Sexismusvorwürfe in der Medienbranche
Susanne Lebrument ist VR-Vizepräsidentin und Delegierte des Verwaltungsrates von Somedia und als Frau mit Führungsposition eine Exotin in der Medienbranche.
Susanne Lebrument ist VR-Vizepräsidentin und Delegierte des Verwaltungsrates von Somedia und als Frau mit Führungsposition eine Exotin in der Medienbranche.

von Cindy Ziegler
Wer in den letzten Wochen fleissig Zeitung gelesen und einen Blick in die Branche geworfen hat, die ebendiese produziert, könnte auf die Idee kommen, dass die Medienbranche ein Sexismusproblem hat. Jüngst machte «Magazin»-Journalistin Anuschka Roshani ihrem ehemaligen Chef schwere Vorwürfe. Sie ist aber nicht die einzige Frau in der Medienbranche, die Missstände anprangert. 2021 verfassten über 70 Frauen des Medienhauses Tamedia einen offenen Brief, in dem sie von ihren Erfahrungen berichten. Auch im öffentlich-rechtlichen Sektor wurden schon ähnliche Vorwürfe publik. Susanne Lebrument ist Mama von zwei Kindern, Verlegertochter, VR-Vizepräsidentin und Delegierte des Verwaltungsrates von Somedia. Und macht sich in all diesen Rollen Gedanken, wie es um die Frauen in der Medienbranche steht.
Frau Lebrument, hat die Medienbranche ein Sexismusproblem?
Susanne Lebrument: In der Schweizer Medienbranche gibt es in der Führungsetage immer noch viel mehr Männer als Frauen. Und man hört immer wieder, dass talentierte Frauen, die Karriere machen wollen, dann aber doch irgendwo in der Mitte aussteigen. Dies, weil sie sagen, dass die männliche Kultur – ich weiss, das ist ein blöder Begriff – ihnen nicht entspricht. Ein Sexismusproblem ist aber etwas anderes. Ich würde die These vertreten, dass das in der Medienbranche nicht mehr und nicht weniger ein Problem ist als in anderen Branchen auch.
Was bedeutet männliche Kultur?
Dass es in der Führung mehr Männer als Frauen gibt, prägt die gesamte Teamkultur. Ich merke das persönlich auch, weil ich oft in reinen Männergremien sitze. Vom Ton oder vom Geflirte her. Letzteres stört mich persönlich nicht. Ich flirte ja auch gern. Ich habe das Gefühl, dass ich mich gut durchsetzen kann. Und tatsächlich hat es nicht immer nur Nachteile, eine Frau zu ein.
Wann ist es förderlich, eine Frau zu sein?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man(n) mir als Frau eher zuhört. Vielleicht, weil ich eine Exotin bin. Ich falle auf. Und bei weiblichen Kundinnen habe ich oft auch das Gefühl, ich werde offener empfangen. Ich hoffe aber sehr, dass ich als Frau mit Führungsfunktion in der Medienbranche bald nichts Spezielles mehr bin.
Wie nehmen Sie Meldungen wie die Vorwürfe von Anuschka Roshani wahr?
Es gab ja beim Fall Roshani Vorwürfe auf gleich mehreren Ebenen. Es gab den Aspekt der Germanisierung, als der Chefredaktor der betroffenen Frau Hakenkreuze beim Korrekturlesen auf das Blatt kritzelte. Und dann gab es ganz harte Aussagen, die sexuell übergriffig waren. Ich finde es immer schwierig, wenn man selbst nicht Teil des Teams ist und von Aussen darauf blickt. Aber es gibt Sachen, die gehen einfach gar nicht. Und da braucht es den Rückhalt des Teams, damit man sich wehren kann.
Lesen Sie sie solche Berichte als Frau in der Medienbranche anders?
Ich denke schon. Ich weiss natürlich nicht, ob das Problem in diesem konkreten Fall auch Teil des Kommunikationsmusters im Team war. Ich selbst habe auch schon Sprüche abbekommen, die unter der Gürtellinie waren und gar nicht gehen. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, aber ich bin natürlich auch in einer anderen Position.
Was glauben Sie, müsste geschehen, damit so etwas nicht mehr passiert?
Diversere Führungsteams würden sicher helfen. Es gibt viele Frauen, die sich eine Frau als Ansprechperson wünschen. Wenn ich das Gefühl habe, ich werde sexualisiert oder belästigt, dann will ich mich einer Person des gleichen Geschlechts anvertrauen. Viele Unternehmungen sind darum bemüht, dass sich beide Geschlechter und auch verschiedene Nationalitäten in einem Team wohlfühlen.

Gibt es Strukturen in der Medienbranche, die Sexismus explizit fördern? 2021 gab es ja den offenen Brief, den 78 Frauen aus dem Tamedia-Konzern unterschrieben haben.
