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Dok «Wir waren Kumpel» über das Ende des Bergbaus und Klischees

Der Dokumentarfilm «Wir waren Kumpel» begleitet fünf Bergbauleute in der Zeit vor und nach der Schliessung des letzten deutschen Steinkohlebergwerks. Ein Gespräch mit Co-Regisseur Christian Johannes Koch über Klischees und die Wahrheit in Doks.

Agentur
sda
11.04.24 - 07:00 Uhr
Kultur

Eigentlich sprach kaum etwas dafür, dass der schweizerische Regisseur Christian Johannes Koch einmal mit der einzigen, speziell für diesen Zweck angefertigten Kamera, mit den letzten Bergmännern ins letzte deutsche Steinkohlenbergwerk hinabsteigen sollte. So kam es aber dann doch. Gerade das sei das Spannende beim Dokumentarfilm, sagte Koch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Man stösst ständig auf Themen, von denen man denkt, dass sie einen überhaupt nichts angehen. Bis man dann sieht, dass sie dies auf verschiedensten Ebenen eben doch tun.»

Einen klassischen Bergmannsfilm hatten er und sein Deutscher Co-Regisseur Jonas Matauschek mit «Wir waren Kumpel» nie im Sinn. Im Fokus sollten für einmal nicht, wie so häufig, die Aufsichtspersonen der verschiedenen Bergwerksabschnitte stehen, sondern Arbeiterinnen und Arbeiter, die den Untertagebau als Ganzes repräsentieren. «Wir waren Kumpel» läuft ab heute in den Deutschschweizer Kinos.

In der Dokumentation kommen deshalb Garderobenverantwortlicher Thomas, der in 42 Jahren noch nie unter Tage gewesen war, zu Wort, oder das Kumpelduo Locke und Langer, das sich nach der Schliessung des Bergwerks mit verschiedenen Sinn- und Identitätsfragen konfrontiert sehen. Mit Martina, die seit ihrer Geschlechtsangleichung die einzige Bergfrau Deutschlands ist, und dem Zugführer Kiri aus Sri Lanka, der von seinen Mitarbeitern Jim Knopf genannt wird, ist das Ensemble komplett.

Filmen unter Zeitdruck

Als Koch nach seinem ersten Besuch im Bergwerk, nur wenige Jahre vor dessen Schliessung beschloss, einen Dokumentarfilm zu drehen, wusste er, dass er sich beeilen muss. «Das ist ebenfalls spannend beim Dokumentarfilm: Man beginnt schon zu drehen, während man den Stoff noch entwickelt.» Für ihn und Matauschek war klar, dass sie den Film nicht nur über, sondern zusammen mit den Bergleuten machen wollten. «So entstand während des Prozesses, der insgesamt vier Jahre gedauert hat, ein grosses Vertrauen.»

Dadurch können Reflexionsprozesse beobachtetet werden, etwa zur Frage der persönlichen Verantwortung. Man sieht im Film, wie Langer am Küchentisch vom politisierten Sohn mit den Verbindungen seiner Arbeit mit der Klimakrise konfrontiert wird. «Insbesondere Langer stellte sich immer mehr Fragen - und merkte dann, dass ihn sein neuer Job als Busfahrer sich viel mehr als Teil der Gesellschaft fühlen lässt als seine Identität als Bergmann», sagte Koch.

Wahrhaftigkeit statt Wirklichkeit

Auf die dokumentarische Methode angesprochen, und ob sich in Wirklichkeit immer alles so abgespielt hätte, als ob keine Kamera dabei gewesen wäre, antwortete Koch, dass die sogenannte «Wirklichkeit» etwas Subjektives sei. «Mir geht es eher um Wahrhaftigkeit.» Die Hauptanforderung an eine Szene sei für ihn, dass sie der Dynamik zwischen den Figuren entspricht. Es gibt da im Film etwa jene Szene, in der Langer, der oft verschläft, zu spät zum allmorgendlichen Treffen mit Locke erscheint. «Da er wusste, dass wir mit der Kamera auf ihn warten, wäre er an jenem Morgen garantiert pünktlich erschienen. Also haben wir ihm einfach eine spätere Zeit angegeben.»

Erst die kleine Manipulation macht die authentische Reaktion von Locke, der sich über die «typische» Verspätung seines Kollegen ärgert, überhaupt möglich. Dafür gab es andere Dinge, die zwar der Wirklichkeit entsprechen, aber aus dem Film herausgeschnitten werden mussten, «weil es uns niemand geglaubt hätte.» Etwa, dass das konstante Surren im Bergwerk nicht etwa von Maschinen stammt, sondern von Grillen, die sich von den Essensresten der Arbeiter ernähren und sich im feuchten, beinahe südländischen Klima des Stollens sehr wohl fühlen. «Die Welten passten da einfach nicht zusammen.»

Ruppigkeit als Performance

Diese letzte Aussage passt dann auch zu der Frage, wie relevant die Schliessung des letzten Steinkohlenbergwerks im Münsterland und das Schicksal von dessen Arbeiterinnen und Arbeiter noch ist. Vor allem wenn Koch betont, wie anachronistisch ihm diese Welt vorkam, fast wie ein Museum. «Da drinnen fühlt es sich an, wie wenn man aus einer Zeitmaschine tritt. Zum Beispiel auch das Bild von Männlichkeit, das da vermittelt wird. Wenn man aber Zeit mit diesen Leuten verbringt, merkt man schnell, dass der ruppige Umgangston zum Beispiel einfach Teil einer Performance ist.»

Erstaunt war Koch auch darüber, wie offen man im Bergwerk mit Martinas Transition umgegangen sei, oder wie akzeptiert jemand offensichtlich fremdländisches wie Kiri ist. Auch wenn das am Anfang vielleicht irritierend sei, dass er Jim Knopf genannt wird, «war das einfach ihre Art, ihn zu integrieren.» Jedenfalls sei er ziemlich allergisch auf das Bild, das in gewissen Kreisen, zu denen er als Kunstschaffender auch gehöre, von den «einfachen» Arbeiterinnen und Arbeiter herrscht. Mit «Wir waren Kumpel» gelingt es ihm und seinem Co-Regisseur nicht zuletzt, genau dieses Bild zu hinterfragen.

*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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