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Volk hat wohl nicht das letzte Wort

Am Freitag beschlossen National- und Ständerat das Überwachungsgesetz Büpf, das die Strafverfolgungsbehörden mit mehr Kompetenzen ausstattet. Das letzte Wort aber könnte das Volk haben – wenn sich die Gegner zu einem Referendum überwinden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Südostschweiz
18.03.16 - 13:56 Uhr
Politik

Büpf – was versteckt sich hinter diesem Begriff?

Was lautmalerisch an den «Bü-bü-Bündnerfleisch»-Lachanfall von alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz erinnert, heisst unabgekürzt Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Mit dessen Revision beschäftigte sich das Schweizer Parlament seit März 2014 – diese Woche nun hat es die Beratung beendet. Heute wird das Büpf endgültig beschlossen. Das neue Gesetz stattet Strafverfolgungsbehörden mit mehr Kompetenzen aus. Es soll Polizei und Staatsanwaltschaften Mittel in die Hand geben, um mit den technischen Neuerungen der jüngeren Vergangenheit Schritt zu halten.

Sie ist total umstritten, doch was ist unter Vorratsdatenspeicherung überhaupt zu verstehen?

Schon seit Anfang dieses Jahrtausends sind alle Anbieter von Post-, Telefon- und Internetdiensten verpflichtet, das Kommunikationsverhalten ihrer Kunden für sechs Monate aufzuzeichnen. Neu werden auch reine E-Mail-Provider sowie Hotels, Restaurants und Spitäler dazu verpflichtet. Die Datensammlung umfasst, wer wann wen angerufen hat und wie lange das Gespräch gedauert hat; wer sich wann ins Internet eingeloggt hat und wie lange man online war; wer wann wem eine Kurznachricht geschickt oder auf ein E-Mail-Postfach zugegriffen hat. Nicht gespeichert werden Inhalte von Telefongesprächen, SMS und Mails. Dagegen werden die Standortinformationen des Mobiltelefons gespeichert. Weil moderne Smartphones praktisch permanent mit dem Internet verbunden sind (selbst wenn nicht aktiv kommuniziert wird), können Strafbehörden mittels der aufgezeichneten Handyantennen zu nahezu jedem Zeitpunkt und auf wenige Meter genau protokollieren, wo sich der Handybenutzer aufgehalten hat.

Wie lange werden unsere Daten auf Vorrat gespeichert?

Bundesrat und Strafverfolgungsbehörden hatten gewünscht, Randdaten während zwölf Monaten aufzubewahren. Anfänglich hatten National- und Ständerat diesem Wunsch entsprochen, in den letzten Monaten aber sind sie hiervon wieder abgerückt. Nun werden die Daten weiterhin nur sechs Monate lang gespeichert. Damit versuchte das Parlament dem angedrohten Referendum den Wind aus den Segeln nehmen. Dieses aber wird womöglich trotzdem ergriffen.

Wann darf auf die auf Vorrat gespeicherten Daten zurückgegriffen werden?

Wenn immer der «dringende Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen» besteht. Vorratsdaten dürfen also nicht nur bei schwersten Straftaten verwendet werden, sondern auch bei Delikten wie einfachem Diebstahl oder einer Urheberrechtsverletzung.

Ist Vorratsdatenspeicherung nicht längst für illegal erklärt worden?

Tatsächlich: Alle europäischen Verfassungsgerichte, die Vorratsdatenspeicherungen zu bewerten hatten, stuften diese als unverhältnismässigen Eingriff in die Grundrechte ein. In den letzten sechs Jahren wurden sie in Rumänien, Deutschland, Tschechien, Österreich, Bulgarien und den Niederlanden verboten. Im April 2014 wurde wegen Unverhältnismässigkeit auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom Europäischen Gerichtshof ausser Kraft gesetzt. Bald wird sich auch ein Schweizer Gesetz damit befassen müssen: Der Verein Digitale Gesellschaft hat schon vor Jahren eine Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Diese ist am Bundesverwaltungsgericht hängig.

Die ganze Session über stritten National- und Ständerat über die konkrete Ausgestaltung des Büpf. Warum war letztlich gar eine Einigungskonferenz nötig, um das Gesetz verabschieden zu können?

Bis zuletzt beharrte der Nationalrat dank Stimmen von SVP, SP und Grünen darauf, die Telekomunternehmen zu verpflichten, die Randdaten ausschliesslich auf Schweizer Servern zu speichern. Nur hierzulande könne die Sicherheit dieser sensiblen Daten gewährleistet werden, hiess es. Erst am Dienstag konnten sich National- und Ständerat auf eine gemeinsame Position einigen – jene der kleinen Kammer. Personendaten dürfen nun auch im Ausland aufbewahrt werden. Gemäss Datenschutzgesetz allerdings nur in Ländern, in denen ein angemessener Schutz gewährleistet wird. Ob dies tatsächlich gewährleistet werden kann, ist ungewiss.

Büpf-Gegner stören sich nicht nur an der Vorratsdatenspeicherung. Woran nehmen sie sonst noch Anstoss?

Vor allem an sogenannten Staatstrojanern. In Zukunft dürfen Behörden bei konkretem Verdacht und auf Anordnung der Strafverfolgungsbehörden auf fremde Computer zugreifen: Sie installieren ein spezielles Programm, das alle Daten des betroffenen Computers abrufen und unter Umständen gar auf die Kamera zugreifen kann. Geschaffen wird zudem die Gesetzesgrundlage für den Einsatz sogenannter Imsi-Catcher. Dabei handelt es sich um Geräte zur Echtzeit-Überwachung der Handy-Daten in einem bestimmten Umkreis. Sie tarnen sich als Mobilfunkantenne, spähen aber alle Mobilfunkgeräte aus, die sich verbinden. Obwohl das bisherige Büpf keine ausdrückliche Gesetzesgrundlage für den Einsatz von Imsi-Catchern enthielt, weil diese bei dessen Entstehung noch gar nicht existierten, werden sie von den Kantonen schon heute eifrig eingesetzt.

