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Löwenstark im Leoland: Von einem besonderen Jungen und einem besonderen Raum

In Chur eröffnete ein Bewegungsraum für Kinder mit und ohne Behinderung.

Bündner Woche
06.05.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Freude an der Bewegung: Der sechsjährige Leandro ist Namensgeber für das Leoland.
Freude an der Bewegung: Der sechsjährige Leandro ist Namensgeber für das Leoland.
Cindy Ziegler

von Cindy Ziegler

Leandro ist ein besonderer Junge. Die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. Besonders, wenn er über den Kindergarten, den «Kindi», spricht. Er freut sich, dort ab Sommer zu den Grossen zu gehören. Sein feuerroter Rollstuhl ist im Gang parkiert. Hier drin, im Leoland, braucht er ihn nicht. Er krabbelt über eine Rampe in eine Höhle. Sein Lieblingsplatz, erklärt der Sechsjährige. Auf das Warum hat Leandro eine einfache Antwort: «Weil ich mich hier drin gut verstecken kann», sagt er und lacht hörbar. Seine Eltern, Manuela und Carsten Göhler, schauen ihrem Kind zu. Und auch sie lachen. Das Leoland ist ein Herzensprojekt, das ihnen als Familie guttut. Es ist ein Ort, den sie früher selbst gebraucht hätten und damals nicht gefunden haben.

Üben, was andere einfach können

Nach der Geburt von Leandro stellen seine Eltern schnell fest, dass etwas nicht stimmt. Nach unzähligen Abklärungen und Operationen dann die Gewissheit:Leandro hat einen seltenen Gendefekt. Er leidet an einer PIEZO 2 Mutation. Diese Art von Muskelatrophie führt dazu, dass der Junge keine Reflexe und auch keinen Lagesinn hat. «Die Bewegungen, die Kinder normalerweise natürlich lernen, muss Leandro bewusst üben», erklärt seine Mama. «Um etwas zu tun, ohne darüber nachzudenken, braucht es 1000 Wiederholungen. Jedes Spiel und jede Aktivität bei uns zu Hause hat deshalb einen Hintergedanken. Leandro muss viel. Und darum soll ihm das Müssen wenigstens Spass machen», erklärt sie. Irgendwann soll Leandro laufen können. Ob und wann das so weit sein wird, weiss niemand. Es gibt keine Studien dazu. «Aber eines ist sicher. Er wird Kraft brauchen. Kraft, die er unter anderem hier drin aufbauen kann», sagt Vater Carsten Göhler.

Hier drin. Das ist im Leoland. Ein Bewegungsraum für Kinder im Krabbelalter bis etwa sechs Jahre. Wir schauen uns um. Rutschen. Klettergerüst. Schwebebalken. Oder was auch immer durch die Fantasie der Kinder daraus wird. Höhlen, Burgen oder ein Pferd zum Reiten zum Beispiel. Leandro hat mittlerweile eine Schaumstoffbrücke umgedreht und sich hineingesetzt. «Zum chilla», erklärt er.

 

Leandro krabbelt über eine Rampe in eine Höhle. Sein Lieblingsplatz, erklärt der Sechsjährige.
Leandro krabbelt über eine Rampe in eine Höhle. Sein Lieblingsplatz, erklärt der Sechsjährige.
Cindy Ziegler

Ein Raum für alle

Seit er klein ist, wird er therapiert. In der Ergo- und Physiotherapie, aber auch zu Hause. «Wir haben die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Weil es eben einen solchen Bewegungsraum in der näheren Umgebung nicht gab. In unserer 3,5-Zimmer-Wohnung kamen wir schnell an Grenzen», erzählen die Eltern. Und so sei schon vor zwei Jahren aus der Not eine Vision von einem besonderen Raum entstanden. Doch die Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit stellte sich schwieriger heraus als gedacht. Die Anforderungen? Eine hohe Decke und rollstuhlgängig oder zumindest barrierearm müssten die vier Wände sein, die zum Bewegungsparadies werden sollten. Fündig wurden die Göhlers schlussendlich im Innovationszentrum «liug» an der Churer Sommeraustrasse.