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, wenn nur Männer untereinander sind, ist die Sprache eine andere. Derber. Und es wird viel über Frauen gesprochen. Umgekehrt nehme ich das nicht so wahr. Wenn in einem Team also nur Männer – oder Frauen – sind, und dann nicht jemand kommt und auf diese Art der Kommunikation hinweist, dann ist das für ein angenehmes Arbeitsklima sicher nicht förderlich. Aber das ist nicht nur ein Problem in der Medienbranche.
Der Journalismus galt lange Zeit als Männerdomäne. Hat das noch heute einen Einfluss?
Ja, ich denke schon, dass die Historie einen Einfluss hat. Ich hatte kürzlich ein spannendes Gespräch mit einer Kollegin, eine der ersten Top-Managerinnen in der Medienbranche. Und sie meinte, dass man selbst das männliche Führungsverhalten adaptiert, wenn man es nur von Männern vorgelebt bekommt. Sie fragte sich, was wohl gewesen wäre, hätte sie damals mehr Frauen im Team gehabt. Spannend in der Medienbranche ist übrigens auch, dass wir oft über Männer und Frauen in einem gewissen Frame berichten. Bei der letzten Bundesratswahl hat man das ganz extrem gemerkt. Da wurde insbesondere Evi Allemann darauf reduziert, dass sie schulpflichtige Kinder hat und wie sich das mit dem Amt organisieren lässt. Alain Berset hatte zum Zeitpunkt seiner Wahl Kinder in einem ähnlichen Alter. Und da hat kein Mensch gefragt, wie er sich organisiert. Ich denke schon, dass das auch einen historischen Hintergrund hat.
Die Medien prägen die Berichterstattung zum Thema, wenn sie diese Frames bedienen.
Das ist so. Deshalb sind «Equal-Voice»-Projekte, wie eines derzeit bei Ringier realisiert wird, extrem wichtig. Wir bei Somedia haben auf den Redaktionen zum Glück viele tolle Frauen, die einen anderen Blick haben und andere Themen in die Berichterstattung einbringen. Natürlich geht Gleichberechtigung noch weiter und betrifft auch Nationalitäten, die man ebenso mit verschiedenen Themen anstatt nur mit Stereotypen bedienen muss.
Sind Sie persönlich schon mal in der Arbeitswelt behindert worden, weil Sie eine Frau sind?
Ich habe tatsächlich schon beides erlebt. Ich bin schon nicht weitergekommen, weil ich eine Frau bin. Ich bin aber auch schon weitergekommen, eben genau, weil ich eine Frau bin. Ich glaube, wenn man Karriere machen will – und das ist unabhängig vom Geschlecht so – braucht es eine gewisse Frustrationstoleranz und Durchsetzungskraft. Denn es gibt bestimmt auch viele Männer, die schon angestanden sind, weil sie zu jung, zu dunkel, zu hell oder zu was auch immer waren.
Was ist Ihnen als weibliche Arbeitgeberin besonders wichtig?
Die Beziehungsebene ist mir sehr wichtig. Den Männern ist das nicht egal, aber ich bin diejenige, die diese Ebene eher anspricht. Ich glaube, ich kann auch die Doppelbelastung von Arbeit und Familie eher nachvollziehen, obschon es ja auch immer mehr Väter gibt, die das meistern müssen oder wollen. In meiner Generation ist das Rollenverständnis aber tatsächlich noch ein anderes.
Und was wünschen Sie sich für Frauen in der Arbeitswelt?
Ich wünsche mir, dass sich Frauen mehr zutrauen. Und dass Kinder zu haben nicht automatisch bedeutet, dass sich Frauen aus der familienexternen Arbeit zurückziehen müssen. Die Kindererziehung ist eine extrem schöne Aufgabe, aber man bezahlt einen sehr hohen Preis dafür.
Stichwort Altersarmut.
Ja genau. Man kann nicht von einem Sozialsystem sprechen, wenn Frauen, die Zuhause wertvolle Arbeit leisten, finanziell benachteiligt werden. Es braucht deshalb vonseiten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Möglichkeit, dass sich die Arbeitnehmenden die Kinderbetreuung teilen können. Wir bei Somedia bieten beispielsweise die Möglichkeit, bei einem 100-Prozent-Pensum die Arbeit auf vier Tage aufzuteilen.
Was halten Sie von einer Frauenquote?
Da bin ich sehr dafür. Weil sie hilft, dass die Arbeitswelt diverser wird. Übrigens habe ich etwas gegen den abwertenden Gebrauch des Begriffs «alte, weisse Männer». Das ist nicht fair, denn diese Männer haben auch vieles für uns Frauen getan.
Gibt es etwas, was in all diesen Diskussionen zu kurz kommt?
Ich finde es wichtig, dass man auch mal einen Spruch machen kann oder jemandem sagen darf, dass er oder sie heute gut aussieht. Im Moment traut sich das fast niemand, weil die Sexismus-Debatte stark von Unsicherheit geprägt ist. Mit Anstand flirten ist meiner Meinung nach aber wichtig für ein gutes Miteinander. Der Ton macht die Musik.