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Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen

Michael Schmidt-Salomon gilt als einer der einflussreichsten Philosophen und Schriftsteller im deutschen Sprachraum. Nun kommt er mit seinem neusten Buch «Die Grenzen der Toleranz» nach Chur. 

Südostschweiz
30.11.16 - 19:31 Uhr
Kultur

von Mathias Balzer 

«Wofür es sich zu streiten lohnt» lautet eine der Kapitelüberschriften im neuen Buch «Die Grenzen der Toleranz» von Michael Schmidt-Salomon. Der deutsche Philosoph liefert zur Frage gleich ein anschauliches Beispiel, was übrigens ein Markenzeichen all seiner Bücher ist: komplexe ethische Fragestellungen für eine breite Leserschaft herunterbrechen, ohne den Inhalt zu verflachen. Schmidt-Salomon gelingt es, die Philosophie wieder als taugliches Instrument zur Beantwortung aktueller Fragen zu etablieren. Seine 2012 erschienene Streitschrift «Keine Macht den Doofen» konnte eine junge Leserschaft für ethische Fragen in Sachen Religion, Ökonomie und Politik begeistern. 

Die offene Gesellschaft

Aber zurück zum Beispiel aus seinem neusten Buch: Im Januar 2016 besuchte Hassan Rohani, der Präsident Irans, Rom. Um ihren «Respekt gegenüber dem Glauben des Präsidenten zum Ausdruck zu bringen» veranlasste die italienische Regierung, dass die nackten Statuten auf dem Kapitol verhüllt wurden. Schmidt-Salomon führt diese Verhüllungsaktion als Beispiel dafür an, wie europäische Regierungen mitunter die Werte unserer offenen Gesellschaft verleugnen. 

Um eben diese Werte geht es dem 49-jährigen Philosophen. Schmidt-
Salomon liefert mit seinem neusten Buch das argumentative Handwerkszeug, um die Prinzipien der offenen Gesellschaft zu verteidigen. Er sieht die westlichen Gesellschaften im Zeitalter des «Empörialismus» angekommen, in welchem «Demagogen mit halben Wahrheiten ganze Erfolge feiern». «Stimmung statt Argumente» heisse die Devise unserer Tage. Die differenzierte Argumentation, die für die Verteidigung der Werte der offenen Gesellschaft dringend nötig ist, wird laut Salomon-Schmidt durch die gegenwärtige Polarisierung der politischen Diskussion verunmöglicht.  Denn Polarisierung erlaube im Grunde nur die Wahl zwischen «Pest und Cholera» und biete bloss auswegslose Szenarien zur Wahl: «Rettung des christlichen Abendlandes» oder «Islamisierung Europas», «Respekt für jeden» oder «Abdriften in einen neuen Faschismus».

«Die Gefahr, die von diesem ‘Empörialismus’ ausgeht, ist, dass er mit den Spielregeln des zivilisierten Widerstreits bricht», schreibt Schmidt-Salomon. Den Antreibern der Polarisierung fehle es an Toleranz, an der Fähigkeit «störende, beziehungsweise verstörende Formen des Andersseins ertragen zu können».

Genau um diese Fähigkeit geht es dem Autor. Tolerant zu sein, meint keineswegs ein «Anything Goes», sondern fordert uns heraus, klare Grenzen zu ziehen, «Kante zu zeigen», wie es Salomon-Schmidt formuliert. 

Entlang der aktuellen Islamdebatte und anhand einer kurzen Geschichte der Toleranz führt der Autor seine Leser zu einer zentralen Unterscheidung: Tolerieren heisst noch lange nicht akzeptieren. Tolerieren bedeutet «aushalten». Akzeptieren bedeutet, etwas gutzuheissen. 

Salomon-Schmidts Beispiel dazu: Ein rational denkender Mensch kann durchaus tolerieren, dass der Kreationist meint, die Erde sei zu einem Zeitpunkt entstanden, als unsere Vorfahren bereits Bier brauten. Akzeptieren muss er die Wahnidee des Kreationisten jedoch nicht. Aber der entscheidende Punkt ist: In einer offenen Gesellschaft müssen beide akzeptieren, dass der jeweils andere ihn kritisiert, dass die Weltauffassung des einen, für den anderen vielleicht eine Beleidigung darstellt.

Diktierende Engel, nackte Götter

Salomon-Schmidt plädiert dafür, dass wir die anstrengende «Kultur des Streitens» wieder aktivieren, jenseits des «Empörialismus». Und dass wir immer wieder neu definieren, was es zu tolerieren und was es zu akzeptieren gilt. Nur dann können wir die Werte unserer Freiheit auch gegen aussen selbstbewusst verteidigen. 

Um auf den iranischen Präsidenten in Rom zurückzukommen: Wir sollten das Unrechtsregime in Teheran keinesfalls akzeptieren. Wir können jedoch tolerieren, dass Hassan Rohani an einen Propheten glaubt, der seine Glaubensregeln von einem Engel diktiert bekommen haben soll. Vom iranischen Präsidenten dürfen wir im Gegenzug erwarten, dass er toleriert, dass bei uns die alten Götter nackt auf der Strasse rumstehen.

Michael Schmidt-Salomon: Lesung aus «Die Grenzen der Toleranz». Mittwoch, 7. Dezember, 19.15 Uhr, Brandissaal, Chur. Apéro: 18.15 Uhr.

Schriftsteller, Philosoph und Ideengeber:

Michael Schmidt-Salomon, geboren 1967, ist Philosoph und Schriftsteller sowie Vorstandssprecher der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. Mit Büchern wie «Hoffnung Mensch», «Leibniz war kein Butterkeks», «Keine Macht den Doofen» und aktuell «Die Grenzen der Toleranz» erreicht Schmidt-Salomon eine grosse
Leserschaft. Der «Global Thought Leader Index» zählt ihn zu den «einflussreichsten Ideengebern im deutschsprachigen Raum». (bal) 

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