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Die arbeitende Frau

Die Geschichte von der Industrialisierung bis in die Gegenwart

Bündner Woche
07.03.23 - 08:53 Uhr
Leben & Freizeit
Die arbeitende Frau: Der Weg der Frauen in der Arbeitswelt war und ist geprägt vom Kampf für Gleichstellung.
Die arbeitende Frau: Der Weg der Frauen in der Arbeitswelt war und ist geprägt vom Kampf für Gleichstellung.
Grafik Cindy Ziegler

Von Laura Kessler

Die Industrialisierung

In der vorindustriellen Zeit gingen weder Frauen noch Männer oft einer ausserhäuslichen beziehungsweise ausserhöflichen Arbeit nach. Im Zuge der Industrialisierung änderte sich das. Es kam erstmals zur Trennung von Haus- und Erwerbsarbeit. Dabei gingen nicht nur Männer einer ausserhäuslichen Tätigkeit nach, auch Frauen und sogar Kindern verdienten ihr täglich Brot abseits vom eigenen Daheim. Die Arbeit zu Hause und die Arbeit mit den Kindern, die sogenannte Care-Arbeit, war aber weiterhin Teil des Alltags und diese wurde fortan grundsätzlich von Frauen verrichtet. Im Zuge der Industrialisierung bildete sich neben einer Arbeiter:innenschicht auch das Bürgertum. Die Frauen des Bürgertums waren von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen, ihnen kam die Rolle der Mutter, Hausfrau und Gattin zu.

Care-Arbeit…
…ist Arbeit, zu der die Pflege von Kindern und pflegebedürftigen oder betagten Menschen gehört (direkte Care-Arbeit) oder auch Aufgaben, die im Zusammenhang mit der direkten Care-Arbeit entstehen, zum Beispiel zusätzliche Haushaltsarbeiten (indirekte Care-Arbeit). Vier Fünftel der geleisteten Care-Arbeit in der Schweiz wird unentgeltlich verrichtet, zwei Drittel davon von Frauen. Diese unbezahlte Arbeit hat einen Wert von 80 Milliarden Franken. In der Schweiz wird mehr Care- als Lohnarbeit verrichtet. Würde die anfallende Care-Arbeit innerhalb einer Familie entlöhnt, müssten dafür monatlich 5908 Franken aufgewendet werden. Dabei kämen der Frau 4223 Franken zu, dem Mann 1685 Franken.

Die 1930er

Der Aufschwung der 1920er-Jahre war vorbei, die Welt war in einer wirtschaftlichen Krise. Arbeitslosigkeit war die Folge, auch in der Schweiz. Geschickt wurde dieser Missstand genutzt, um mit Motionen und Postulaten dem sogenannten «Doppelverdienertum» den Kampf anzusagen. Insbesondere richtete sich dieser gegen verheiratete, berufstätige Frauen in Bundesbetrieben. Ihre Saläre als Lehrerinnen oder Beamtinnen wurde als Nebenverdienste abgetan, die Frauen galten als «versorgt» und so sollten sie ihre Stellen Männern überlassen. 1933 fanden sich in Bundesbetrieben auf 32'000 Angestellte gerade noch 82 Doppelverdienerpaare. In Privatbetrieben sank der Frauenanteil zwischen 1920 und 1941 von 44,6 auf 35,5 Prozent. Die gesellschaftlichen Tendenzen in den 1930er-Jahren zeigten nachhaltig Wirkung, sind Frauen doch bis heute auf dem Arbeitsmarkt weniger vertreten als Männer.

Der Zweite Weltkrieg

Während in weiten Teilen Europas der Krieg tobte, blieb die Schweiz verschont. Das wirkte sich auf den Arbeitsmarkt und das Verständnis von «Frauen-» und «Männeraufgaben» aus. Während in unseren Nachbarländern die Männer in die Armee eingezogen wurden und Frauen dadurch vermehrt ausserhäuslichen Berufen nachgingen, hielt die Schweiz am traditionellen Familienbild fest. Der Vater ging arbeiten, die Mutter blieb zu Hause. Im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg kann der nicht stattgefundene gesellschaftliche Wandel als grosses Glück verstanden werden. Doch das Bild der Frau als Mutter und Hausfrau manifestierte sich weiter. Auch die späte Einführung des Wahl- und Stimmrechts für Frauen hängt mit dem Fakt zusammen, dass die Schweiz vom Ersten und Zweiten Weltkrieg verschont blieb. In anderen Ländern waren die beiden Weltkriege die Katalysatoren für die Einführung ebendieses.

Die 1970er

Das grosse Jahr – 1971. Die Einführung des Wahl- und Stimmrechts für Frauen. Der Ruf nach Gleichberechtigung wurde laut, aber nur teilweise gehört. Auch wenn sich die Schweizer Männer für die Einführung des Wahl- und Stimmrechts für Frauen aussprachen, war die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt noch lange nicht erreicht. 1970 war ein Drittel der Frauen erwerbstätig, weniger als in den 1920er- und 30er-Jahren.

