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Wenn sich die Polizei nur noch mit der Pistole zu helfen weiss

Auf dem Parkplatz der Stadthalle Chur lief letzten Mittwoch eine Konfrontation zwischen zwei Polizisten, einem Mann und einer Frau gehörig aus dem Ruder: Ein Polizist feuerte gar einen Warnschuss auf den Boden ab. Nun stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit.

Südostschweiz
22.02.17 - 11:40 Uhr
Blaulicht
Auf dem Stadthallenareal lief der Streit aus dem Ruder. Bild Yanik Bürkli
Auf dem Stadthallenareal lief der Streit aus dem Ruder. Bild Yanik Bürkli

von Madleina Barandun

Ein von einem Beobachter gemachtes Handy-Video fand schnell den Weg an die Öffentlichkeit. Es zeigt einen Churer Stadtpolizisten, der vor der Stadthalle seine Waffe direkt auf einen pöbelnden Mann richtet und in der Folge einen Warnschuss in den Boden abgibt (siehe Kasten). Was der Auslöser der wüsten Szene war, gibt der Film nicht preis. Dennoch wirft er Fragen nach der Verhältnismässigkeit der polizeilichen Handlung auf. Zu dieser Frage wollten gestern weder die Kantonspolizei, die Stadtpolizei noch die Staatsanwaltschaft Graubünden etwas sagen. Ihr Schweigen begründeten sie mit dem Verweis auf das laufende Verfahren. Die Polizeiverantwortlichen verweigerten selbst die Auskunft darüber, wie oft in den 
letzten Jahren bei Polizeieinsätzen Schusswaffen abgefeuert wurden.

Zuerst kommt der Selbstschutz

Barla Cahannes, Präsidentin der Sektion Curia des Verbandes Schweizer Polizeibeamter, warnt davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: «Der Film ist eine Momentaufnahme. Der ganze Kontext wird nicht gezeigt.» Dazu, ob der Einsatz der Polizeiwaffe in diesem Falle verhältnismässig gewesen sei, könne sie nichts sagen. «An höchster Stelle steht auf jeden Fall der Selbstschutz des Polizisten.» Wenn Polizisten von sehr aggressiven, renitenten Personen angegriffen würden, hätten sie auch die Möglichkeit, den Pfefferspray einzusetzen. Als Ultima Ratio komme dann die Schusswaffe zum Zug.

Remo Cavegn, Präsident des Bündner Kantonspolizei-Verbandes (BKV), sagt: «Bei der Kantonspolizei ist der Einsatz einer Schusswaffe ganz klar der Ausnahmefall.» Er betont, dass die Bedrohungslage, in der sich ein Polizist befindet, für den Gebrauch der Waffe ausschlaggebend sei. «Der Einsatz der Polizeiwaffe muss verhältnismässig erfolgen», ergänzt Cavegn.

Harter Arbeitsalltag

Cavegn wie auch Cahannes stellen fest, dass der Wind, der den Polizisten bei ihren Einsätzen in der Stadt entgegenweht, definitiv rauer geworden sei. «Aggressivität und Gewalt gegen Polizisten haben stark zugenommen, gerade abends in der Ausgangsmeile, im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen», sagt Cahannes. Dazu käme, dass Klagen gegen Amtsmissbrauch zugenommen hätten. Immer häufiger komme es vor, dass beispielsweise gegen den polizeilichen Einsatz von Pfefferspray Anzeigen eingereicht würden. «Das verunsichert Polizisten zusätzlich», ergänzt Cahannes. Für sie ist Gewalt gegen Polizeibeamte absolut untolerierbar.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Der Vorfall vom Mittwochabend liegt bei der Staatsanwaltschaft Graubünden. Diese klärt unter anderem ab, ob der Warnschuss des Polizisten verhältnismässig gewesen ist. Sicher ist: Ein Warnschuss, wie ihn der Churer Stadtpolizist am Mittwoch auf den harten Boden abgegeben hat, ist nicht ungefährlich. Zu diesem Schluss kommt der Ballistiker Beat P. Kneubuehl: «Im harten Boden kann es zu einem Abpraller kommen, der eine gewisse Gefährdung bedeuten kann.»


Hitzige Szene vor der Churer Stadthalle

Die Polizei gab zu diesem Vorfall keine Polizeimeldung heraus. Der von einem Beobachter an den Blick gesandte Handy-Film zeigt Folgendes: Die 1,47 Minuten kurze 
Szene ist laut und heftig. Auf dem Parkplatz der Stadthalle Chur tobt ein wüster Streit. Involviert sind eine Frau, ein Mann und 
ein Polizist. Sie diskutieren lautstark, während der Polizist eine Waffe auf den Mann richtet. Der Mann schreit die Worte «Scheissbulle» und «Nein. Nein, 
mache ich nicht!» Vom Polizisten wird er immer wieder aufgefordert, sich auf den Boden zu legen. Auf dem Parkplatz liegen Kleidungsstücke und ein Plastiksack, ein kleiner Hund rennt verstört umher. Kurz darauf kommt eine zweite Polizistin angerannt. Ein Schuss aus der Polizeiwaffe, die mittlerweile auf den Boden gerichtet ist, fällt. Der Mann zeigt sich jedoch davon unbeeindruckt und kommt der Forderung, sich niederzulegen, nicht nach. Die zur Verstärkung herbeigeeilte Polizistin versucht vergeblich, die Frau in Schach zu halten. Der Mann geht weiter auf den Polizisten zu, dieser weicht zurück. Als weitere Polizeifahrzeuge mit Sirenengeheul auf der Szene erscheinen, wird der Mann noch lauter. Dann macht er sich mit der Frau aus dem Staub, die beiden Polizeibeamten hinterher. Die Frau und der Mann wurden kurzzeitlich in Haft genommen, später jedoch wieder frei gelassen. (baa)

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