Noch sind erst wenige Räume im Zentrum belegt, schon bald aber wird sich das Gebäude mit Leben füllen. Und so auch das Leoland. Dieses soll ein Raum für alle sein. Für Kinder mit und ohne Behinderung, aber auch einer für die Eltern. Ein gemütlicher Holztisch im Eingangsbereich lädt zum Austausch. «Uns ist das wichtig», erklären Manuela und Carsten Göhler. Auch hier geht es darum, dass das Leoland ein Raum sein soll, den auch sie gebraucht hätten. Als Familie mit einem Kind, das eine Behinderung hat, haben sie gespürt, wie sie sich zurückzogen. Einerseits, weil ihnen zwischen den ganzen Therapien schlicht die Zeit für anderes fehlte, aber auch, weil es ihnen oft zu schnell zu voll war. Dazu kommt, dass viele Spielplätze nicht gemacht sind für Kinder, die wie Leandro krabbeln. «Ein Kind im Rollstuhl fällt zudem auf. Viele Kinder und Erwachsene irritiert das. Wir wünschen uns, dass Inklusion immer mehr zur Normalität wird. Und dass die Kinder untereinander Kontakt aufnehmen und nicht nur von ihren Eltern gesagt bekommen, sie sollen nicht hinschauen», erklärt Manuela Göhler.

 

Ein Raum für alle: Carsten und Manuela Göhler haben einen Bewegungsraum für Kinder mit und ohne Handicap geschaffen – auch für ihren Sohn Leandro.
Ein Raum für alle: Carsten und Manuela Göhler haben einen Bewegungsraum für Kinder mit und ohne Handicap geschaffen – auch für ihren Sohn Leandro.
Cindy Ziegler

Manuela und Carsten Göhler führen durch das Leoland. Sie zeigen die Geräte und erklären, was sie bei der Anschaffung bedacht haben. Dass sie irgendwann im Therapiebereich für Kinder landen, hätten beide nicht gedacht. Und doch haben sie aus ihrer Situation das Beste gemacht und nie aufgegeben. Genauso wenig wie der Namensgeber des Bewegungsraums. Leandro ist fertig mit «Chilla» und zum nächsten Gerät gekrabbelt. Dort stapelt er nun Schaumstoffschalen aufeinander. Die Kinder sollen genau das hier tun. Sich austoben, spielen und sich bewegen. «Wir stellen eine Basis auf und wissen nicht, was daraus wird. Schon nach wenigen Minuten sieht der Raum jeweils ganz anders aus. Aber das ist gut so», meint Carsten Göhler, der den Raum meist betreut. Wichtig ist, zu sagen, dass die Initiantin und der Initiant wohl das Leoland betreuen, nicht aber die Kinder, die sich darin austoben. Zu den Öffnungszeiten darf man ohne Anmeldung kommen, bezahlt wird pro Stunde Aufenthalt. Der Raum kann aber auch exklusiv gemietet werden – für Therapien, Krabbelgruppen oder Kindergeburtstage beispielsweise.

Bewegung spielt im Leben der Göhlers eine grosse Rolle. Seit Leandro da ist, umso mehr. Das Wichtigste, das die drei im Umgang mit Leandros Einschränkung gelernt haben, ist, den Spass nie zu verlieren. Im Leoland soll deshalb alles möglich sein, was Raum und Geräte hergeben. Und wenn Leandro oder ein anderes Kind mal hinfallen, dann passiert nichts. «Ausserdem profitieren die Kinder voneinander. Denn sie schauen sich ab und werden so mutiger und mutiger», meint Carsten Göhler abschliessend. Löwenmutig und löwenstark. So wie Leandro und sein Charaktertier. An der Kletterwand animiert ein grosser Löwe mit freundlichem Gesicht zusammen mit anderen Tieren zur Bewegung.

Das Leoland befindet sich an der Sommeraustrasse 30 in Chur und ist von Montag bis Freitag jeweils von 13.30 bis 18 Uhr geöffnet. Am Samstag empfängt das Leoland Kinder und ihre Betreuungspersonen von 10 bis 18 Uhr. www.leolandchur.ch

 

Spielen, toben, bewegen: Im Leoland sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Spielen, toben, bewegen: Im Leoland sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Cindy Ziegler
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