Wahl- und Stimmrecht…
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wurde den Frauen dieser Welt zum Teil Ende des 19. Jahrhunderts, aber auch erst Ende des 20. Jahrhunderts oder anfangs des 21. Jahrhunderts verliehen. Neuseeland sprach als erster Staat 1893 das Wahl- und Stimmrecht für Frauen aus. Es folgten im frühen 20. Jahrhundert einige Länder Skandinaviens, 1917 dann Russland, 1918 Deutschland. Viele europäische Staaten kamen in den 20er- und 30er-Jahren nach. Die Schweiz war das zweitletzte Land innerhalb Europas, das 1971 das Frauenstimmrecht einführte. Nur Portugal war noch später – 1974. Bis heute haben Frauen in Saudi-Arabien, Brunei und in Vatikanstadt kein Stimm- und Wahlrecht. In Brunei gibt es überhaupt kein Recht auf Wahlen und Abstimmungen. Auch nicht für Männer.

1. Juli 1996

Am 1. Juli 1996 trat in der Schweiz das Gleichstellungsgesetz (GIG) in Kraft. Das GIG gilt für alle Bereiche der Erwerbstätigkeit, von der Anstellung bis zur Kündigung, vom Lohn bis hin zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Laut GIG ist eine direkte und indirekte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verboten. Was heisst das? Unter direkter Diskriminierung sind Benachteiligungen zu verstehen, die offensichtlich aufgrund des Geschlechts oder eines geschlechtsspezifischen Kriteriums erfolgen. Zum Beispiel, wenn eine Frau eine Stelle nicht bekommt, weil sie im «gebärfreudigen» Alter ist und bald eine Familie gründen könnte. Indirekt diskriminierend sind Massnahmen, die eigentlich beide Geschlechter gleich betreffen, sich aber ungleich auswirken. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn gewisse Vorteile nur Vollzeitbeschäftigten, nicht aber Teilzeitkräften gewährt werden und Letztere vorwiegend Frauen sind. Auch nach über 20 Jahren wird das Gleichstellungsgesetz in der Schweiz noch nicht vollumfänglich umgesetzt, beziehungsweise immer wieder missachtet. Das gilt zum Beispiel für die Lohngleichheit von Mann und Frau.

Lohngleichheit…
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von Mann und Frau ist in der Schweiz nicht flächendeckend gegeben. Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 13 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dabei handelt es sich nicht um einen begründbaren Lohnunterschied, zum Beispiel aufgrund der Ausbildung, der Berufserfahrung oder des Alters, sondern um einen unbegründeten Unterschied. Eine Frau, die genau die gleichen Voraussetzungen mitbringt und den gleichen Job ausübt wie ein Mann, verdient im Schnitt 13 Prozent weniger. Jedes Jahr macht der «Equal Pay Day» auf diesen Missstand aufmerksam. Dieses Jahr war er am 18. Februar. Bis zu diesem Datum arbeiteten Frauen in der Schweiz aufgrund des Lohnunterschiedes gratis.

Die Gegenwart

Gleichberechtigung in der Arbeitswelt, Lohnungleichheit, Teilzeitarbeit. Alles Stichworte, die zur gegenwärtigen Arbeitssituation von Frauen gehören. Die Erwerbsquote von Frauen (Vollzeitäquivalent) lag 2022 bei 59,7 Prozent, jene von Männern bei 83,2 Prozent. Werfen wir einen Blick auf den Teilzeitäquivalenten, lag der Anteil an erwerbstätigen Frauen bei 79 Prozent, jener der Männer bei 86,6 Prozent. Viele Frauen arbeiten Teilzeit und übernehmen zwei Drittel der unbezahlten Care-Arbeit.

Erwerbsquote…
... sie liegt bei den Frauen in der Schweiz aktuell bei 59,7 Prozent. Nur langsam stieg die Zahl seit der Einführung des Gleichstellungsgesetzes. 1996 lag die Erwerbsquote bei 50,6 Prozent, 2006 bei 53,9 Prozent, 2016 dann bei 58,4 Prozent. Bis 2019 stieg die Erwerbsquote stetig bis auf 59,8 Prozent an, 2020 brach die Zahl auf 58,5 Prozent ein. Die Coronapandemie hat den Graben zwischen Männern und Frauen in der Arbeitswelt vertieft, da die zusätzlich anfallende Care-Arbeit, zum Beispiel durch Homeschooling, vermehrt von Frauen erledigt wurde. Auch waren Sektoren, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind, zum Teil stark von der Pandemie betroffen, was zum Verlust von Arbeitstellen führte.
Laut dem «Global Gender Report 2022» braucht es aktuell noch 132 Jahre, bis die Gleichstellung von Mann und Frau weltweit erreicht ist.

Noch mehr zum «Büwo»-Wochenthema «Gleichstelllung»:

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