Schüler eigentlich am wenigsten Angst. In den letzten vier, fünf Tagen habe ich Gespräche mit allen umliegenden Schulen geführt und die Bereitschaft, unsere Schüler aufzunehmen, ist sehr gross, inklusive bei der Kantonsschule. Bei den Schülern werden wir Anschlusslösungen für alle finden. Das Lyceum Alpinum in ­Zuoz, die Academia Engiadina in Samedan, die Evangelische Mittelschule in Schiers und die Schweizerische Alpine Mittelschule Davos haben alle noch Kapazitäten im Internat.

Es gibt Familien, bei denen liegt ein Internat finanziell nicht drin.

Auch da hat der Kanton gesagt, dass eine Unterstützung zugesichert werde. Ich war am Montag bei Martin Jäger und ich darf mitteilen, dass die finanzielle Situation keine Rolle spielen soll.

Was geschieht nun mit den Lehrern und dem übrigen Personal?

Das ist schwierig. Die Situation ist nicht so, dass wir überschuldet wären, sondern, dass wir laufend in ein Liquiditätsproblem hineinlaufen. Alles Geld, welches die Schule hat, steckt im Schulgebäude. Wir können per Ende Oktober die Löhne nicht mehr bezahlen. Deshalb müssen wir an der aussergewöhnlichen Generalversammlung eine sogenannte Insolvenzerklärung vorschlagen. Bevor wir mit diesem Vorschlag zu den Aktionären gehen, wollte ich aber die Eltern und Mitarbeiter informieren. Ich wollte wenigstens den ordentlichen Weg beschreiten.

Laut Ihrer Medienmitteilung sind die liquiden Mittel derart knapp, dass kein Sozialplan möglich ist. Wie viele Personen sind betroffen?

Es sind im Ganzen 52 Angestellte, wovon 15 Personen ein Pensum mit mehr als zehn Lektionen haben. Das entspricht etwa einem 40-Prozent-Pensum. Dazu kommen Internatsmitarbeiter und Sporttrainer und alle weiteren Mitarbeiter im Haus. Für unsere Mitarbeiter war das kantonale Amt für Arbeit schon hier, um über Insolvenzentschädigungen, Arbeitslosenversicherung etc. zu informieren. Am schwierigsten wird es für die Grenzgänger sein, die die Arbeitslosenentschädigung nicht nach schweizerischem Recht beziehen, also für die Österreicher und Italiener.

Haben Sie, als Sie im Januar Ihr Amt als Verwaltungsratspräsident angetreten haben, gewusst, wie prekär die finanzielle Situation wirklich war?

Nein, weil da kamen wir noch mit Unterstützung in der Höhe von 600'000 Franken aus. Aber eben, die Schülerzahlen sahen damals noch ganz anders aus, und wir haben noch von den Reserven gelebt. Diese sind jetzt aufgebraucht.

Die letzte negative Mitteilung im Zusammenhang mit dem Institut war der Verlust des Labels Swiss Olympic Sport School. Welche Rolle spielte diese Wendung bei der Betriebsschliessung? Hatte das eine überhaupt irgendeine Bedeutung?

Niemand ist deswegen gegangen, aber es ist natürlich klar, dass die ganze Marketingsituation durch diesen Label-Verlust schwieriger geworden ist. Es ist für mich auch typisch, dass die Eltern, die jetzt am Telefon am hilflosesten sind, Eltern mit Kindern in der Sportklasse sind.

Gehen diese Schüler jetzt nach Davos?

Davos wäre eine Variante, Samedan auch. Bei den Sekundarschülern wäre zudem auch eine Kombination zwischen Samedan und der Talentschule Champfèr möglich.

Seit zwei Jahren heisst es, das Hochalpine Institut Ftan arbeite an einer neuen Strategie. Was ist eigentlich aus dieser Strategie geworden?

Einerseits lief uns für die Erarbeitung und Umsetzung der Strategie die Zeit davon. Und dann braucht es Geld und Zeit, bis die neue Strategie eingeführt werden kann. Diese zwei bis drei kostspieligen Jahre können wir nicht finanzieren.

Was ist mit dem Kanton? Gibt es von dieser Seite her keine Unterstützung?

Nein. Der Kanton zahlt genau das, was im Mittelschulgesetz vorgegeben ist. Das revidierte Mittelschulgesetz ist zwar grosszügiger, wir mussten jetzt aber feststellen, dass das Mittelschulgesetz ein Schönwettergesetz ist. Es gibt keinen einzigen Paragrafen, wo der Kanton im Falle eines Notfalls reagieren könnte. Wir haben alles versucht, aber es gibt keine gesetzlichen Grundlagen für unseren Fall.

In Ihrer Medienmitteilung schreiben Sie: «Wenn bis zur ausserordentlichen Generalversammlung keine Lösung in letzter Minute auftaucht ...» Gibt es denn noch einen Hoffnungsschimmer?

Rein rechtlich darf der Verwaltungsrat die Insolvenz nicht beantragen, das muss die Generalversammlung machen. Aber wenn ich zur Generalversammlung mit diesem Traktandum, einlade, sind die Schüler schon weg. Faktisch greifen wir der Generalversammlung massiv vor. Bis die Generalversammlung Ende August stattfinden wird, ist das Haus leer.

Eine schulische Zukunft ist also utopisch?

Eine schulische Zukunft gäbe es nur, wenn jemand mit acht bis zehn Millionen Franken kommen würde und das Haus von Grund auf anders aufbauen würde. Aber wir haben unsere Möglichkeiten sondiert und sehen keine Zukunft mehr für das Hochalpine Institut Ftan. Ein Appell an die Gemeinden ist von meiner Seite, dass sie sich jetzt überlegen müssten, wenigstens das Haus in den eigenen Händen zu behalten. Sonst kommt es zu einer konkursamtlichen Versteigerung, und irgendjemand würde diese Möglichkeit bestimmt nutzen. (Fadrina Hofmann)

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