Wird ein Referendum lanciert?

Eher nicht. Zwar zweifelt kaum jemand daran, dass das schon vor Jahren formierte Komitee der Büpf-Gegner imstande wäre, in den kommenden Monaten die notwendigen 50000 Unterschriften zu sammeln. Doch sagt der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter, Kopf des Nein-Komitees, allein schon die Referendumsdrohung habe das Schlimmste abgewendet. Gegen die Datenspeicherung im Ausland könne man auch mittels Revision des Datenschutzgesetzes oder gerichtlich vorgehen. «Der Aufwand, ein Referendum zu lancieren, ist beträchtlich», sagt Grüter. «Für uns ist er wohl zu gross.» Nächste Woche wird definitiv entschieden. Gegen das Büpf kämpfen Vereine wie Operationlibero, Grundrechte.ch und die Digitale Gesellschaft, aber auch alle Jungparteien mit Ausnahme der jungen CVP und BDP sowie die Piratenpartei und die Alternative Liste. Ideell unterstützen auch die Grünen den Kampf gegen das Büpf. «Wir beteiligen uns aber nicht aktiv an der Unterschriftensammlung für ein allfälliges Referendum», sagt Präsidentin Regula Rytz. Ihre Partei müsse die Kräfte bündeln – etwa für den Kampf gegen das noch gravierendere. Im Falle eines Referendums wird das Thema auch in SP und SVP noch einmal für erhitzte Debatten sorgen. Die Delegierten der Sozialdemokraten hielten einst fest, das Büpf bekämpfen zu wollen – die Fraktionsmitglieder aber verweigerten diesen Kampf mehrheitlich. Und in der SVP wollten noch am Mittwochmorgen Dutzende Nationalräte das Gesetz zu Fall bringen. Auf Kurs brachte sie erst ein mittäglicher Appell von Fraktionschef Adrian Amstutz und Nationalrätin Natalie Rickli, die Partei mache sich unglaubwürdig, wenn sie eine Vorlage bekämpfe, welche die Strafverfolgung stärke.

Welche Rolle spielt der Geheimdienst?

Zwar dient das Büpf vordergründig einzig der Aufklärung begangener Straftaten durch Strafverfolgungsbehörden sowie der Suche von Vermissten, während das Gebaren des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) im Nachrichtendienstgesetz (NDG) geregelt wird. Das Referendum gegen das NDG ist Anfang Februar zustande gekommen, im kommenden November oder Anfang 2017 ist die Stimmbevölkerung gefragt. Tritt das NDG in Kraft, wird es dem NDB zukünftig erlaubt sein, auf die mittels Vorratsdatenspeicherung gespeicherten Randdaten zuzugreifen. Allerdings muss er dies im Einzelfall beantragen.

Nachrichtendienstgesetz oder Büpf – welches der artverwandten Gesetze ist schlimmer?

Wie soll man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden, würden Kritiker sagen. Objektiv betrachtet erlaubt das NDG, das «präventive Überwachung» ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat regelt, stärkere Grundrechtseingriffe. Unter anderem ermöglicht es die sogenannte Kabelaufklärung, sprich das Durchforsten aller Datenströme, die von der Schweiz ins Ausland fliessen. Weil die meiste Internetkommunikation der Schweizer Bevölkerung über ausländische Server und Netzwerke führt, kann jedermann betroffen sein.

Wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu befürchten – stimmt das wirklich?

Nein. Durch dank Vorratsdatenspeicherung und Imsi-Catcher mögliche Rasterfahndungen können auch Sie ohne Weiteres unter Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben. Dann sind Sie gezwungen, Ihre Unschuld zu beweisen. Das Prinzip der Unschuldsvermutung wird ins Gegenteil verkehrt.

So überwachen Sie Ihr iPhone!

Gehen Sie zu den Einstellungen und scrollen Sie runter bis zur Leiste, die – der Gipfel der Absurdität – «Datenschutz» heisst. Klicken Sie drauf und dann auf «Ortungsdienste». Wenn Sie nichts an den Grundeinstellungen Ihres Geräts geändert haben, sind diese eingeschaltet (grün). Scrollen Sie nun bis ganz nach unten und klicken auf den letzten Begriff («Systemdienste»). Ungefähr in der Mitte der sich nun öffnenden Liste finden Sie die Leiste «Häufige Orte». Auch diese sind – wenn Sie nichts umkonfiguriert haben – eingeschaltet. Wenn Sie nun drauf klicken, zeigt Ihnen Ihr iPhone minutiös an, wo Sie sich in den vergangenen Monaten häufig aufgehalten haben. Klicken Sie auf einen der angegebenen Orte, wird gar bis auf wenige Meter genau aufgeführt, wo Sie sich aufhielten – inklusive Zeitangaben.Und was, wenn Sie nicht wollen, dass all die höchst privaten Daten aufgezeichnet werden? «Sie können ausschalten, dass Ihre ‚häufigen Orte’ aufgezeichnet werden», sagt IT-Unternehmer und SVP-Nationalrat Franz Grüter. «Nur nützt Ihnen das nichts: Zwar können Sie die Daten dann selbst nicht mehr abrufen. Doch an Apple gehen die Daten trotzdem.» (dbü)

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